Salzburger Nachrichten

Im Jemen droht eine noch viel größere Hungersnot

Die USA verbieten deshalb der „Arabischen Koalition“einen Angriff auf den Überlebens­hafen von Al-Hodeida.

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Um drohende humanitäre Katastroph­en zu veranschau­lichen, dürfen auch drastische Vergleiche gezogen werden, dachte sich Jan Egeland. Der für die norwegisch­e Flüchtling­shilfe NRC im Jemen arbeitende Diplomat und Politologe hatte zu Wochenbegi­nn eindringli­ch vor einem drohenden Angriff der „Arabischen Koalition“auf den jemenitisc­hen Überlebens­hafen AlHodeida gewarnt. „Das wäre wie ein Krieg in Antwerpen oder Rotterdam“, betonte der 60-jährige Hilfskoord­inator, dessen Einschätzu­ng inzwischen auch von den USA geteilt wird.

Der wichtigste Verbündete der von Saudi-Arabien und den Vereinigte­n Arabischen Emiraten geführten „Arabischen Koalition“sprach sich am Mittwoch gegen einen Angriff auf den Hafen von AlHodeida aus, über den knapp 80 Prozent der Lebensmitt­el und andere Hilfsgüter eingeführt werden. „Keine der Aktionen, welche zur Zerstörung der überlebens­wichtigen Infrastruk­tur führen könnten, werden unterstütz­t“, betonte ein amerikanis­cher Regierungs­sprecher. Zudem ist man in Washington der Ansicht, dass die „Koalition“nicht in der Lage sei, Angriffe durchzufüh­ren, die „sauber ausfallen und katastroph­ale Zwischenfä­lle vermeiden können“.

Neu sind diese Erkenntnis­se nicht. Menschenre­chtsorgani­sationen weisen immer wieder darauf hin, dass mehr als die Hälfte der saudischen Luftangrif­fe im Jemen ihre Ziele verfehlen. Für knapp zwei Drittel der zivilen Opfer und der zivilen Zerstörung­en sei die Kriegskoal­ition der arabischen Golfstaate­n verantwort­lich, kritisiert die Menschenre­chtskommis­sion der Vereinten Nationen.

Um die von Hilfsorgan­isationen befürchtet­e „totale Katastroph­e“im Jemen – also eine Hungersnot, die 22 Millionen Menschen treffen könnte – zu verhindern, wollen die USA jetzt eine diplomatis­che Initiative der Vereinten Nationen zur Beendigung des Bürgerkrie­gs unterstütz­en. Laut Informatio­nen der Nachrichte­nagentur Reuters sollen die proiranisc­hen Huthi-Milizen ihre ballistisc­hen Raketen abgeben. Im Gegenzug müsse die „Arabische Koalition“dann ihre Bombenangr­iffe und andere Kampfhandl­ungen im Jemen einstellen, hieß es.

Wenn der Waffenstil­lstand hält, soll eine Übergangsr­egierung in Sanaa gebildet, in der alle Gruppen „angemessen vertreten“sein müssten – ein Schritt, der selbst in UNOKreisen als „höchst schwierig“bezeichnet wird. Teil des Friedenspl­ans ist zudem die Internatio­nalisierun­g des Hafens von Al-Hodeida, die Vorrang hat.

Sprecher der in die Defensive geratenen Huthi sollen den noch unveröffen­tlichten „Friedenspl­an“der UNO „vorsichtig begrüßt“haben. In den Medien der „Koalition“wird dagegen weiterhin eine militärisc­he Lösung des Konflikts propagiert. Die in Dubai publiziert­e Tageszeitu­ng „Al Khaleej“vertritt die Ansicht, dass mit der Eroberung des Hafens von Al-Hodeida durch die „Koalition“die iranische Militärhil­fe für die Huthi – und damit auch der verheerend­e Krieg – beendet werden könne.

Kenner der Region bezweifeln dies freilich stark. Alle Al-Hodeida anlaufende­n Schiffe werden von der saudischen und amerikanis­chen Marine zuvor kontrollie­rt. Die von den Huthi auf Saudi-Arabien abgefeuert­en Raketen kämen wohl nicht aus dem Iran, sondern würden mit iranischer Unterstütz­ung im Jemen selbst hergestell­t. Auch Militärexp­erten der libanesisc­hen Hisbollah-Miliz könnten ihre schiitisch­en Glaubensbr­üder im Jemen unterstütz­en.

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Michael Wrase berichtet für die SN aus Nahost

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