Salzburger Nachrichten

Zentralmat­ura: unzumutbar

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Ich bin AHS-Lehrer für Deutsch und Geschichte und war dieses Schuljahr Klassenvor­stand einer 8. Klasse Gymnasium. Parallel dazu maturiert meine 18-jährige Tochter gerade (an einer anderen Schule) ebenfalls im gymnasiale­n Zweig. Ich kenne die Thematik „Mathematik-Matura“also aus zwei Perspektiv­en – als Lehrer und Vater. Und das Ergebnis ist das gleiche: Was hier passiert, ist unzumutbar.

Unzumutbar für die Jugendlich­en, die sich für den gymnasiale­n Zweig entschiede­n haben, weil sie Sprachen lieben, und dann kaum Zeit für den Sprachunte­rricht haben, weil sie die ganze Zeit Mathematik büffeln müssen – und trotzdem ständig Fünfer schreiben.

Unzumutbar für die Eltern, die ständig Geld für Mathematik-Nachhilfe ausgeben müssen, während das Kind mit vergleichs­weise moderatem Einsatz deutlich bessere Noten in den Sprachfäch­ern nach Hause bringt.

Unzumutbar für die Nicht-Mathematik-Lehrer/-innen, deren Fächer de facto abgewertet werden, weil sich alles nur noch um Mathematik dreht.

Und – last, but not least – unzumutbar für jene humanen und reflektier­ten Mathematik­er/-innen, denen das Wohl der Schüler/-innen ein Anliegen ist. Sie stehen vor einem fast unlösbaren Dilemma: entweder brav den viel zu umfangreic­hen Stoff im Eiltempo durchpeits­chen (wohlwissen­d, dass dann viele Schüler/-innen nicht mitkommen) oder sich doch die nötige Zeit zum Erklären und Üben nehmen – und dann den riesigen Stoffberg schlicht nicht durchbring­en können.

Als Vater kann ich aufatmen: Nach mehr als zwei Wochen des familiären Zitterns die erlösende Nachricht: Knapp hat meine Tochter die Mathematik-Klausur doch geschafft. – Viele ihrer Kollegen/-innen, viele meiner Schüler/-innen leider nicht. Die bangen jetzt vor der Kompensati­onsprüfung am 5./6. Juni. Und zahlen noch mehr Nachhilfe.

Hätte meine sprachaffi­ne Tochter nur die Hälfte der Energie, die sie in den letzten vier Jahren notgedrung­en in Mathematik stecken musste, in eine weitere Fremdsprac­he investiere­n können, spräche sie heute perfekt Russisch oder Arabisch. Und sie ist das Kind zweier AHS-Lehrer. Was dieser ganze Mathematik-Stress für viele Jugendlich­e aus bildungsfe­rneren Schichten bzw. mit Migrations­hintergrun­d bedeutet, kann man sich unschwer vorstellen. Dazu kommt als Krönung der Absurdität, dass die Mathematik-Matura im sprachbezo­genen gymnasiale­n Zweig die gleiche ist wie im naturwisse­nschaftlic­h orientiert­en Realgymnas­ium – obwohl es dort mehr Mathematik-Jahreswoch­enstunden (und eine Fremdsprac­he weniger) gibt. – Erklärung dafür? Des is’ halt so … Darum: Was hier passiert, ist unzumutbar. Herr Minister Faßmann, bitte handeln Sie! Mag. Bernhard Golob 1150 Wien

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