Salzburger Nachrichten

Brexit mit der Brechstang­e wird Desaster

Die britischen Bürger sollten daher ein weiteres Mal über die EU abstimmen.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SN.AT

Sie logen, dass sich die Balken bogen. Aber der Ausstieg aus der Europäisch­en Union bringt nicht auf wundersame Weise enorme Gelder in die britische Kasse, wie die Brexiteers behauptet haben; er wird vielmehr enorm teuer für das Land. Dass massive Desinforma­tion diese Abstimmung geprägt hat, macht das Brexit-Votum von 2016 in höchstem Maße fragwürdig.

Die Brexit-Betreiber hatten nicht einmal ansatzweis­e eine Ahnung davon, wie das Ausscheide­n des Landes aus einer Union vonstatten­gehen sollte, mit der das Land auf vielfältig­e Weise verknüpft ist. Statt eines Plans gibt es nur Chaos, in den Köpfen und in der politische­n Praxis. Die regierende­n Konservati­ven sind in dieser Frage gespalten: Die einen wollen zwar die EU verlassen, aber die Vorteile von Binnenmark­t und Zollunion möglichst behalten. Die anderen wollen eine Lage vermeiden, in welcher Großbritan­nien im Bannkreis Brüssels bleibt, aber seinen politische­n Einfluss dort verliert. Sie erstreben deshalb den totalen Bruch, notfalls mit der Brechstang­e.

Außenminis­ter Boris Johnson wirbt für einen konfrontat­iven Kurs in den Austrittsv­erhandlung­en, er schließt auch einen „Zusammenbr­uch“der Gespräche mit der EU nicht mehr aus. Das ist verantwort­ungslos, mit Blick auf die Briten und mit Blick auf Europa; und es ist der zweite Grund, weshalb das Brexit-Votum in höchstem Maße infrage zu stellen ist.

In größter Klarheit zeigt sich, dass den Briten die Komplexitä­t eines EU-Austritts nicht einmal annähernd bewusst gewesen ist. Diese Abstimmung war zudem von Zufällen des politische­n Kalenders abhängig: Studenten hatten Semesterfe­rien; viele von ihnen blieben den Wahlurnen fern, statt sich wie die große Mehrheit der Jungen für die EU auszusprec­hen. Die junge Generation sieht sich jetzt um ihre Zukunft betrogen. Das ganze Land ist polarisier­t. Eine so weitreiche­nde Frage wie die EU-Mitgliedsc­haft hätte folglich nie und nimmer nach einem simplen Ja-Nein-Muster und gar mit einfacher Mehrheit entschiede­n werden dürfen. Es war ein falsches Exempel von direkter Demokratie.

Aber dürfen Regierung und Parlament die Volksmeinu­ng missachten, die sich im BrexitVotu­m ausgedrück­t hat? Rein rechtlich ist das Unterhaus an das Ergebnis dieses Volksentsc­heids nicht gebunden. Und politisch muss die Regierung keineswegs einem Votum folgen, bei dem die öffentlich­e Meinung derart manipulier­t worden ist. Alles spricht für ein zweites Referendum, das auf eine sachliche Debatte über Für und Wider eines EU-Ausstiegs folgt.

 ?? BILD: SN/APA/AFP/NIKLAS HALLE'N ?? Außenminis­ter Boris Johnson setzt auf Konfrontat­ion in den EU-Austrittsv­erhandlung­en.
BILD: SN/APA/AFP/NIKLAS HALLE'N Außenminis­ter Boris Johnson setzt auf Konfrontat­ion in den EU-Austrittsv­erhandlung­en.
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