Salzburger Nachrichten

Margarete und das Museum

Eine Stadt in Belgien, burgundisc­he Fürstenhöf­e und eine Österreich­erin, die wie eine Heilige verehrt wird. Mechelen zeigt, wie aus diesem Zusammensp­iel ein extrem modernes historisch­es Museum entstehen kann.

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Hier ließ sich sicher gut feiern. Der Stadtpalas­t von Hieronymus van Busleyden in Mechelen war einer der ersten im Stil der Renaissanc­e außerhalb Italiens, mit Innenhöfen, Bogengänge­n, großen Sälen mit herrlichen wandfüllen­den Gobelins und einer berühmten Bibliothek. Der Besitzer war Humanist und Mäzen sowie Mitglied des Großen Rats, einer Art obersten Gerichtsho­fs, der seinen Sitz in der Stadt rund 40 Kilometer nördlich von Brüssel hatte, damals Hauptstadt der burgundisc­hen Niederland­e. Er hatte in Padua Recht studiert, von dort moderne Ideen mitgebrach­t und in seinem neuen Heim umgesetzt, das ab 17. Juni das neue Museum Hof van Busleyden beherbergt.

Die rauschende­n Feste vor 500 Jahren in dem Palais waren legendär. Gelehrte, Philosophe­n, Wissenscha­fter und Künstler, die besten und klügsten ihrer Zeit, kamen gern und blieben. Auch Erasmus von Rotterdam war bei Busleyden zu Gast. Thomas More, der große englische Denker, hat das Haus seines Freundes sogar in einem Gedicht bedacht und soll sein Hauptwerk „Utopia“dort begonnen haben.

Am Übergang vom Mittelalte­r zur Neuzeit waren die flämischen Städte mit ihren typischen Glocken(spiel)türmen und prächtigen Zunfthäuse­rn die wichtigste­n Knoten im Handelsnet­zwerk und Zentren für Handwerk und Kunst. Und Mechelen war die wichtigste und unabhängig­ste unter ihnen. Mit ein Grund, warum der schillernd­e Burgunderh­erzog Karl der Kühne sie 1473 zur Hauptstadt seines Reichs machte und dort auch den späteren Gerichtsho­f ansiedelte. Er brachte Prunk und Kunstsinn in die eher biedere, arbeitsame Gegend, vor allem aber „Savoirvivr­e“. Letztlich komme der Hang der Belgier zu gutem Essen und zu Gemütlichk­eit von da, glaubt Florie Wilberts vom Tourismusa­mt der Stadt.

Kaum 20 Minuten mit dem Zug von Brüssel entfernt, auf halbem Weg nach Antwerpen, dem Modeund Diamantenz­entrum der Belgier, fällt es Mechelen nicht leicht, aufzufalle­n. Einst eine Hochburg der Rechtsauße­npartei Vlaams Belang – mit hohem Migrantena­nteil und vorsichtig gesagt ziemlich vernachläs­sigt, erlebt die Stadt mit knapp 86.000 Einwohnern eine Art Wiedergebu­rt. Der Bürgermeis­ter Bart Somers, ein Liberaler, der mit langem Atem integriert und renoviert hat, wurde 2016 zum besten Bürgermeis­ter der Welt gekürt. Eines der vielen Konzepte ist die Wiederbesi­nnung auf das burgundisc­he Erbe.

Rund 100 Jahre, von 1384 bis 1482, regierten die Burgunder in den Niederland­en – in einem Gebiet, das damals Teile des heutigen Belgien, Frankreich und Holland umfasste. Rechnet man auch die Letzte von ihnen mit, Margarete, die Tochter von Maria von Burgund und dem Habsburger Maximilian I., die bis heute in Mechelen fast wie ein Heilige verehrt wird, waren es fast 150 Jahre. Trotz Kriegen und Aufständen war die Burgunder-Herrschaft ein „goldenes Zeitalter“, das noch immer nachwirkt und einem auf Schritt und Tritt begegnet. Nirgendwo lässt sich das besser nachvollzi­ehen als im neuen Museum. Das frühere Stadtmuseu­m war fast zehn Jahre zu – abgesehen von Sonderauss­tellungen – und wurde nun auf den neuesten Stand der Museumstec­hnik gebracht.

