Sind Arztbesuche Arbeitszeit?
Nur unter bestimmten Voraussetzungen. Gerade in arbeitsrechtlichen Fragen fällt die Antwort selten eindeutig aus.
Die Frage wird häufig gestellt: Ob und in welchem Ausmaß dürfen Arbeitnehmer ihre Arztbesuche und Therapietermine während der Arbeitszeit wahrnehmen? Unklar ist oft auch, inwieweit die Wegzeiten zum und vom Arzt als fortzahlungspflichtige Zeiten zu werten sind. Wie so oft lautet bei arbeitsrechtlichen Fragen auch hier die Antwort: „Es kommt darauf an …“
1. Wann fällt ein Arztbesuch in die bezahlte Arbeitszeit?
Grundsätzlich gilt: Angestellte, Arbeiter und Lehrlinge behalten den Anspruch auf das Entgelt, wenn sie durch wichtige persönliche Gründe ohne Verschulden während einer verhältnismäßig kurzen Zeit an der Leistung ihrer Dienste verhindert sind. Die Rechtsprechung versteht darunter in der Regel Verhinderungen bis zur Dauer einer Woche pro Anlassfall. Unter diese Regelung können auch notwendige Arztbesuche fallen. Während eines Krankenstands ist der Arztbesuch ohnehin durch die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall gedeckt.
Der Anspruch auf bezahlte Freistellung besteht aber nur dann, wenn der Arztbesuch nicht in der Freizeit möglich ist. Das ist beispielsweise wegen akuter Schmerzen der Fall oder wenn es nur eingeschränkte Ordinationszeiten des Arztes gibt. Der Arbeitnehmer muss sich also – von Akutfällen abgesehen – darum bemühen, einen Termin außerhalb seiner Arbeitszeit zu erhalten.
Zur bezahlungspflichtigen Dienstverhinderung gehören auch die notwendigen Wegzeiten zwischen Betrieb und Arzt (und retour), sofern diese Zeiten in die Arbeitszeit fallen. Wegzeiten zwischen Wohnung und Arzt zählen nur ausnahmsweise als bezahlungspflichtige Zeit.
2. Muss man einen Arzt wählen, den man in der Freizeit besuchen kann?
Der Arbeitnehmer hat das Recht auf freie Arztwahl. Er muss daher nicht seinen Vertrauensarzt wechseln, um einen Termin außerhalb der Arbeitszeit zu bekommen. Allerdings darf der Grundsatz der freien Arztwahl nicht unverhältnismäßig überspannt werden. Wählt der Arbeitnehmer daher ohne triftigen Grund einen Arzt in ungewöhnlicher Entfernung, kann der Arbeitgeber in der Regel die Wegzeit, die zu bezahlen ist, auf ein angemessenes Ausmaß von zum Beispiel einer Stunde beschränken. Eine ungewöhnliche Entfernung läge zum Beispiel vor, wenn ein gebürtiger Vorarlberger, der in Salzburg wohnt und arbeitet, seinen Lieblingsarzt in Bregenz aufsuchen will.
3. Was gilt bei längeren Therapien?
Wenn zum Beispiel zwischen mehreren Arzt- oder Therapiebesuchen wegen desselben Leidens nur wenige Tage oder Wochen liegen, ist die dafür erforderliche Zeit zusammenzurechnen. Konkreter Fall: Eine teilzeitbeschäftigte Personalverrechnerin (20 Stunden/Woche), die seit einigen Monaten unter hartnäckigen Rückenschmerzen leidet, nimmt eine ärztlich verordnete Physiotherapie (10 Termine) in Anspruch. Ein Therapietermin umfasst (einschließlich erforderlicher Wegzeiten) jeweils 2,5 Stunden wöchentlich. Die physikalischen Behandlungen sind zusammenzurechnen. Der Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht so lange, bis das Ausmaß von 20 Stunden erreicht ist.
4. Was gilt für die Wegzeiten zum bzw. vom Arzt?
Arbeitnehmer fahren an Arbeitstagen oft gleich direkt von zu Hause aus zum Arzt, um sich Wege zu ersparen. Die bisherige Rechtsprechung geht auf die Frage, wie derartige Wegzeiten zum bzw. vom Arzt zu behandeln sind, nicht näher ein. Ausgehend von allgemeinen arbeitsrechtlichen Überlegungen ist die Wegzeit nur dann fortzahlungspflichtige Zeit, wenn dem Arbeitnehmer das Aufsuchen des Betriebs vor bzw. nach dem Arztbesuch in der Arbeitszeit nicht mehr möglich gewesen wäre. Andernfalls erhält der Arbeitnehmer nur die reine Aufenthaltszeit beim Arzt gutgeschrieben. Beispiel: Jemand, der von acht bis 16.45 Uhr arbeitet, verlässt den Betrieb um 14 Uhr, um zum HNO-Arzt zu fahren (Fahrzeit 45 Minuten). Der Termin beim HNO-Arzt dauert von 15 bis 16.30 Uhr. Nach dem Arzttermin fährt der Arbeitnehmer direkt nach Hause. Da er den Arbeitsplatz in der Arbeitszeit ohnehin nicht mehr hätte erreichen können, ist ihm die Zeit bis 16.45 Uhr (Ende der Arbeitszeit) gutzuschreiben.