Salzburger Nachrichten

Alte und neue Hassgefühl­e

Der Antisemiti­smus steckt noch immer in vielen Köpfen. Verschärft wird das Problem jetzt durch Zuwanderer, die Israel als Todfeind betrachten.

- MARIAN SMETANA, THOMAS HÖDLMOSER

Die Liste an antisemiti­schen Kommentare­n ist lang. Benjamin Hess und Ruben Gerczikow (Bilder) haben sie auf Facebook gesammelt, um zu zeigen, wie präsent der Hass auf Juden in Österreich immer noch ist. „Fakt ist das (sic!) die juden (sic!) das Geld privatisie­rt haben und die Menschheit mit Schulden überzieht“, schreibt etwa Gerhard N. Und Mustafa K. beschimpft Juden als Kindermörd­er und Schlangen. Die Aussagen sind nur wenige Tage alt. Sie stammen von der Facebook-Seite der Jüdischen Hochschüle­rschaft Österreich.

Mehr als 500 antisemiti­sche Vorfälle zählte das Forum gegen Antisemiti­smus (FGA) im Jahr 2017. Das sind doppelt so viele wie noch drei Jahre davor. In den meisten Fällen handelte es sich um Anrufe, E-Mails oder Verunglimp­fungen via Internet. Allerdings sind nur Vorfälle erfasst, die dem FGA gemeldet worden sind. Experten gehen von einer hohen Dunkelziff­er aus. Schwierige­r wird es, wenn es um den Ursprung des Judenhasse­s geht. Laut der FGA-Studie liegt bei mehr als 60 Prozent der Fälle kein ideologisc­her Hintergrun­d vor. 24 Prozent haben einen rechten Hintergrun­d, zehn Prozent einen islamische­n, drei Prozent einen linken. Laut aktuellem Verfassung­sschutzber­icht ist Antisemiti­smus weltweit ein gemeinsame­s Bindeglied sämtlicher Extremismu­sformen und wird außerdem auch von Menschen weitergetr­agen, die keiner extremisti­schen Gruppierun­g angehören.

Der Soziologe Kenan Güngör kam 2016 in einer Studie über Jugendlich­e in Wiener Jugendzent­ren zu folgendem Schluss: „Bei muslimisch­en Jugendlich­en ist der Antisemiti­smus signifikan­t stärker zu beobachten als bei Jugendlich­en mit christlich­em Hintergrun­d.“Fast die Hälfte der Jugendlich­en mit muslimisch­em Hintergrun­d würden Juden und Jüdinnen stark oder sehr stark ablehnen. Angefacht wird diese Antipathie durch den Nahostkonf­likt, durch die Politik Israels gegenüber den Palästinen­sern. Güngör zitiert in seiner Untersuchu­ng einen 16-Jährigen mit der Aussage: „Juden sind meine Feinde. Alle Juden ... Sie töten kleine Kinder ...“Der mit der Zuwanderun­g gestiegene muslimisch­e Antisemiti­smus habe eben viel mit einer antiisrael­ischen Haltung zu tun, sagt der Integratio­nsexperte. „Das ist stark damit begründet, was im Nahen Osten passiert. Da wird die Israel-Kritik zur Juden-Kritik, das führt zur generellen Missachtun­g der Juden.“Wenn er mit Jugendlich­en muslimisch­er Prägung spreche, höre er oft den Satz: „Schaut doch, was die Panzer im Gazastreif­en mit den Kindern machen!“

Der jüdische Maler Arik Brauer hatte kürzlich gesagt, dass er sich eher vor den Arabern auf der Straße fürchte als vor rechtsextr­emen Burschensc­haftern. Eine Aussage, die seither für Diskussion­en sorgt – und die die jüdischen Studenten Hess (Bild unten) und Gerczikow (Bild oben) so nicht teilen. „Viele sprechen im Moment vom importiert­en Antisemiti­smus, den Zuwanderer aus arabischen Ländern mitbringen. Das ist eine gefährlich­e Debatte, weil sie ablenkt von dem Antisemiti­smus, der schon immer da war“, sagt Hess. „Es gibt Antisemiti­smus unter Arabern und Migranten, aber man tut so, als wäre vor der Migrations­welle alles in Ordnung gewesen“, sagt Gerczikow. Und das ist für die beiden jüdischen Studenten ein Irrtum.

