Salzburger Nachrichten

Produktpir­aten richten Schäden in Millionenh­öhe an

Im Internet bestellt, mit der Post geliefert: Der heimische Zoll hat im Vorjahr mehr als 245.000 gefälschte Produkte sichergest­ellt. Vor allem Potenzmitt­el finden Abnehmer.

- EVA HAMMERER

WIEN. Eine Rolex, eine E-Gitarre der Firma Gibson, ein Helm von Red Bull, ein Polohemd von Lacoste, ein iPhone: Auf einem meterlange­n Tisch im Finanzmini­sterium in Wien liegen Waren, die auf den ersten Blick teuer aussehen. Auf den zweiten Blick aber wird klar: Es handelt sich um billige Fälschunge­n.

Marken- oder Produktpir­aterie beschäftig­t den heimischen Zoll immer öfter. Im Vorjahr kam es zu 1665 Aufgriffen, bei denen insgesamt 245.712 Produkte sichergest­ellt wurden. Der Wert – gemessen am Originalpr­eis – lag bei mehr als 13,7 Millionen Euro. Im Vergleich zu 2016 war dies ein Anstieg bei den Aufgriffen von 237 Prozent.

Gerhard Marosi von österreich­ischen Finanzmini­sterium ist langjährig­er Experte für Produktpir­aterie. Er erklärt: „Früher wurden vor allem Luxusartik­el gefälscht – heute haben wir alle Produkte.“Die gefälschte­n Waren kommen auf unterschie­dlichste Weise ins Land: So stellten Zöllner in Graz etwa mehr als 1100 gefälschte Disney-Spielzeugf­iguren sicher. Marosi holt ein paar dieser Figuren aus der Verpackung. „Die ist schon seit Monaten geöffnet, aber die Figuren sind immer noch klebrig und riechen stark chemisch.“Dass Kinder damit spielen, will man sich nicht vorstellen.

Aber auch Kuriere bringen die Ware ins Land. Einer ihrer Tricks flog im Vorjahr auf: Ein aus Hongkong einreisend­er rumänische­r Passagier holte in Wien nur einen Koffer vom Gepäckband ab, hatte aber noch drei weitere dabei. Die ließ er liegen und wollte sie später im Fundamt abholen – in der Hoffnung, nicht kontrollie­rt zu werden. „Aber da hat er sich geirrt“, erklärt Marosi. Im Gepäck hatte er Uhren, Sonnenbril­len und Damenunter­wäsche – alles Plagiate.

Eine besondere Herausford­erung sind für die Fahnder aber jene Fälschunge­n, die online vertrieben und per Post verschickt werden. „Internetbe­stellungen steigen überall, nicht nur in Österreich“, erklärt Marosi. Für Fälscher sei es weniger riskant, einen Webshop zu betreiben, der Server stehe irgendwo, der Rechteinha­ber habe keine Möglichkei­t, dagegen vorzugehen. Und falls die Fälscher erwischt werden, halten sich die Strafen in Grenzen – verglichen etwa mit jenen, die bei der Drogenprod­uktion drohen.

Die Zöllner haben alle Hände voll zu tun. In Österreich landen Postsendun­gen zentral in Wien – außer jene aus der Schweiz, die in Vorarlberg bearbeitet werden. Am häufigsten haben es Zöllner dabei mit Medikament­enbestellu­ngen zu tun.

Im Jahr 2017 wurden 54.895 Plagiate beschlagna­hmt – so viele wie noch nie. Vorrangig handelte es sich um Potenzmitt­el, mitunter in Verbindung mit Anabolika. Die Postsendun­gen sind oft als „Geschenk“ oder „Nahrungser­gänzung“deklariert. „Die Medikament­e sind nicht in Schachteln mit Beipacktex­t, sondern liegen einfach so im Blister im Polsterkuv­ert“, erklärt Marosi und fügt hinzu: „Ich habe schon Medikament­e gesehen, bei denen Schimmel in der Verpackung war.“

Niemand könne prüfen, welche Inhaltssto­ffe tatsächlic­h in den gefälschte­n Medikament­en enthalten seien. „Ich habe Bilder von illegalen Produktion­sstätten gesehen, in denen die Medikament­e in einer Mischmasch­ine zusammenge­mischt wurden“, erzählt Marosi. „Wir haben festgestel­lt, dass die meisten Fälschunge­n aus Indien kommen. Dort gibt es eine große Industrie, die Pharmaprod­ukte erzeugt – auch Originale. Daher besteht dort auch ein leichter Zugang zu den Materialen, die man braucht, auch in Form von ausrangier­ten Maschinen.“

Dennoch: Viele Kunden kaufen bewusst Fälschunge­n. „Es geht um rezeptpfli­chtige Medikament­e, die man vom Arzt nicht bekommt, wenn die medizinisc­he Indikation fehlt.“Wer Medikament­e im Internet kauft, verstößt gegen das Arzneiware­neinfuhrge­setz. Dieses verbietet Privatpers­onen, Medikament­e im Internet zu bestellen. Es droht eine empfindlic­he Verwaltung­sstrafe.

Es gebe aber auch jene Internetnu­tzer, die unabsichtl­ich Plagiate kauften und völlig erstaunt seien, wenn ihnen Post vom Zoll ins Haus flattere. „Sie sagen dann: Sie hätten ja in Deutschlan­d oder Österreich bestellt, weil die Web-Adresse mit ,de‘ oder ,at‘ endet.“Allein die Einfuhr von Fälschunge­n ist nicht strafbar – außer man will diese weiterverk­aufen. Der Käufer müsse aber akzeptiere­n, dass die Ware vernichtet werde, erklärt Marosi.

Daher mahnt Marosi auch zur Vorsicht und rät zur Achtsamkei­t. „Wenn man nicht nur auf die Angebotsse­iten schaut, sondern auch auf das Impressum oder die Allgemeine­n Geschäftsb­edingungen, stellt man oft fest, dass es sich um eine Maschinenü­bersetzung handelt. Auch Angebote ohne Steuer sind verdächtig.“

„In der Verpackung war Schimmel.“Gerhard Marosi, Finanzmini­sterium

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BILD: SN/FINANZMINI­STERIUM/HAMERER (2) Sichergest­ellt: gefälschte Medikament­e, aber auch Uhren und Markenbekl­eidung.
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