Die Suche nach Zweig geht in jede Richtung
Weltschriftsteller war Stefan Zweig immer. Worldwide abrufbar werden Zweigs Notizen nun dank des Literaturarchivs Salzburg.
SALZBURG. „Weltweit“– das gilt bei Schriftsteller Stefan Zweig in vielfacher Hinsicht. Weltweit war er als Schriftsteller erfolgreich. Er musste – fliehend vor den Nazis – durch die Welt reisen auf der Suche nach einem Exil. Und nach seinem Tod verstreute sich sein Nachlass auf zahlreiche Orte.
An rund 70 Orten der Welt gibt es – bisweilen nur ein paar – Zettel und Blätter, die von Zweig stammen. „Diese große Streuung ist schon ein Zweig-Spezifikum und hat wohl mit seinem Weg ins Exil zu tun“, sagt Lina-Maria Zangerl vom Literaturarchiv Salzburg. Und nun wird Zweig, der sich 1942 in Brasilien das Leben nahm, noch einmal ganz von Neuem worldwide: Dokumente seines Schaffens werden digital verknüpft.
Ein Beispiel für die Zerrissenheit des Zweig’schen Erbes ist eine längst berühmte Rede, die er für Sigmund Freud schrieb. Das erste Blatt der sechsseitigen Notizen liegt in den USA. Die restlichen fünf Seiten der „Worte am Sarg von Sigmund Freund“lagern in Salzburg.
Wie so eine Teilung passiert? Niemand kann das mit Sicherheit sagen. „Kann schon sein, dass da einfach ein Blatt dazwischengerutscht ist“, sagt die Germanistin Zangerl. Nun aber lassen sich die sechs Originalseiten zusammenführen – jedenfalls am Computer.
Möglich wird das wegen des Projekts „Stefan Zweig Digital“. Initiiert vom Literaturarchiv Salzburg, wurden – in Kooperation mit dem Grazer Zentrum für Informationsmodellierung und auch dem Salzburger Fotohof – Dokumente digital aufgearbeitet. Am Samstag geht www.stefanzweig.digital online.
Ins Literaturarchiv Salzburg kamen im Jahr 2014 durch einen Ankauf bei einer Versteigerung in London 15 Notizbücher, sechs Manuskripte auf Einzelblättern sowie 28 signierte und korrigierte Typoskripte für Romane, Novellen und Artikel . Dazu lagern in Salzburg, wo Stefan Zweig von 1919 bis 1933 lebte, seit dem Ankauf auch zwölf Journale und Tagebücher, Briefe und Postkarten sowie transkribierte und fotokopierte Korrespondenz und weiters 56 Verlagsverträge, Fotografien und weitere Dokumente.
Digital einzusehen sind nun etwa Notizbücher zu den in Salzburg entstandenen Werken „Marie Antoinette. Bildnis eines mittleren Charakters“und „Sternstunden der Menschheit“.
Wegen solcher Schätze im Archiv – und auch wegen der Arbeit des Stefan-Zweig-Centre – ist Salzburg neben der Reed Library in Fredonia (USA) und der National Library in Jerusalem der weltweit wichtigste Standort für die Zweig-Forschung. Der auf das Literaturarchiv Salzburg und das Reed College verteilte literarische Nachlass – all jene Dokumente, die sich bis zum Tod in Zweigs Besitz befanden – ist nun erstmals in seiner Gesamtheit katalogisiert und erschlossen. Die Verknüpfung der Archive dieser Institutionen durch die Digitalisierung macht es möglich, Teile des Nachlasses zu studieren.
283 handschriftliche Manuskripte und Lebensdokumente wurden im Vorfeld der Digitalisierung verzeichnet. „Rund ein Drittel davon ist nun digitalisiert“, sagt Zangerl, die im Literaturarchiv Salzburg maßgeblich an der Arbeit beteiligt war.
Ein besonderes Gustostückerl auf der Plattform ist neben den Zweig-Originalen eine Art „Lebenskalender“, den die Schweizerin Michele Schilling über Zweig erstellt hat. Schilling listet Tag für Tag in Zweigs Leben auf und beschreibt – soweit dies recherchierbar ist –, was an diesen Tagen wo passiert ist. 16.000 Zeilen in einem Excel-Dokument umfasst diese Arbeit. Und an dieser Sammlung von Orten und Daten wird auch weitergearbeitet. „Dieser Kalender bietet auf ,Zweig Digital‘ neben dem Einblick in Texte oder Notizen von großer literarischer Bedeutung auch wichtige Informationen zum Leben des Schriftstellers“, freut sich Literaturarchiv-Leiter Manfred Mittermayer, dass Schilling ihr privates Projekt „sehr großzügig“dem Literaturarchiv zu Verfügung gestellt habe.
Umfassend weit verzweigt wie der Nachlass sind auch die verschiedenen Möglichkeiten der Nutzer bei der Suche auf „Zweig Digital“. Detaillierte Beschreibungen und Verknüpfungen des Materials machen diese Online-Nachlesewelt nicht nur für wissenschaftliche Fachfragen bedeutend. „Wir wollen auch der interessierten Öffentlichkeit einen einfachen Zugriff ermöglichen“, sagt Zangerl. Anfragen wegen Zweig gibt es im Literaturarchiv viele. „Da ist die Nutzung – von internationalen Interessenten, aber auch von regionalen – sehr hoch“, sagt Zangerl. Wer nun online recherchieren will, dem stehen auf der Website auch eine biografische Übersicht und eine Liste mit Personen und wichtigen Standorten aus der Zweig-Geschichte als Anhaltspunkte und Suchmöglichkeiten zur Verfügung. Rund 700 solche Einträge gibt es.
Die Arbeit am digitalen Zweig ist längst nicht abgeschlossen. Es gilt etwa noch die Korrespondenz von Zweig zu erfassen. „Nach und nach“werden dann auch Briefe, Telegramme und Postkarten die digitale Zweig-Welt ergänzen. „Es gibt ja wahnsinnig viele Briefe“, sagt Zangerl. Bedeutend für das Leben und Werk eines Schriftstellers ist auch der Blick in seine Bibliothek. Zweigs Bibliothek zu rekonstruieren und zu erfassen sei eine „wahre Detektivarbeit“, sagt Mittermayer. 1300 Bände sind schon verzeichnet. „Dieser Bestand verschafft einen wichtigen Einblick in jene Literatur, die Zweig gelesen hat oder auch als Quelle für eigene Werke genutzt hat.“