Liebe Grüße aus Israel
Eine kleine Gruppe von Israelis knüpft Kontakt zu Palästinensern im Gazastreifen. Es ist der Versuch, etwas anderes von sich hören zu lassen als Raketen.
In ihrem Garten kann Julia Chaitin die israelischen Kampfjets hören. Die Psychologieprofessorin lebt im Kibbuz Orim, etwa zehn Kilometer von der Grenze zum Gazastreifen entfernt. SN: Gibt es Tage, an denen Sie den Konflikt vergessen? Julia Chaitin: Nein, das ist unmöglich. Es ist immer da. Zum Beispiel diese Woche: Unsere Armee hat nach den Angriffen der Hamas zurückgeschossen. Das Sapir College, wo ich unterrichte, liegt noch näher an der Grenze als mein Haus. Meine Studenten sind von ihren Sesseln hochgesprungen, ein paar haben geweint, ein paar wollten heimgehen. Der Konflikt ist immer da. Und wenn es einmal ruhig ist, fragt man sich, wann es nicht mehr ruhig ist. SN: Der Hass auf die jeweils andere Seite ist wie ein Erbe, das Palästinenser und Israelis an ihre Kinder weitergeben. Wann haben Sie angefangen, all das zu hinterfragen? Ich wurde nicht in Israel geboren. Ich bin mit 19 aus den USA ausgewandert. Wann habe ich mich verändert? Ich bin mit einer sehr streng zionistischen Einstellung gekommen. Ich bin in ein Kibbuz gezogen und ich wollte ein zionistisches Leben führen. In den 80erJahren habe ich begonnen zu verstehen, dass alles sehr viel komplexer ist, als ich es gelehrt wurde. Immer war mir gesagt worden: „Die Israelis wollen Frieden. Und die Araber wollen uns umbringen. Und wenn auch die Araber Frieden wollen, dann wird Frieden sein.“So wurde mir das gesagt. Und ich habe es geglaubt, bis ich lernte, dass es nicht so einfach ist. In den 80ern habe ich mehr über die Palästinenser gelernt. Dieses Wort hatte ich vorher übrigens nie benutzt. Es waren Araber, nicht Palästinenser. Ich habe begonnen zu verstehen, dass sie es aber sind und wie sie die Geschichte sehen. Sie haben natürlich eine ganz andere Sicht auf das, was passiert ist. Ich habe verstanden: Es gibt keine gute und keine schlechte Seite. Es ist zu simpel zu sagen: Wir haben es immer probiert und sie haben eine Lösung immer verweigert. Natürlich gibt es noch immer Dinge, die ich von der palästinensischen Seite nicht akzeptiere, aber ich möchte fast sagen, dass es nichts macht. Du schließt Frieden mit deinen Feinden, du schließt nicht Frieden mit deinen Freunden, richtig? SN: Sie sind Teil einer Gruppe, die Kontakte in den Gazastreifen knüpft. Was ist die Idee dahinter? Die Idee von „Other Voice“ist: Wir sind keine Politiker, wir sind nicht die, die Entscheidungen treffen. Wir können keinen Friedensplan aushandeln. Aber wir können in Kontakt treten. Und wenn es eines Tages eine Vereinbarung gibt, dann wird es Leute auf beiden Seiten geben, die wissen, wie sie miteinander reden können. Seit zehn Jahren sind wir in Kontakt mit Menschen im Gazastreifen. Ich nenne sie Freunde, obwohl ich sie noch nie von Angesicht zu Angesicht getroffen habe. Es kommt ja von uns keiner rein und von ihnen keiner raus. Unsere Freundschaft basiert auf E-Mails, Telefonaten, Textnachrichten. Wir bauen eine Verbindung auf. Es ist für uns sehr wichtig, zu erfahren, wie es ist, in Gaza zu leben. Wir lassen sie wissen, dass es hier auf dieser Seite Leute gibt, die sich interessieren. Die sie als Nachbarn betrachten. SN: Das ist vermutlich eine Sichtweise, die viele Israelis so nicht gutheißen würden. Viele! Wenn du Gaza sagt, fallen den meisten Israelis zuerst Terror, Hamas, Raketen und Tunnels ein. Wir sind dazu angehalten, sie zu hassen. Wir von „Other Voice“demonstrieren jeden Freitag an einer viel befahrenen Kreuzung nahe der Grenze. Ganz still, ohne Megafon. Manchmal sind wir nur 15, letzte Woche waren wir 200 Leute. Auf unseren Plakaten steht: „Feuerpause“, „Menschen in Gaza brauchen Wasser“, „Menschen in Gaza brauchen Strom“. In letzter Zeit ist es gefährlich geworden zu demonstrieren. Natürlich gibt es auch Passanten, die uns zustimmen, aber es gibt auch Leute, die uns Verräter nennen und Sachen nach uns werfen. Wir haben jetzt Polizeischutz. SN: Was ist der Inhalt dieser Telefonate oder Nachrichten? Würden Sie von einem erzählen, das Sie besonders berührt hat? Da gibt es viele, ich kann gar kein Spezielles nennen. Was besonders ist, ist, dass wir auch während der Angriffe in Kontakt bleiben. Auch in den vergangenen Wochen habe ich meinen Freunden in Gaza immer wieder Nachrichten geschickt, ob alles in Ordnung ist. Sie wiederum schreiben mir: „Wir haben gehört, dass deine Gegend beschossen