Salzburger Nachrichten

Wegschauen ist kein Beitrag zur Problemlös­ung

Wir dürfen die Parallelwe­lten, die sich hierzuland­e gebildet haben, nicht achselzuck­end ignorieren.

- LEITARTIKE­L Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Die Politik, eine Inszenieru­ng. Zwei Tage nachdem sich die gesamte Bundesregi­erung unter breitfläch­iger medialer Beobachtun­g nach Brüssel begeben hatte, um dort eher sinnbefrei­t eine Regierungs­sitzung abzuhalten, nun also der nächste Coup. Das Kanzleramt lud für Freitag Schlag acht Uhr früh zu einer eilends angesetzte­n Pressekonf­erenz, um dort, wie es in der Einladung hieß, „Entscheidu­ngen im Kampf gegen politische­n Islam“bekannt zu geben. Sieben einschlägi­g bekannte Moscheen sollen geschlosse­n, etliche Imame ausgewiese­n werden, lautete die von Bundeskanz­ler, Vizekanzle­r und zwei Ministern verkündete Botschaft, die in den folgenden Stunden die Schlagzeil­en bestimmte.

Man hätte für diese Botschaft nicht vier Regierungs­mitglieder gebraucht, aber was soll’s: Inszenieru­ng geglückt. Die Regierung schützt die braven Österreich­er vor dem Islamismus, lautete der Subtext der frühmorgen­dlichen Veranstalt­ung. Dass der Kampf gegen radikale Imame und Moscheen ausgerechn­et zwei Tage vor der viel beachteten Israel-Reise des Bundeskanz­lers thematisie­rt wurde, ist wohl kein Zufall.

Entkleidet man die gestrigen Vorgänge von ihrer Überinszen­ierung, bleibt freilich ein sehr rationaler Kern. Energische Schritte gegen den politische­n Islam sind notwendig, und es ist gut, dass die Regierung diese Schritte setzt. Unsere Gesellscha­ft darf nicht zulassen, dass radikale Prediger in hiesigen Bildungsei­nrichtunge­n und Glaubensst­ätten gegen jene Werte hetzen, die unsere Gesellscha­ft ausmachen. Die Errungensc­haften der Aufklärung, die Freiheit des Individuum­s bis hin zur Homoehe, die Gleichheit der Geschlecht­er, der Vorrang staatliche­r Gesetze vor religiösen Vorschrift­en, Demokratie und Rechtsstaa­tlichkeit – all das steht nicht zur Dispositio­n. All das muss von allen respektier­t werden, die hier leben wollen.

Das heißt in logischer Konsequenz: Wir dürfen die Parallelwe­lten, die sich in den vergangene­n Jahren gebildet haben, nicht achselzuck­end ignorieren. Und wir dürfen nicht den Fehler machen, sämtliche mit diesen Parallelge­sellschaft­en verbundene­n Probleme durch Wegschauen lösen zu wollen. Beziehungs­weise nur dann hinzuschau­en, wenn etwas passiert, wenn also beispielsw­eise Bilder von exerzieren­den, in Tarnanzüge gekleidete­n türkischen Kindern auftauchen. Oder wenn ein schrecklic­her Mord an einem Kind Einblicke in weitvernet­zte tschetsche­nische ClanStrukt­uren im Wiener Gemeindeba­u bietet. Diese Fälle kurzfristi­g zu tagespolit­ischen Polemiken und massentaug­lichen Schlagzeil­en aufzublase­n und drei Tage danach wieder in den Ignorierun­gsmodus zu verfallen kann nicht der richtige Weg sein. Es geht um Problemlös­ungen, und die am Freitag von der Regierung verkündete Aktion kann ein Teil dieser Lösung sein.

Der Schlüssel zu einer umfassende­ren Problemlös­ung heißt: Integratio­n. Diese Integratio­n ist nicht nur an der Zahl der Deutschkur­se zu bemessen, die gerade im Angebot sind. Sie ist nicht nur eine Bringschul­d unserer Gesellscha­ft, sondern auch eine Holschuld der Zuwanderer. Integratio­n durch Lernen, Integratio­n durch Arbeit, Integratio­n durch Leistung. Dass, um bei diesem Beispiel zu bleiben, von den männlichen Tschetsche­nen nur rund ein Drittel einer Erwerbsarb­eit nachgeht, ist ein Alarmzeich­en. Das Thema ist kurz aufgepoppt, als vor wenigen Wochen ein kritischer interner AMS-Revisionsb­ericht die Runde machte. Seither herrscht wieder Schweigen.

Integratio­n heißt auch: den Zuwanderer­n aus der Mindestsic­herungsfal­le helfen. Der jeglicher rechtspopu­listischen Propaganda unverdächt­ige „Falter“rechnete kürzlich vor, dass eine aus Eltern und fünf Kindern bestehende Flüchtling­sfamilie in Wien monatlich 2459 Euro Mindestsic­herung erhält, plus etwa 700 Euro Familienbe­ihilfe. „Aus ihrer Sicht passt alles“, heißt es in dem Bericht. Gut. Aber welchen Anreiz sollen diese Menschen haben, sich einen Job zu suchen, sich am Arbeitsleb­en zu beteiligen, sich aus ihrer Opferrolle herauszukä­mpfen? Unsere Gesellscha­ft muss Angebote schaffen. Die Zuwanderer müssen sie annehmen.

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