Alte und neue Hassgefühle
Der Antisemitismus steckt noch immer in vielen Köpfen. Verschärft wird das Problem jetzt durch Zuwanderer, die Israel als Todfeind betrachten.
Die Liste an antisemitischen Kommentaren ist lang. Benjamin Hess und Ruben Gerczikow (Bilder) haben sie auf Facebook gesammelt, um zu zeigen, wie präsent der Hass auf Juden in Österreich immer noch ist. „Fakt ist das (sic!) die juden (sic!) das Geld privatisiert haben und die Menschheit mit Schulden überzieht“, schreibt etwa Gerhard N. Und Mustafa K. beschimpft Juden als Kindermörder und Schlangen. Die Aussagen sind nur wenige Tage alt. Sie stammen von der Facebook-Seite der Jüdischen Hochschülerschaft Österreich.
Mehr als 500 antisemitische Vorfälle zählte das Forum gegen Antisemitismus (FGA) im Jahr 2017. Das sind doppelt so viele wie noch drei Jahre davor. In den meisten Fällen handelte es sich um Anrufe, E-Mails oder Verunglimpfungen via Internet. Allerdings sind nur Vorfälle erfasst, die dem FGA gemeldet worden sind. Experten gehen von einer hohen Dunkelziffer aus. Schwieriger wird es, wenn es um den Ursprung des Judenhasses geht. Laut der FGA-Studie liegt bei mehr als 60 Prozent der Fälle kein ideologischer Hintergrund vor. 24 Prozent haben einen rechten Hintergrund, zehn Prozent einen islamischen, drei Prozent einen linken. Laut aktuellem Verfassungsschutzbericht ist Antisemitismus weltweit ein gemeinsames Bindeglied sämtlicher Extremismusformen und wird außerdem auch von Menschen weitergetragen, die keiner extremistischen Gruppierung angehören.
Der Soziologe Kenan Güngör kam 2016 in einer Studie über Jugendliche in Wiener Jugendzentren zu folgendem Schluss: „Bei muslimischen Jugendlichen ist der Antisemitismus signifikant stärker zu beobachten als bei Jugendlichen mit christlichem Hintergrund.“Fast die Hälfte der Jugendlichen mit muslimischem Hintergrund würden Juden und Jüdinnen stark oder sehr stark ablehnen. Angefacht wird diese Antipathie durch den Nahostkonflikt, durch die Politik Israels gegenüber den Palästinensern. Güngör zitiert in seiner Untersuchung einen 16-Jährigen mit der Aussage: „Juden sind meine Feinde. Alle Juden ... Sie töten kleine Kinder ...“Der mit der Zuwanderung gestiegene muslimische Antisemitismus habe eben viel mit einer antiisraelischen Haltung zu tun, sagt der Integrationsexperte. „Das ist stark damit begründet, was im Nahen Osten passiert. Da wird die Israel-Kritik zur Juden-Kritik, das führt zur generellen Missachtung der Juden.“Wenn er mit Jugendlichen muslimischer Prägung spreche, höre er oft den Satz: „Schaut doch, was die Panzer im Gazastreifen mit den Kindern machen!“
Der jüdische Maler Arik Brauer hatte kürzlich gesagt, dass er sich eher vor den Arabern auf der Straße fürchte als vor rechtsextremen Burschenschaftern. Eine Aussage, die seither für Diskussionen sorgt – und die die jüdischen Studenten Hess (Bild unten) und Gerczikow (Bild oben) so nicht teilen. „Viele sprechen im Moment vom importierten Antisemitismus, den Zuwanderer aus arabischen Ländern mitbringen. Das ist eine gefährliche Debatte, weil sie ablenkt von dem Antisemitismus, der schon immer da war“, sagt Hess. „Es gibt Antisemitismus unter Arabern und Migranten, aber man tut so, als wäre vor der Migrationswelle alles in Ordnung gewesen“, sagt Gerczikow. Und das ist für die beiden jüdischen Studenten ein Irrtum.
