Von Torten und Menschen
Der ungarische Konditormeister József Dobos, so ist zu lesen, kreierte 1885 eine Torte, die aus Gründen der Haltbarkeit eine abwechselnde Schichtung von Biskuitteig und Cremestreifen aufwies; der bayerische Bäcker Anton Seidl dürfte wenige Jahre später versucht haben, eine besondere Schokoladentorte mit neun Böden zu Ehren von Bayernkönig Ludwig I. zu fabrizieren. Schichten sorgen für Komplexität; sie wollen abgestimmt sein für ein rundes Geschmackserlebnis. Dabei können einzelne Schichten besondere Funktionen haben, wie etwa die harte Karamell-Decke der Dobostorte, die vor dem Austrocknen schützt.
Von der Backkunst zum Bierzelt: Ja, es ist irritierend, wenn Männer, die vor Kurzem noch in Bierzelten verbal um sich geschlagen haben, nun in staatstragenden Rollen zu finden sind; hier können ein Amt, eine Entourage, ein Portfolio mit Machtfülle und eine entsprechende Ausstattung für sichtbare Transformation sorgen. Auch der Weg von Umkleideräumen mit dem viel zitierten „locker room banter“ins Weiße Haus kann kürzer sein als gedacht. Vom Bierzelt zur Barockkirche: Ja, es ist irritierend, wenn jene, die uns jahrelang erklärt haben, man müsse loyal zum Papst stehen, weil es doch der vom Heiligen Geist bestellte Pontifex sei, heute verkünden, man müsse vorsichtig mit Papst Franziskus sein und solle seinen Aussagen nicht folgen. Der Weg vom innersten Machtkreis hinaus in eine Peripherie mag überraschen. Einer meiner Lieblingsbegriffe ist das Wort Permeabilität, Durchlässigkeit. Mir gefällt die Idee der Durchlässigkeit, die Idee, dass Schichten ineinander übergehen können: Baue die Gesellschaft so, dass unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen einander zwanglos begegnen können. Ich war neulich in der westukrainischen Stadt Lwiw, in der die Katholische Ukrainische Universität ein Wohngebäude errichtet hat, in dem Studierende, Lehrende, Ordensschwestern und eine WG von Menschen mit besonderen Bedürfnissen zusammenleben. Das ist gelebte Durchlässigkeit.
Durchlässigkeit sorgt für ein tiefes und rundes Erleben von Gesellschaft, so wie eine vielschichtige Torte dadurch zum Geschmackserlebnis wird, dass man alle Schichten gleichzeitig verkostet.
Wir kennen die These aus der Sozialanthropologie, dass wir Menschen eine dünne Kulturschicht haben, unter der sich eine Wildnis verbirgt; ich kenne aus eigener Erfahrung, dass diese Schicht unter Stress und Druck bei mir abbröckeln kann. Dennoch scheint mir dieses Bild zu einfach. Wir Menschen sind vielschichtige Wesen.
Ich möchte vorschlagen, dass wir nicht wie „Topf und Deckel“, sondern wie eine Torte funktionieren; ja, es gibt Schichten unterhalb der im Ministerium und im Weißen Haus aufgetragenen Kulturschicht; manche dieser Schichten haben freilich mit Sensibilität, Spiritualität, Verwundbarkeit zu tun. Auch im Bierzelt und den Umkleideräume existieren unter dem gezeigten Verhalten weitere Schichten. Die heutigen Papstkritiker haben die Schicht des „Selberdenkens“auch bei früheren Päpsten mitgetragen, verborgen vielleicht, aber doch.
Das stimmt mich vorsichtig optimistisch. Aus der Möglichkeit der Transformation kann eine Transformation des Möglichen folgen. Mach es Menschen leicht, sich und einander in ihrer Vielschichtigkeit kennen und schätzen zu lernen!
Wir bestehen nicht nur aus Karamell.