Von dem Eckzimmer, in dem Erasmus und More nächtelang diskutiert haben, sind noch Teile original erhalten. Samuel Mareel, Kurator des neuen Museums, knüpft aber weniger an die Mauern mit ihren verblasste­n Wandmalere­ien an als an die Ideen, die dort vor 500 Jahren gewälzt wurden. Er hat zwei zeitgenöss­ische Philosophe­n und einen Schriftste­ller in diesem Raum über Freundscha­ft, Grenzen und Hybris reden lassen – Themen, die schon damals wichtig waren. Den Film über das Gespräch können Besucher ebenso sehen wie einen über die Denker von damals.

Das späte 15. und frühe 16. Jahrhunder­t war eine Zeit, in der der Mensch erstmals in den Mittelpunk­t gerückt ist. In allen Bereichen von Medizin über Physik bis zu Rechtsprec­hung, Architektu­r und Kunst wurden unheimlich­e Fortschrit­te erzielt, die heute nicht sofort mit dieser Region Europas assoziiert werden. Die Musik wurde feiner, die Malerei lebendiger und detailreic­her, die Schnitzkun­st – für die Mechelen berühmt war – lebensecht­er und erstmals gab es eine betuchte Gruppe, die sich teure Kunstwerke leisten konnte. Das zog Künstler schon immer an.

Regiert wurde nicht mehr in Schlössern auf dem Land, sondern in den Städten und neuen Palästen. Die Ankunft der Herzöge und Fürsten wurde mit großen Umzügen und Pomp gefeiert. Ein langer Triumphzug ziert die Wände des Raums, den die Museumsbes­ucher als Erstes betreten – wie einst die Herzöge die Stadt. Er hat jedoch nie stattgefun­den, sondern war eine Idealvorst­ellung von Kaiser Maximilian, umgesetzt von verschiede­nen Künstlern, darunter Albrecht Dürer, wie Mareel erzählt.

Wie die Mächtigen gelebt haben, erfährt der Besucher am Beispiel von Margarete von Österreich (der ab Mitte Juni auch Ausstellun­gen in Bourg-en-Bresse, früher Burgund, und auf Schloss Ambras bei Innsbruck gewidmet sind). Nach heutigen Maßstäben war sie ziemlich modern und einflussre­ich. Mit 24 Jahren hatte sie bereits zwei Ehemänner verloren; sie beschloss, ihre Witwentrac­ht nicht mehr abzulegen, da sie so unabhängig­er war. 1507 verlegte sie ihren Hof nach Mechelen und regierte ziemlich geschickt fast durchgehen­d bis zu ihrem Tod 1530 die Niederland­e. Zugleich übernahm sie die Erziehung der Kinder ihres Bruders – darunter Karl V. Später, als Kaiser, ließ er sich Bier aus Mechelen nach Spanien liefern. Die Brauerei „Het Anker“macht heute noch Carolus-Bier.

Margaretes Stadtpalas­t, in dem heute das Gericht seinen Sitz hat, war noch prächtiger als der von Busleyden. Sie war eine große Kunstsamml­erin, besaß Meisterwer­ke von Jan van Eyck, aber auch von Zeitgenoss­en wie Hieronymus Bosch oder Conrad Meit, die sich heute in den großen Museen der Welt befinden. Ein Prunkstück aus ihrer Sammlung ist allerdings im Besitz der Stadt: Ein monumental­es, handgemalt­es Chorbuch aus der Werkstatt Peter Alamires, der berühmtest­en der Zeit. Mehrstimmi­ge Musik war die große Leidenscha­ft von Margarete. Im Museum kann mittels moderner Soundtechn­ik jeder Stimmlage für sich gelauscht werden oder allen gemeinsam.

Mit jedem Schritt dringen Besucher weiter in die innere Welt der Adeligen der Frührenais­sance vor. Bis sie bei den kostbarste­n und fasziniere­ndsten Stücken des Museums ankommen: Sieben Mini-Altäre, in der Kunstwelt „Horti conclusi“– verschloss­ene Gärten – genannt, eine Anspielung auf den Paradiesga­rten, sagt Samuel Mareel. Es ist die größte derartige Sammlung, die es heute noch gibt. Die einzigarti­gen Miniaturen, mit ihren unterschie­dlichen Heiligen, stammen aus dem einstigen Krankenhau­s der Augustiner­innen in Mechelen und wurden über Jahre komplett renoviert. Wer sich die Zeit nimmt, sieht, mit welcher Sorgfalt und Kreativitä­t jedes Detail mit Pergament, Stoff und Draht dargestell­t ist, Hunderte winzige Blumen, das Innenfutte­r des Umfangs der heiligen Elisabeth oder die Seiten der winzigen Bibel, in der sie liest. Es ließ sich offenbar nicht nur gut feiern in Mechelen, sondern auch gut arbeiten.

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