„Ich bin auf dem Juridicum, wo ich studiere, immer wieder mit Antisemitismus konfrontiert“, sagt Hess und erzählt von Studienkollegen, die Gaskammern anzweifeln, oder Lehrenden, die behaupten, dass Juden lange Nasen hätten. Sein Kollege Gerczikow kommt aus Deutschland und erklärt, dass dort die Situation für Juden schwieriger sei, ebenso in Frankreich, wo sie vonseiten muslimischer Zuwanderer stärker angefeindet würden. Hess und Gerczikow tragen beide keine Kippa, würden sich aber trauen, in Wien damit auf die Straße zu gehen. „Hierzulande ist der Antisemitismus in der Elite der Gesellschaft angekommen.“Er sitze in der Regierung. „Ich glaube, dass man in Österreich keine Wahlen mehr mit Antisemitismus gewinnt, aber man verliert sie dadurch auch nicht“, sagt Hess und verweist auf die zahlreichen antisemitischen Vorfälle in der FPÖ. „Und das sind keine ungebildeten Jugendlichen, sondern teilweise Akademiker, die sich bewusst für eine solche Ideologie entschieden haben.“Politiker hätten eine Vorbildwirkung. „Wenn Strache eine antisemitische Karikatur auf Facebook postet, glauben viele, dass das okay ist.“
Der Kommunikationswissenschafter Maximilian Gottschlich hat intensiv zum Thema geforscht. Das Problem sei, dass Europa mit seiner eigenen langen Geschichte des Antisemitismus „noch nicht zurechtgekommen ist“, sagt er. Und jetzt werde mit der Zuwanderung der islamistische Antisemitismus importiert. Nach einer Studie Gottschlichs aus dem Jahr 2012 hegt jeder zweite Österreicher Vorurteile – dass etwa „die Juden die internationale Geschäftswelt beherrschen“. Eine Folge sei: „Es fehlt an Widerstandskraft, den Antisemitismus der Muslime zu bekämpfen, denn Europa kränkelt selbst am eigenen Antisemitismus.“Der Experte verweist in diesem Zusammenhang auf weltweite Untersuchungen der Anti-Defamation League. Demnach sind antisemitische Einstellungen am meisten verbreitet in Ländern des Mittleren Ostens und in den nordafrikanischen Ländern, wo 74 Prozent mit dem Großteil der antisemitischen Vorurteile übereinstimmen. „Wir wissen, wie die Situation ist, wir haben nur kein Werkzeug, etwas dagegen zu tun.“Verena Krausneker ist Jüdin und arbeitet mit Zuwanderern aus muslimischen Ländern. Die Sprachwissenschafterin unterstützt mit der Hilfsorganisation Shalom Alaikum Asylbewerber, die vor allem aus dem arabischen Raum kommen. Vor über zwei Jahren schloss sich eine Gruppe jüdischer Frauen in Wien zusammen, um Asylbewerber ehrenamtlich zu unterstützen. Mittlerweile wurden 200 Personen geholfen, großteils Familien. „Während unserer ganzen Tätigkeit ist es uns nie passiert, dass wir mit Aggressionen konfrontiert wurden, weil wir Jüdinnen waren.“Im Gegenteil, es seien Freundschaften entstanden. Sie weiß, dass Antisemitismus in den Herkunftsländern vieler Asylbewerber verbreitet ist. „Viele Syrer erzählen etwa, dass sie über Juden Schlechtes in der Schule gelernt haben, andere wiederum erzählen, dass sie mit Juden befreundet waren.“Afghanen, die zweitgrößte Asylbewerbergruppe aus muslimischen Ländern, haben laut Krausneker meist nicht einmal eine Idee, was ein Jude ist. „Vorurteile werden immer dort aufgebrochen, wo die Menschen miteinander zu tun haben.“