Fußball, Giftschrank, Politik
Preisfrage aus aktuellem Anlass: Was ist der Unterschied zwischen einem Fußballtrainer und einem Parteichef? Nun, der Trainer kann jederzeit einen Spieler auswechseln. Der Parteichef nicht. Oder können Sie sich folgendes Sze-Narr-io vorstellen?
80. Spielminute. Franco Foda möchte Marco Arnautovic austauschen. Statt das Spielfeld zu verlassen, überreicht der Stürmer dem Teamchef eine Liste mit Bedingungen, unter denen er zum Wechsel bereit wäre: fixe Startplätze im WM-Finale und im nächsten Champions-League-Endspiel (und zwar in der jeweiligen Siegermannschaft), die Fußballschuhe von Lionel Messi, das Gehalt von Cristiano Ronaldo und ein lebenslanges Rückkehrrecht in die National- mannschaft (und zwar auch noch mit Rollator). Franco Foda wundert sich nicht, sondern nimmt die Forderungsliste entgegen und lässt darüber monatelang in internen Krisensitzungen beraten. Undenkbar, nicht wahr?
In Wahrheit würde sich der Teamchef an die Stirn tippen und Arnautovic fragen: „Mann, bist du Bißmann?“Ein Parteichef kann das, wie wir gesehen haben, nicht. Er kann der betreffenden Kollegin zwar in Aussicht stellen, ihr mit einer Anfangsgeschwindigkeit von c = 300 km/h an die Wange zu tippen, aber loswerden kann er sie nicht.
Das liegt daran, dass es die gute alte Blankoverzichtserklärung nicht mehr gibt. Bis in die 80er-Jahre, als Politik noch mit der notwendigen Robustheit betrieben wurde, musste jeder neue Abgeordnete beim Klubobmann antreten und – ohne Datum – schriftlich auf sein Mandat verzichten. Das Papier wanderte in den Tresor der Partei und falls sich der betreffende Abgeordnete irgendwann einmal danebenbenahm, zog man das Dokument hervor, setzte das passende Datum ein und – Hast du nicht Abschiedsrede gehalten! – schon war der betreffende Mandatar zurückgetreten bzw. zurückgetreten worden. Das war damals auch im Passiv möglich. Später wurde diese sinnreiche Einrichtung als undemokratisch und inhuman enttarnt und abgeschafft. Peter Pilz hätte in den vergangenen Tagen Tränen des Glücks geweint, wenn es sie noch gäbe.
Und inhuman? Alles eine Frage der Alternativen. Im Mittelalter zum Beispiel, als Politik noch mit viel, viel größerer Robustheit betrieben wurde als in den 80er-Jahren, hielt man sich nicht lange mit Blankoverzichtserklärungen auf. Sondern da gab es das berühmte Borgia-Gift, mit dem der Clan von Papst Alexander VI. missliebige Kardinäle und sonstige überzählige Zeitgenossen prompt und garantiert rückstandsfrei ums Eck brachte. Liebend gerne hätten die bedauernswerten Opfer der Borgias damals Verzichtserklärungen unterfertigt, um am Leben zu bleiben.
Späterhin, als man schon etwas zarter besaitet war, wurde das Gift durch den Giftschrank ersetzt. Das heißt, der Gegner wurde nicht mehr tatsächlich, sondern nur noch „sozial“gemeuchelt. In ihren Tresoren bewahrten die Mächtigen über alle potenziellen Feinde kompromittierende Geheimnisse auf, die im Bedarfsfall an die Öffentlichkeit gezerrt wurden und den sofortigen Rücktritt des Betreffenden zur Folge hatten.
Franco Foda zum Beispiel – um im eingangs entworfenen Szenario zu bleiben – könnte einem Aufdeckermagazin die aufsehenerregende Nachricht stecken, dass Marco Arnautovic Schienbeinschützer mit rosa Ponys trägt. Nach dieser Enthüllung könnte der Teamchef die Stürmerposition noch in der 80. Minute neu besetzen. Denn bis Arnautovic nachgewiesen hat, das es sich in Wahrheit um dunkelschwarze Haifische handelt, wäre er öffentlich längst erledigt. So funktioniert das Prinzip Giftschrank.
Es ehrt Peter Pilz, dass er kein solches Möbel besitzt. Oder ist ihm mittlerweile doch etwas eingefallen?