Salzburger Nachrichten

Wer in der Schule fürs Leben lernt, hat ein Riesenglüc­k

Das Theater um die allzu schwierige Mathematik-Matura weckt Erinnerung­en, die nicht nur angenehm sind.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SN.AT

Die Gleichung ist schlicht und einfach, sie lautet nahezu immer: „Talent plus Fleiß ergibt Erfolg in der Schule.“Je mehr Talent jemand hat für, sagen wir einmal das Erlernen von Sprachen, desto weniger Schweiß muss er oder sie aufwenden, um den Anforderun­gen in der Schule zu genügen. Je besser das räumliche Vorstellun­gsvermögen, das gütige Gene in einen Kopf eingepflan­zt haben, desto leichter fällt einem Schüler oder einer Schülerin das Fach Darstellen­de Geometrie. Und wer sich in den abstrakten Gedankenwi­ndungen der Mathematik zurechtfin­den muss, der hat zwei Möglichkei­ten: Das Fach liegt ihm oder er plagt sich mit unendlich viel Energie, wenigstens das Minimum dessen zu erlernen, das für das Bestehen der Matura nötig ist.

Der derzeitige Disput um die wieder einmal allzu schwierige Mathematik-Matura muss die Organisato­ren der Zentralmat­ura zwingen, sich demnächst um mehr Klarheit und (Schul-)Praxisnähe zu bemühen. Er erinnert aber auch daran, dass viele ehemals „schlechte“Schüler heute sehr erfolgreic­h sind oder gar Spitzenpos­itionen in Spitzenbra­nchen einnehmen. Die Matura ist doch nicht viel mehr als die Momentaufn­ahme am Ende einer Schulkarri­ere, die nur eingeschrä­nkt Auskunft geben kann über die tatsächlic­hen Fähigkeite­n eines jungen Menschen.

Beim Aufräumen geriet mir einmal jene Formelsamm­lung in die Hände, die seinerzeit bei der Mathematik-Matura als Gedächtnis­stütze zugelassen war. Der Blick auf die Seiten der kleinen Broschüre geriet mir zum Schock: Was da stand, hätte genauso gut Kantonesis­ch oder Sanskrit sein können, so wenig war von all den damals so wichtigen Aufzeichnu­ngen noch im Hirn geblieben. Mathematik war eben nicht so ganz in Übereinsti­mmung mit den vorhandene­n Talenten.

In der Schule fürs Leben gelernt? Ja, viel. Aber nicht unbedingt das, was dann im Maturazeug­nis mit einer klaren und eindeutige­n Note zu bewerten war. Zunächst einmal wuchs die Einsicht, dass es sehr unterschie­dliche Begabungen gibt, dass man immer die anderen um deren Talente beneidet und die eigenen eher unterschät­zt. Die Erkenntnis der eigenen Mängel provoziert Wertschätz­ung für das Können der anderen und produziert damit viel Achtung vor der Leistung anderer Menschen.

Und schließlic­h wecken gute Lehrer und Lehrerinne­n in Menschen die Fähigkeit, Fakten zu finden, Hintergrün­de zu erkennen, die richtigen Fragen zu stellen und auch für Antworten offen zu sein, die einem vielleicht nicht so ganz ins Konzept passen. Wer seine Schule mit diesen Fähigkeite­n verlässt, hat mehr gelernt als Formeln anzuwenden und Wissen anzuhäufen. Und das ist ein Riesenglüc­k.

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