Freiheit, Gleichheit, Rohmilchkäse!
Französische Köche, Bauern und Winzer fordern das Recht auf gutes Essen in der ganzen Republik. Da sollten wir uns schnell anschließen.
Wenn in der französischen Zeitung Libération von „Schande, Skandal und Betrug“zu lesen ist, dann muss das Schlimmste vermutet werden. Und tatsächlich: Es wurde ein schändlicher Amtsmissbrauch aufgedeckt: Das altehrwürdige Institut national de l’origine et de la qualité ist nämlich drauf und dran, die Größe Frankreichs von innen zu zersetzen. Es hat verfügt, dass auch Camembert aus pasteurisierter Milch künftig das AOP-Gütesiegel tragen darf. Dazu muss man wissen: Louis Pasteur wird in Frankreich als Genie gefeiert. Aber pasteurisierte Milch steht in Frankreich nicht nur für den Untergang der Käsekultur – sie steht auch im Verdacht, Impotenz zu verursachen. Wofür es natürlich nicht den geringsten Beweis gibt. Aber sagen Sie das einmal einem Franzosen. Unter diesem Milch- und KäseChauvinismus litt bekanntlich auch schon Charles de Gaulle. Der Staatsmann fasste sein Leid einmal so zusammen: „Wie soll ich ein Land regieren, in dem es mehr Käsesorten als Tage im Jahr gibt?“In der Libération wurden vornehmlich Köche wie Sebastien Bras, Olivier Roellinger und Anne-Sophie Pic zitiert. Sie mutmaßten, dass der Camembert jetzt seinen Charakter verliert und eine „vulgäre weiche Paste ohne Geschmack“entsteht. Das Institut argumentiert, dass es das verwirrende Nebeneinander von verschiedenen Sorten beenden will. Was die Unterzeichner des Appells nicht gelten lassen wollen: „So wird echter Camembert zum Luxusgut. Und die meisten Verbraucher müssen sich mit industriell hergestellter Ersatzware zufriedengeben. Wir fordern das Recht auf gutes Essen in der ganzen Republik! Freiheit, Gleichheit, Camembert!“
In Österreich sieht man diesem Treiben amüsiert zu. Obwohl wir gute Gründe hätten, uns ein Vorbild an den Franzosen zu nehmen. So klagt etwa der Politiker, Koch und Gastronom Sepp Schellhorn über skurrile Verbote: „Wenn ich meinen Gästen zum Frühstück frische Milch vom benachbarten Bauernhof – also die bestmögliche Milch der Welt – anbiete, dann muss ich Strafe zahlen.“Der 4-HaubenKoch Rudi Obauer wiederum rät den Konsumenten, „gut streichbare“Buttersorten vom Einkaufszettel zu streichen. „Da sind so viele Zusatzstoffe, Pflanzenfette und Palmöle drinnen – die sind fast schon vegan.“Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um hier Lobbyismus zu vermuten. Um Geld zu scheffeln, werden heute möglichst viele Lebensmittel mit Technologie „garniert“. Dazu benötigt man käufliche Lebensmittelexperten und willfährige Beamte. De Gaulle hat auch dieses Problem schon erkannt. Er sagte: „Die Zehn Gebote sind deshalb so kurz und verständlich, weil sie ohne Mitwirkung einer Sachverständigen-Kommission entstanden sind.“ PETER.GNAIGER@SN.AT