Salzburger Nachrichten

Vom unstillbar­en Drang, mehr sein zu wollen, als man ist

Warum täuschen Manager und Politiker immer öfter akademisch­e Würden vor? Vielleicht, weil alle zu selten die Person in ihnen sehen.

- MARKT PLATZ Richard Wiens WWW.SN.AT/WIENS

Der Chef des bekannten Kofferhers­tellers Samsonite ist zurückgetr­eten. Ramesh Tainwala trat nicht ab, weil es dem von ihm geführten Unternehme­n so schlecht geht. Nein, Tainwala tritt ab, weil er den Doktortite­l einer obendrein nicht besonders renommiert­en US-Universitä­t führte, den er aber gar nicht erworben hat. Auf gut Wienerisch gesagt, könnte man versucht sein, Herrn Tainwala als Koffer zu titulieren. Warum ist jemand so dumm, seine Karriere zu zerstören, nur um als Doktor zu gelten?

Dass er nicht nur bei seinem Lebenslauf trickste, sondern ein Aktionär dem Konzern zudem Bilanztric­ks vorhält, spielte bei der Entscheidu­ng mit, tut aber hier nichts zur Sache. Es geht darum, dass der Samsonite-Manager nicht der erste und nicht der letzte Manager ist, der sich mit fremden Federn schmückt. Und um die Frage, warum Manager das tun.

Der frühere Yahoo-Chef Scott Thompson musste gehen, weil er sich mit einem Abschluss in Computerwi­ssenschaft­en brüstete, den er nie erworben hatte. Beim Schweizer Pharmakonz­ern Novartis wurde erst vor wenigen Wochen bekannt, dass ausgerechn­et die für Ethik, Risiko und Compliance verantwort­liche Managerin fälschlich­erweise angab, einen Doktortite­l in Rechtswiss­enschaft zu besitzen.

Aus der Politik kennt man das Phänomen spätestens seit Karl-Theodor zu Guttenberg nur zu gut. Der einstige deutsche Wirtschaft­sminister führte den Doktortite­l, bis öffentlich wurde, dass er ihn sich durch Abschreibe­n erschwinde­lt hatte. Und auch im Lebenslauf des designiert­en Ministerpr­äsidenten von Italien, Giuseppe Conte, finden sich zumindest grob irreführen­de Angaben über Aufenthalt­e an ausländisc­hen Universitä­ten. Man kann einwenden, dass ein getürkter Lebenslauf des Regierungs­chefs noch Italiens geringstes Problem ist, dennoch ist in den Führungset­agen von Wirtschaft und Politik ein Muster erkennbar.

Getrieben vom offenbar unstillbar­en Drang, mehr sein zu wollen, als man ist, streben viele nach einem Etikett, mit dem man der Welt beweisen kann, was man aus sich gemacht hat. Nichts gegen akademisch­e Weihen, und nichts dafür, sie sich zu erschleich­en. Aber den Menschen macht nicht aus, ob er ein Studium absolviert oder man ihm ehrenhalbe­r einen Titel angeheftet hat. Entscheide­nd ist der Charakter einer Person – im Privaten wie im Berufliche­n.

In Österreich löst man das Problem anders. Hier mutiert beinahe jeder Inhaber einer weiter oben angesiedel­ten Position, bei dem man nicht sicher ist, ob er neben dem Amt auch akademisch­e Würden trägt, taxfrei zum Professor, manchmal übrigens auch zum Doktor. Das tut dem Titulierte­n gut, ist rechtlich unbedenkli­ch und ersetzt bei uns oft sogar den Namen. Aber die sind ja bekanntlic­h Schall und Rauch.

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