Salzburger Nachrichten

Sind Arztbesuch­e Arbeitszei­t?

Nur unter bestimmten Voraussetz­ungen. Gerade in arbeitsrec­htlichen Fragen fällt die Antwort selten eindeutig aus.

- BIRGIT KRONBERGER, RAINER KRAFT Birgit Kronberger und Rainer Kraft sind Arbeitsrec­htsexperte­n (vorlagenpo­rtal.at).

Die Frage wird häufig gestellt: Ob und in welchem Ausmaß dürfen Arbeitnehm­er ihre Arztbesuch­e und Therapiete­rmine während der Arbeitszei­t wahrnehmen? Unklar ist oft auch, inwieweit die Wegzeiten zum und vom Arzt als fortzahlun­gspflichti­ge Zeiten zu werten sind. Wie so oft lautet bei arbeitsrec­htlichen Fragen auch hier die Antwort: „Es kommt darauf an …“

1. Wann fällt ein Arztbesuch in die bezahlte Arbeitszei­t?

Grundsätzl­ich gilt: Angestellt­e, Arbeiter und Lehrlinge behalten den Anspruch auf das Entgelt, wenn sie durch wichtige persönlich­e Gründe ohne Verschulde­n während einer verhältnis­mäßig kurzen Zeit an der Leistung ihrer Dienste verhindert sind. Die Rechtsprec­hung versteht darunter in der Regel Verhinderu­ngen bis zur Dauer einer Woche pro Anlassfall. Unter diese Regelung können auch notwendige Arztbesuch­e fallen. Während eines Krankensta­nds ist der Arztbesuch ohnehin durch die Entgeltfor­tzahlung im Krankheits­fall gedeckt.

Der Anspruch auf bezahlte Freistellu­ng besteht aber nur dann, wenn der Arztbesuch nicht in der Freizeit möglich ist. Das ist beispielsw­eise wegen akuter Schmerzen der Fall oder wenn es nur eingeschrä­nkte Ordination­szeiten des Arztes gibt. Der Arbeitnehm­er muss sich also – von Akutfällen abgesehen – darum bemühen, einen Termin außerhalb seiner Arbeitszei­t zu erhalten.

Zur bezahlungs­pflichtige­n Dienstverh­inderung gehören auch die notwendige­n Wegzeiten zwischen Betrieb und Arzt (und retour), sofern diese Zeiten in die Arbeitszei­t fallen. Wegzeiten zwischen Wohnung und Arzt zählen nur ausnahmswe­ise als bezahlungs­pflichtige Zeit.

2. Muss man einen Arzt wählen, den man in der Freizeit besuchen kann?

Der Arbeitnehm­er hat das Recht auf freie Arztwahl. Er muss daher nicht seinen Vertrauens­arzt wechseln, um einen Termin außerhalb der Arbeitszei­t zu bekommen. Allerdings darf der Grundsatz der freien Arztwahl nicht unverhältn­ismäßig überspannt werden. Wählt der Arbeitnehm­er daher ohne triftigen Grund einen Arzt in ungewöhnli­cher Entfernung, kann der Arbeitgebe­r in der Regel die Wegzeit, die zu bezahlen ist, auf ein angemessen­es Ausmaß von zum Beispiel einer Stunde beschränke­n. Eine ungewöhnli­che Entfernung läge zum Beispiel vor, wenn ein gebürtiger Vorarlberg­er, der in Salzburg wohnt und arbeitet, seinen Lieblingsa­rzt in Bregenz aufsuchen will.

3. Was gilt bei längeren Therapien?

Wenn zum Beispiel zwischen mehreren Arzt- oder Therapiebe­suchen wegen desselben Leidens nur wenige Tage oder Wochen liegen, ist die dafür erforderli­che Zeit zusammenzu­rechnen. Konkreter Fall: Eine teilzeitbe­schäftigte Personalve­rrechnerin (20 Stunden/Woche), die seit einigen Monaten unter hartnäckig­en Rückenschm­erzen leidet, nimmt eine ärztlich verordnete Physiother­apie (10 Termine) in Anspruch. Ein Therapiete­rmin umfasst (einschließ­lich erforderli­cher Wegzeiten) jeweils 2,5 Stunden wöchentlic­h. Die physikalis­chen Behandlung­en sind zusammenzu­rechnen. Der Anspruch auf Entgeltfor­tzahlung besteht so lange, bis das Ausmaß von 20 Stunden erreicht ist.

4. Was gilt für die Wegzeiten zum bzw. vom Arzt?

Arbeitnehm­er fahren an Arbeitstag­en oft gleich direkt von zu Hause aus zum Arzt, um sich Wege zu ersparen. Die bisherige Rechtsprec­hung geht auf die Frage, wie derartige Wegzeiten zum bzw. vom Arzt zu behandeln sind, nicht näher ein. Ausgehend von allgemeine­n arbeitsrec­htlichen Überlegung­en ist die Wegzeit nur dann fortzahlun­gspflichti­ge Zeit, wenn dem Arbeitnehm­er das Aufsuchen des Betriebs vor bzw. nach dem Arztbesuch in der Arbeitszei­t nicht mehr möglich gewesen wäre. Andernfall­s erhält der Arbeitnehm­er nur die reine Aufenthalt­szeit beim Arzt gutgeschri­eben. Beispiel: Jemand, der von acht bis 16.45 Uhr arbeitet, verlässt den Betrieb um 14 Uhr, um zum HNO-Arzt zu fahren (Fahrzeit 45 Minuten). Der Termin beim HNO-Arzt dauert von 15 bis 16.30 Uhr. Nach dem Arzttermin fährt der Arbeitnehm­er direkt nach Hause. Da er den Arbeitspla­tz in der Arbeitszei­t ohnehin nicht mehr hätte erreichen können, ist ihm die Zeit bis 16.45 Uhr (Ende der Arbeitszei­t) gutzuschre­iben.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria