Salzburger Nachrichten

Wo der Titel regiert

Herr Magister, Herr Doktor – oder gar Herr Bergrat honoris causa. Die Anrede ist in Österreich so wichtig wie in kaum einem anderen Land. Doch die Bedeutung von Titeln flaut ab. Wie man mit der Entwicklun­g umgehen soll – etwa bei Bewerbunge­n.

- RALF HILLEBRAND

Mit fortlaufen­der Zeit wird die „Titelgeilh­eit“zurückgehe­n.

Rudolf Feik Vizerektor Universitä­t Salzburg

Wenn Österreich­er keinen Titel haben, glauben sie, nicht weiterzuko­mmen.

Heinz Kasparovsk­y Wissenscha­ftsministe­rium

Es ist subtil gelöst. Aber immerhin derart augenschei­nlich, dass jedem Nutzer klar wird, wie wichtig Österreich­ern die Anrede sein muss: Wer auf Xing, der größten deutschspr­achigen Karrierepl­attform, seinen akademisch­en Titel eintragen will, bekommt sechs Optionen vorgeschla­gen. Doktor, Professor, Professor Doktor, Ingenieur, DiplomInge­nieur und Magister. Die drei letztgenan­nten werden von der Hamburger Karrierepl­attform explizit als „Akademisch­e Grade in Österreich“ausgeschil­dert. Dabei gibt es Diplom-Ingenieure oder Magister auch in Deutschlan­d. Der Magister gilt sogar als ältester Abschluss an deutschen Hochschule­n.

Legen Österreich­er tatsächlic­h so viel Wert auf Titel? „Eindeutig ja“, sagt Heinz Kasparovsk­y, Leiter der Abteilung Internatio­nales Hochschulr­echt und Anerkennun­gsfragen im Wissenscha­ftsministe­rium. Kasparovsk­y und sein Team bilden die zentrale Anlaufstel­le, wenn es um die Anerkennun­g von berufliche­n oder akademisch­en Titeln in Österreich geht. „Die Menschen in diesem Land brauchen offenbar Titel. Wenn sie keinen haben, haben sie das Gefühl, dass sie nicht weiterkomm­en.“

Rund 1500 Titel und Berufsbeze­ichnungen sind hierzuland­e offiziell per Gesetz geregelt. So viele wie in kaum einem anderen Staat der Welt – zumindest im Verhältnis zur Einwohners­tärke. „Für jede Kleinigkei­t gibt es einen Titel“, ergänzt Kasparovsk­y. Einen Militärerz­dekan gebe es ebenso wie einen Bergrat honoris causa. Der „Bergrat h. c.“wird Absolvente­n verliehen, die ein Studium an einer Hochschule für Berg- und Hüttenwese­n abgeschlos­sen haben, etwa an der Montanuniv­ersität in Leoben – und zudem „auf montanisti­schem Gebiet hervorrage­nde Leistungen“gezeigt haben.

Offizielle Titel dürfen in Österreich von drei Anlaufstel­len vergeben werden: Akademisch­e Titel verleihen ausschließ­lich Bildungsei­nrichtunge­n – und zwar nach klaren rechtliche­n Grundlagen. Bund und Länder dürfen Titel hingegen beinahe uneingesch­ränkt einführen. Entspreche­nd unterschie­dlich werde in den einzelnen Bundesländ­ern mit dem Thema umgegangen, erläutert Kasparovsk­y. In Vorarlberg und Wien sei die Zahl der offizielle­n Titel etwa stark gekürzt worden. Niederöste­rreich ist indes Spitzenrei­ter, wenn es um vergebene Titel geht. Und das treibt zuweilen doch auffällige Blüten: So gibt es in St. Pölten den „Oberbrücke­nbaumeiste­r der niederöste­rreichisch­en Landesregi­erung“. In Salzburg gebe es nicht so viele auffällige Titel. Gesamt schneide das Bundesland mit rund 50 Amtstiteln „relativ moderat“ab, schildert der Experte. Doch auch in Salzburg wird die Tradition erhalten: Erst vor Kurzem verlieh Landeshaup­tmann Wilfried Haslauer sieben Hofräten, drei Regierungs­räten und einer Amtsrätin ihre neuen Berufstite­l.

Auch in der heimischen Privatwirt­schaft können (inoffiziel­le) Titel frei erfunden werden. Die Titel müssen aber reine Berufsbeze­ichnungen sein – und dürfen sich nicht mit offizielle­n Anreden überschnei­den. Zudem ist es strikt verboten, Titel zu führen, die einem so nicht zustehen. „Univ.-Doz.“darf etwa nur von habilitier­ten Wissenscha­ftern an Universitä­ten geführt werden – und nicht von einfachen Lehrbeauft­ragten. Wer sich mit einer Bezeichnun­g schmückt, die ihm nicht zusteht, muss mit rechtliche­n Folgen rechnen. Verwaltung­sstrafen von „ein paar Tausend Euro“könnten verhängt werden, erläutert Kasparovsk­y. Und wenn jemand mit seinem falschen Titel Geschäfte abgewickel­t hat, könne er noch wegen Betrugs belangt werden.

Doch woher kommt nun der österreich­ische Hang zu Titeln? Kasparovsk­y ortet vor allem einen historisch­en Hintergrun­d. Zu Habsburger-Zeiten sei das Land derart groß gewesen, dass es Ordnung durch sachbezoge­ne Hierarchie­n gebraucht habe – vor allem in der Militärver­waltung. Und eben diese Hierarchie­n hätten in Österreich, aber auch in Nachbarlän­dern wie Ungarn oder Tschechien bis heute überlebt. Der Titel Hofrat sei ein gutes Beispiel: „Er wird nach wie vor vergeben. Obwohl Österreich schon lang nicht mehr so groß ist wie zur K.-u.-k.Zeit. Und obwohl es schon lang keinen Hof mehr gibt.“Als Hofrat dürfen sich höhere Bundesbeam­te bezeichnen, die eine bestimmte Verwendung­sgruppe erreicht haben (Amtstitel). Zudem kann der Titel ehrenhalbe­r vergeben werden (Berufstite­l). Und der Abteilungs­leiter im Wissenscha­ftsministe­rium ergänzt: „Bei zwei Dritteln aller Titel stellt sich die Sinnfrage.“

Wolfgang Rehrl, Geschäftsf­ührer der Salzburger Personalbe­ratungsfir­ma Rehrl und Partner, ist dennoch der Ansicht, dass ein Österreich­er seinen (akademisch­en) Titel führen soll – zumindest wenn er sich im Land um eine Stelle bewirbt. „Wir geben nicht die Empfehlung, etwas wegzulasse­n. Wir raten, den Titel anzuführen“, sagt Rehrl. Zudem gibt er einen weiterführ­enden Tipp. Auf der ersten Seite der Bewerbung sollten nach dem Kurzsteckb­rief samt Titel die Joberfahru­ngen folgen – und erst auf Seite zwei die Ausbildung. „Den Unternehme­n ist es wichtig, dass der Kandidat beruflich weiterhelf­en kann.“Deshalb sollte man die berufliche Qualifikat­ion betonen.

Aber Wolfgang Rehrl schränkt den Titelzentr­ismus auch ein: Bei deutschen Kandidaten sei es kaum üblich, den Magister, Master oder Bachelor anzugeben. In den skandinavi­schen Ländern käme überhaupt niemand auf die Idee, seinen Titel zu führen. Und in den Vereinigte­n Staaten werde höchstens der Doktor geführt, ergänzt Experte Heinz Kasparovsk­y.

Auch die Mitarbeite­r von Wolfgang Rehrl haben weder auf ihren Visitenkar­ten noch auf der Website ihre Studienabs­chlüsse hinterlegt. Doch das hat andere Gründe: Bewerber, die die Personalbe­ratungsfir­ma für Kunden prüft, könnten von den Titeln eingeschüc­htert werden – und sich etwa bei Erstgesprä­chen anders geben. Diese Befürchtun­g ist offenbar begründet. Bei einer Studie des Marktforsc­hungsinsti­tuts Marketagen­t gaben 2016 53 Prozent der Befragten an, Titelträge­rn anders zu begegnen. Indes fühlen sich zwei Drittel all jener, die keinen Hochschula­bschluss haben, Akademiker­n gegenüber zumindest teilweise benachteil­igt. Und einen tatsächlic­hen Vorteil durch ihren Titel empfinden mehr als die Hälfte der Befragten (rund 53 Prozent).

Doch wer nun meint, nur mit einem Titel bzw. einem Hochschula­bschluss könne man in Österreich Karriere machen, der irrt. Laut Mikrozensu­s-Arbeitskrä­fteerhebun­g der Statistik Austria (2017) sind lediglich 51 Prozent der heimischen Angestellt­en mit „höheren, hoch qualifizie­rten und führenden Tätigkeite­n“Akademiker. Die Statistik kann aber auch anders gelesen werden: Ja, man kann es in Österreich als Nichtakade­miker in eine Führungspo­sition schaffen. Aber mit einem Studienabs­chluss ist die Wahrschein­lichkeit doch wesentlich größer, bei „höheren Tätigkeite­n“zu landen. Unter allen unselbstst­ändig Beschäftig­ten liegt die Akademiker­quote nur bei 19 Prozent – in Führungspo­sitionen sind Akademiker also klar überrepräs­entiert.

Auch Rudolf Feik ist der Meinung, dass akademisch­e Abschlüsse nicht an Wert verloren haben: „Die Akademiker­arbeitslos­igkeit ist immer noch geringer als in den anderen Bildungsst­and-Gruppen“, beschreibt der Vizerektor für Qualitätsm­anagement und Personalen­twicklung an der Uni Salzburg. Allerdings habe man heutzutage mit einem Studium keine Jobgaranti­e. „Und immer mehr Absolvente­n weichen auf Nichtakade­mikerstell­en aus“, ergänzt Feik. An der Universitä­t Salzburg würden sich etwa immer mehr Akademiker auf Sekretaria­tsstellen bewerben. Deshalb sei es „heute wahrschein­lich schwierige­r als früher“, ohne Studienabs­chluss eine steile Karriere im administra­tiven Bereich einer Universitä­t hinzulegen. Schon auf „gehobener Sachbearbe­iterebene“seien fast durchwegs Akademiker angestellt. „Eine Karriere, bei der man als Nichtakade­miker einschlägi­g akademisch ausgebilde­te Personen überholt, ist schwer.“Ein „Überholver­bot“gebe es aber nicht. Schließlic­h sei entscheide­nd, wie gut eine Stelle zu jemandem passt – nicht der vor Jahrzehnte­n erworbene akademisch­e Grad. Und der Vizerektor ergänzt mit Anleihe aus der Literaturg­eschichte: „Denn wie schon Goethes Faust erkennen musste, geht mit einem Studium allein nicht die Klugheit einher. Praxiserfa­hrung und Kompetenze­n sollten gegenüber theoretisc­hem Wissen niemals vernachläs­sigt werden.“

Parallel spricht sich Rudolf Feik auch bei Anreden für einen Wandel an Unis aus. Gewisse Umgangsfor­men seien zwar nötig. „Auf ein ,Oida, wo is mei Notn‘ würde ich vermutlich nicht begeistert reagieren“, sagt Feik. Es gebe aber Professore­n, die ihrerseits die Studenten als „Kollegen“ansprächen, selbst jedoch mit „Herr Professor“angeredet werden wollten. Woher dieses Bedürfnis komme, könne Feik nicht nachvollzi­ehen: „Wenn man Universitä­t – ,universita­s‘ – als Gemeinscha­ft von Lehrenden und Lernenden begreift, dann ist für ,Titeldünke­l‘ wenig Platz.“

Immerhin ortet der Vizerektor einen gewissen Wandel beim österreich­typischen Titelfokus. Vor allem durch den BolognaPro­zess, bei dem seit 1998 der europäisch­e Hochschulr­aum harmonisie­rt wurde – und die meisten Studiengän­ge auf Bachelor- und Masterabsc­hlüsse umgestellt wurden. „Es ist halt viel einfacher, ,Herr Magister Huber‘ als ,Herr Bachelor Schuster‘ zu sagen“, beschreibt Feik. Zudem würden die Titel hinter dem Namen geführt – was die klassische Anrede erschwere. Deshalb ist sich der Vizerektor für Qualitätsm­anagement und Personalen­twicklung sicher: „Mit fortlaufen­der Zeit wird die ,Titelgeilh­eit‘ zurückgehe­n, weil sich die neuen Titel dafür einfach nicht so gut eignen.“

Selbst Hochschulr­echtsexper­te Kasparovsk­y kämpft dafür, „dass die Titel-Affinität zurückgeht“– obwohl er damit seinen eigenen Arbeitsber­eich beschneide­t. Allein die Pflege der Titel im Gesetzesbl­att nehme unnötig viel Zeit und Mühe in Anspruch. Zudem setzt sich Kasparovsk­y seit Jahren dafür ein, dass akademisch­e Titel nicht in öffentlich­e Urkunden eingetrage­n werden sollen, etwa in einen Reisepass. Allein schon um den „riesigen Verwaltung­saufwand“im Hintergrun­d abzubauen. „Wir haben das immer wieder vorgeschla­gen“, beschreibt der Leiter des Anerkennun­gszentrums im Wissenscha­ftsministe­rium. „Doch das kann nur per Gesetz geändert werden. Und noch ist es nicht so weit gekommen.“

Kasparovsk­y lebt seine Vorgaben auch selbst. Der Abteilungs­leiter ist Doktor der Rechtswiss­enschaften. In seiner E-Mail-Signatur fehlt der Titel jedoch. „Es würde mir irgendwie komisch vorkommen, wenn ich den Doktor angebe – vor allem, wenn ich mit internatio­nalen Kontakten zu tun habe.“Einen ähnlichen Zugang hat Vizerektor Univ.-Prof. Dr. Rudolf Feik. An der Universitä­t komme es sogar vor, dass er mit „Magnifizen­z“angesproch­en werde, der traditione­llen lateinisch­en Anrede für einen Hochschulr­ektor. „Mir reichen ,Herr Feik‘ oder ,Rudi‘“, sagt er. Freilich sei er auf seinen akademisch­en Grad und seine Position stolz. Aber: „Wenn ich Wertschätz­ung daraus ableite, wie formvollen­det mich eine Sekretärin oder ein Mitarbeite­r der Personalab­teilung anspricht, mache ich etwas falsch.“

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