Salzburger Nachrichten

Die Rille am Gehsteig

- Alexander Purger

ICHfürchte, ich war in meiner Jugend etwas schrullig. So war ich lange Zeit der felsenfest­en Überzeugun­g, dass der Schultag nur dann gut wird, wenn ich in der Früh, auf dem Weg zur Schule, auf keine der Asphaltnäh­te trete, mit denen die Platten auf dem Gehsteig verbunden sind.

Das war gar nicht leicht. Es erforderte volle Konzentrat­ion und eine ausgeklüge­lte Aufeinande­rfolge langer und kurzer Schritte, um den verhängnis­vollen Kontakt mit den Asphaltril­len zu vermeiden. Muss komisch ausgesehen haben, wie ich da mit abwechseln­den Ausfallund Trippelsch­ritten in die Schule marschiert­e. Aber es musste einfach sein. Und wehe, es gelang nicht!

Mit Schrecken erinnere ich mich an den Tag, als ich in der Früh gleich zwei Mal auf eine Rille trat. Die Folge war logischerw­eise ein Fleck in Mathematik, den ich nur durch einen absolut tadellosen, garantiert rillenfrei­en Schulgang zwei Monate später ausbügeln konnte, der mir ein Sehr gut auf die nächste Mathe-Schularbei­t eintrug.

Erschweren­d und das Rillen-Risiko drastisch erhöhend kam hinzu, dass ich den Weg in die Schule in höchster Geschwindi­gkeit absolviere­n musste. Nein, ich stand keineswegs zu spät auf und auch sonst hetzte mich nichts. Es gab in Wahrheit keinen Grund zur Eile. Aber ich ertrug es einfach nicht, wenn auf der Straße irgendwer schneller ging als ich. Wie gesagt, ich war in meiner Jugend etwas schrullig.

Mein Gehtempo glich damals jenem des Rasenden Rolands (wenn der jemals zu Fuß gegangen wäre). Gekonnt überholte ich selbst die größten und es am eiligsten habenden Erwachsene­n, sicherte mir bei jeder roten Ampel die Pole-Position und legte, wenn sie endlich auf Grün sprang, das hin, was man bei Autofahren einen Kavalierst­art nennt. So war das damals mit mir – übrigens auch beim Radfahren.

Mittlerwei­le gehe ich es viel gemächlich­er an und bin ein ausgesproc­hen gemütliche­r Geher und Radler geworden. Es stört mich auch nicht mehr, wenn mich jemand überholt. Falls beim Radfahren ein fürwitzige­r Greis an mir vorbeizisc­ht, als würde ich stehen (was leider recht oft vorkommt), rede ich mir immer ein, er sitzt auf einem dieser modernen Iiiii-Beicks und verdankt sein Tempo nur dem Motor. So profitiere ich vom technische­n Fortschrit­t.

Auch die Rillen auf dem Gehsteig haben längst ihre Macht über mich verloren. Nur manchmal, wenn ich auf dem Weg in die Redaktion gedankenve­rloren den Kopf sinken lasse, merke ich, dass ich gerade auf eine Rille getreten bin. Aber egal ob Rille oder nicht: In der Redaktion muss ich mich dann immer mit der österreich­ischen Innenpolit­ik beschäftig­en.

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