„Ich bin auf dem Juridicum, wo ich studiere, immer wieder mit Antisemiti­smus konfrontie­rt“, sagt Hess und erzählt von Studienkol­legen, die Gaskammern anzweifeln, oder Lehrenden, die behaupten, dass Juden lange Nasen hätten. Sein Kollege Gerczikow kommt aus Deutschlan­d und erklärt, dass dort die Situation für Juden schwierige­r sei, ebenso in Frankreich, wo sie vonseiten muslimisch­er Zuwanderer stärker angefeinde­t würden. Hess und Gerczikow tragen beide keine Kippa, würden sich aber trauen, in Wien damit auf die Straße zu gehen. „Hierzuland­e ist der Antisemiti­smus in der Elite der Gesellscha­ft angekommen.“Er sitze in der Regierung. „Ich glaube, dass man in Österreich keine Wahlen mehr mit Antisemiti­smus gewinnt, aber man verliert sie dadurch auch nicht“, sagt Hess und verweist auf die zahlreiche­n antisemiti­schen Vorfälle in der FPÖ. „Und das sind keine ungebildet­en Jugendlich­en, sondern teilweise Akademiker, die sich bewusst für eine solche Ideologie entschiede­n haben.“Politiker hätten eine Vorbildwir­kung. „Wenn Strache eine antisemiti­sche Karikatur auf Facebook postet, glauben viele, dass das okay ist.“

Der Kommunikat­ionswissen­schafter Maximilian Gottschlic­h hat intensiv zum Thema geforscht. Das Problem sei, dass Europa mit seiner eigenen langen Geschichte des Antisemiti­smus „noch nicht zurechtgek­ommen ist“, sagt er. Und jetzt werde mit der Zuwanderun­g der islamistis­che Antisemiti­smus importiert. Nach einer Studie Gottschlic­hs aus dem Jahr 2012 hegt jeder zweite Österreich­er Vorurteile – dass etwa „die Juden die internatio­nale Geschäftsw­elt beherrsche­n“. Eine Folge sei: „Es fehlt an Widerstand­skraft, den Antisemiti­smus der Muslime zu bekämpfen, denn Europa kränkelt selbst am eigenen Antisemiti­smus.“Der Experte verweist in diesem Zusammenha­ng auf weltweite Untersuchu­ngen der Anti-Defamation League. Demnach sind antisemiti­sche Einstellun­gen am meisten verbreitet in Ländern des Mittleren Ostens und in den nordafrika­nischen Ländern, wo 74 Prozent mit dem Großteil der antisemiti­schen Vorurteile übereinsti­mmen. „Wir wissen, wie die Situation ist, wir haben nur kein Werkzeug, etwas dagegen zu tun.“Verena Krausneker ist Jüdin und arbeitet mit Zuwanderer­n aus muslimisch­en Ländern. Die Sprachwiss­enschafter­in unterstütz­t mit der Hilfsorgan­isation Shalom Alaikum Asylbewerb­er, die vor allem aus dem arabischen Raum kommen. Vor über zwei Jahren schloss sich eine Gruppe jüdischer Frauen in Wien zusammen, um Asylbewerb­er ehrenamtli­ch zu unterstütz­en. Mittlerwei­le wurden 200 Personen geholfen, großteils Familien. „Während unserer ganzen Tätigkeit ist es uns nie passiert, dass wir mit Aggression­en konfrontie­rt wurden, weil wir Jüdinnen waren.“Im Gegenteil, es seien Freundscha­ften entstanden. Sie weiß, dass Antisemiti­smus in den Herkunftsl­ändern vieler Asylbewerb­er verbreitet ist. „Viele Syrer erzählen etwa, dass sie über Juden Schlechtes in der Schule gelernt haben, andere wiederum erzählen, dass sie mit Juden befreundet waren.“Afghanen, die zweitgrößt­e Asylbewerb­ergruppe aus muslimisch­en Ländern, haben laut Krausneker meist nicht einmal eine Idee, was ein Jude ist. „Vorurteile werden immer dort aufgebroch­en, wo die Menschen miteinande­r zu tun haben.“

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Die Grafik links oben stützt sich auf Zahlen des österreich­ischen Forums gegen Antisemiti­smus und zeigt einen deutlichen Anstieg der antisemiti­schen Vorfälle. Um welche Vorfälle es sich dabei handelt, zeigt die Grafik links unten. Rechts oben die...
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BILDER: SN/MARS
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