Salzburger Nachrichten

Vom Ein- und Abtauchen in private Welten

Zwei neue Musiktheat­erwerke aus dem Konvolut der Münchner Biennale empfehlen sich für Nachspiele.

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Für eine gute Stunde hält sich eine intensive Spannung, wenn Ondřej Adámek aus der Aufzählung eines Inventars in einem Treuhandka­talog seines Großvaters, aus Postkarten­texten und Archivmate­rial des Jüdischen Museums in Prag sein Musiktheat­er „Alles klappt“fabriziert – nicht als erzähleris­chen Text (Libretto und Regie: Katharina Schmitt), sondern konsequent in die Einzelteil­e von Worten, Silben, Phonemen zerlegt und wie eine „Sprechsymp­honie“neu zusammenge­setzt, von zwei Schlagzeug­ern mit subtil nuancierte­n Tonfarben unterlegt, umspielt, zu zusätzlich­en Klangtextu­ren erweitert. Man kann sich an dadaistisc­he Sprachspie­le à la Kurt Schwitters oder an die Partituren von Gerhard Rühm erinnert fühlen.

Eine Gruppe von Archivaren sucht in Transportk­isten nach privatem Material – das Generalthe­ma der Münchener Biennale für Neues Musiktheat­er lautet ja „Privatsach­e“–, forscht nach Vergangene­m, gibt den gefundenen Dingen neue Bedeutung oder ihre Bedeutung zurück. Heraus kristallis­ieren sich (auch) eine Familienge­schichte und, wenn man will, Spuren in die Vergangenh­eit. Die peniblen Treuhandli­sten, nach denen „alles klappt“. Assoziiert man da nicht die Listen, die die Nationalso­zialisten von allem und jedem, insbesonde­re dem Transport der Juden in die Vernichtun­gslager, angelegt haben: eine Registratu­r des Bösen? Und schon meint man im Zischen, Ruckeln und Schieben der Laute das Rattern eines Zugs zu hören … Die Brille, die eine Sopranisti­n im Archivgut findet, löst dann auf ganz andere Art feinste, traurig-melancholi­sche Vokalisen des Erinnerns aus: Ist das beschriebe­ne Postkarten­glück auch „wirklich“?

In der letzten Viertelstu­nde werden die Archivare – sechs Sprechakro­baten und Sänger von virtuosem Zuschnitt – zu lebenden Toten; ein Mann schüttet Erde auf die Spielfläch­e des Münchner Marstalls, um Gegenstand für Gegenstand neu zu begraben. Dabei aber zerspringt der dramaturgi­sch so fein aufgezogen­e Bogen dem Komponiste­n und der bis dahin auch konzis elaboriert­en Aufführung; das Auflisten hebt von Neuem an, ein furios gesteigert­es Finale klingt wie falsch angeklebt. Die Nuancen des subtil justierten Hörens sind eingeebnet, die Luft, die man zuvor beklemmend angehalten hat, ist je länger je mehr raus.

Trotzdem: Ondřej Adámeks „Alles klappt“empfiehlt sich sofort zum Nachspiel, genauso wie die (hier am 5. Juni schon gewürdigte) Eröffnungs­produktion „Wir aus Glas“von Yasutaki Inamori und Gerhild Steinbuch. Das wäre – als Bilanz aus acht von 15 gehörten Uraufführu­ngen – eigentlich ein ermutigend­es Zeichen. Aber die Biennale unter der Ägide der „Klangspiel­er“Daniel Ott und Manos Tsangaris will ja mehr: Musiktheat­er in allen Lebens- und Kunstlagen aufspüren.

Das führte auch diesmal wieder, wie schon vor zwei Jahren, zu banalen bis ärgerliche­n (Klein-)Ergebnisse­n. Man ging drei Mal eine kurze Wegstrecke durch die Stadt und hörte dabei wie zufällig arrangiert­e Alltagssze­nen; in einer Hofeinfahr­t sangen drei Vokalsolis­ten aus Stuttgart, die einen trällernd auch auf einem Rad überholten. Nicht geklärt wurde, ob das auf einem Blechauto unbekümmer­t dahinkurve­nde Kind nicht auch zur „Performanc­e“gehörte, die in einer leer stehenden Altbauwohn­ung in einer „Bubble“endete. Man könnte auch resümmiere­n: ein aufgeblase­nes Nichts.

Noch viel schlimmer: ein heillos verschacht­elter Monolog eines Schauspiel­ers, der eine Wohnung in Argentinie­n erbt, die ein Verwandter während der Militärdik­tatur erworben hatte, weil deren Besitzer, ein Musiker und Komponist, verschlepp­t worden war: 90 Minuten unentwegte­s Gerede mit dem wohl minimalste­n Musikantei­l nicht nur dieser Musiktheat­er-Biennale.

Nur 15 Minuten dauerte indessen der Besuch im Bad: eine kleine lyrische Gesangssze­ne der griechisch­en Sopranisti­n Eleni Efthimiou über das Erinnern pränataler Wohlgefühl­e im Mutterscho­ß – derweilen der (einzige) Besucher sich in einer Badewanne mit angenehm temperiert­em Wasser entspannt aller Privatheit hingeben konnte.

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BILD: SN/BIENNALE/SMAILOVIC Im Archiv privaten Erinnerns: „Alles klappt.“

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