Wer in der Schule fürs Leben lernt, hat ein Riesenglück
Das Theater um die allzu schwierige Mathematik-Matura weckt Erinnerungen, die nicht nur angenehm sind.
Die Gleichung ist schlicht und einfach, sie lautet nahezu immer: „Talent plus Fleiß ergibt Erfolg in der Schule.“Je mehr Talent jemand hat für, sagen wir einmal das Erlernen von Sprachen, desto weniger Schweiß muss er oder sie aufwenden, um den Anforderungen in der Schule zu genügen. Je besser das räumliche Vorstellungsvermögen, das gütige Gene in einen Kopf eingepflanzt haben, desto leichter fällt einem Schüler oder einer Schülerin das Fach Darstellende Geometrie. Und wer sich in den abstrakten Gedankenwindungen der Mathematik zurechtfinden muss, der hat zwei Möglichkeiten: Das Fach liegt ihm oder er plagt sich mit unendlich viel Energie, wenigstens das Minimum dessen zu erlernen, das für das Bestehen der Matura nötig ist.
Der derzeitige Disput um die wieder einmal allzu schwierige Mathematik-Matura muss die Organisatoren der Zentralmatura zwingen, sich demnächst um mehr Klarheit und (Schul-)Praxisnähe zu bemühen. Er erinnert aber auch daran, dass viele ehemals „schlechte“Schüler heute sehr erfolgreich sind oder gar Spitzenpositionen in Spitzenbranchen einnehmen. Die Matura ist doch nicht viel mehr als die Momentaufnahme am Ende einer Schulkarriere, die nur eingeschränkt Auskunft geben kann über die tatsächlichen Fähigkeiten eines jungen Menschen.
Beim Aufräumen geriet mir einmal jene Formelsammlung in die Hände, die seinerzeit bei der Mathematik-Matura als Gedächtnisstütze zugelassen war. Der Blick auf die Seiten der kleinen Broschüre geriet mir zum Schock: Was da stand, hätte genauso gut Kantonesisch oder Sanskrit sein können, so wenig war von all den damals so wichtigen Aufzeichnungen noch im Hirn geblieben. Mathematik war eben nicht so ganz in Übereinstimmung mit den vorhandenen Talenten.
In der Schule fürs Leben gelernt? Ja, viel. Aber nicht unbedingt das, was dann im Maturazeugnis mit einer klaren und eindeutigen Note zu bewerten war. Zunächst einmal wuchs die Einsicht, dass es sehr unterschiedliche Begabungen gibt, dass man immer die anderen um deren Talente beneidet und die eigenen eher unterschätzt. Die Erkenntnis der eigenen Mängel provoziert Wertschätzung für das Können der anderen und produziert damit viel Achtung vor der Leistung anderer Menschen.
Und schließlich wecken gute Lehrer und Lehrerinnen in Menschen die Fähigkeit, Fakten zu finden, Hintergründe zu erkennen, die richtigen Fragen zu stellen und auch für Antworten offen zu sein, die einem vielleicht nicht so ganz ins Konzept passen. Wer seine Schule mit diesen Fähigkeiten verlässt, hat mehr gelernt als Formeln anzuwenden und Wissen anzuhäufen. Und das ist ein Riesenglück.