Wegschauen ist kein Beitrag zur Problemlösung
Wir dürfen die Parallelwelten, die sich hierzulande gebildet haben, nicht achselzuckend ignorieren.
Die Politik, eine Inszenierung. Zwei Tage nachdem sich die gesamte Bundesregierung unter breitflächiger medialer Beobachtung nach Brüssel begeben hatte, um dort eher sinnbefreit eine Regierungssitzung abzuhalten, nun also der nächste Coup. Das Kanzleramt lud für Freitag Schlag acht Uhr früh zu einer eilends angesetzten Pressekonferenz, um dort, wie es in der Einladung hieß, „Entscheidungen im Kampf gegen politischen Islam“bekannt zu geben. Sieben einschlägig bekannte Moscheen sollen geschlossen, etliche Imame ausgewiesen werden, lautete die von Bundeskanzler, Vizekanzler und zwei Ministern verkündete Botschaft, die in den folgenden Stunden die Schlagzeilen bestimmte.
Man hätte für diese Botschaft nicht vier Regierungsmitglieder gebraucht, aber was soll’s: Inszenierung geglückt. Die Regierung schützt die braven Österreicher vor dem Islamismus, lautete der Subtext der frühmorgendlichen Veranstaltung. Dass der Kampf gegen radikale Imame und Moscheen ausgerechnet zwei Tage vor der viel beachteten Israel-Reise des Bundeskanzlers thematisiert wurde, ist wohl kein Zufall.
Entkleidet man die gestrigen Vorgänge von ihrer Überinszenierung, bleibt freilich ein sehr rationaler Kern. Energische Schritte gegen den politischen Islam sind notwendig, und es ist gut, dass die Regierung diese Schritte setzt. Unsere Gesellschaft darf nicht zulassen, dass radikale Prediger in hiesigen Bildungseinrichtungen und Glaubensstätten gegen jene Werte hetzen, die unsere Gesellschaft ausmachen. Die Errungenschaften der Aufklärung, die Freiheit des Individuums bis hin zur Homoehe, die Gleichheit der Geschlechter, der Vorrang staatlicher Gesetze vor religiösen Vorschriften, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit – all das steht nicht zur Disposition. All das muss von allen respektiert werden, die hier leben wollen.
Das heißt in logischer Konsequenz: Wir dürfen die Parallelwelten, die sich in den vergangenen Jahren gebildet haben, nicht achselzuckend ignorieren. Und wir dürfen nicht den Fehler machen, sämtliche mit diesen Parallelgesellschaften verbundenen Probleme durch Wegschauen lösen zu wollen. Beziehungsweise nur dann hinzuschauen, wenn etwas passiert, wenn also beispielsweise Bilder von exerzierenden, in Tarnanzüge gekleideten türkischen Kindern auftauchen. Oder wenn ein schrecklicher Mord an einem Kind Einblicke in weitvernetzte tschetschenische ClanStrukturen im Wiener Gemeindebau bietet. Diese Fälle kurzfristig zu tagespolitischen Polemiken und massentauglichen Schlagzeilen aufzublasen und drei Tage danach wieder in den Ignorierungsmodus zu verfallen kann nicht der richtige Weg sein. Es geht um Problemlösungen, und die am Freitag von der Regierung verkündete Aktion kann ein Teil dieser Lösung sein.
Der Schlüssel zu einer umfassenderen Problemlösung heißt: Integration. Diese Integration ist nicht nur an der Zahl der Deutschkurse zu bemessen, die gerade im Angebot sind. Sie ist nicht nur eine Bringschuld unserer Gesellschaft, sondern auch eine Holschuld der Zuwanderer. Integration durch Lernen, Integration durch Arbeit, Integration durch Leistung. Dass, um bei diesem Beispiel zu bleiben, von den männlichen Tschetschenen nur rund ein Drittel einer Erwerbsarbeit nachgeht, ist ein Alarmzeichen. Das Thema ist kurz aufgepoppt, als vor wenigen Wochen ein kritischer interner AMS-Revisionsbericht die Runde machte. Seither herrscht wieder Schweigen.
Integration heißt auch: den Zuwanderern aus der Mindestsicherungsfalle helfen. Der jeglicher rechtspopulistischen Propaganda unverdächtige „Falter“rechnete kürzlich vor, dass eine aus Eltern und fünf Kindern bestehende Flüchtlingsfamilie in Wien monatlich 2459 Euro Mindestsicherung erhält, plus etwa 700 Euro Familienbeihilfe. „Aus ihrer Sicht passt alles“, heißt es in dem Bericht. Gut. Aber welchen Anreiz sollen diese Menschen haben, sich einen Job zu suchen, sich am Arbeitsleben zu beteiligen, sich aus ihrer Opferrolle herauszukämpfen? Unsere Gesellschaft muss Angebote schaffen. Die Zuwanderer müssen sie annehmen.