Nelsons freies Land
Südafrika feiert. Zum 100. Geburtstag von Nelson Mandela begeben sich viele Gäste auf Spurensuche.
Prema Naidoo hat noch immer Tränen in den Augen, wenn er an den Tod von Nelson Mandela vor fünf Jahren denkt. „Aber jetzt haben wir Grund zum Feiern“, sagt der Weggefährte des langjährigen südafrikanischen Präsidenten, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag begangen hätte. Das wird überall im Land gefeiert, und es kommen mehr Touristen denn je, um auf den Spuren des Friedensnobelpreisträgers zu wandeln.
So treffen sie auf Männer wie Prema. Im Old-Fort-Gefängnis in Johannesburg, heute eine Art Pilgerstätte für Mandela-Anhänger, waren beide als politische Häftlinge eingesperrt und mussten üble Schikanen und Demütigungen über sich ergehen lassen. Prema zittert, als er die kleine Tür zum „Empfangsraum“des Gefängnisses öffnet. Hier begann sein Martyrium, er berichtet von willkürlichen Schlägen – wenn sie nicht von den Wärtern kamen, dann von den Gang-Mitgliedern, denen man sich unterzuordnen hatte.
Und selbst im Gefängnis gab es eine strikte Rassentrennung. Schwarze Häftlinge erhielten Suppe, Brot und die schlechteste Reisqualität, weiße bekamen Eintopf, Bohnen und zu Weihnachten sogar einen Kuchen. Auch wenn Letztgenannte wirkliche Verbrecher waren. Mandela kommt 1964 ins Old-Fort-Gefängnis und erhält die Häftlingsnummer 466/64, die noch heute in seiner damaligen Zelle prangt. Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass er eingesperrt wird. Als er 50 Jahre später an diesen Ort zurückkehrt, merkt er traurig an: „Hier hat mein Schicksal begonnen.“
Noch mehr erfahren Reisende über Mandelas Leidensgeschichte und das brutale Regime, das Südafrika im Griff hatte, im Apartheid Museum. Eine Sonderausstellung widmet sich den Stationen seines Lebens – etwa dem prägenden ersten Schultag, als ihm seine Lehrerin den Namen Nelson verpasste. Niemand durfte ihn mehr Rolihlahla rufen, schwarze Namen waren verpönt.
Fortan sieht man auf den Bildern einen kämpferischen jungen Mann, der sich der Freiheitsbewegung ANC anschließt und als Staatsfeind Nummer eins zu lebenslanger Haft verurteilt wird. 26 Jahre verbringt er in verschiedenen Gefängnissen und führt von dort seinen Kampf gegen die Rassentrennung weiter, ehe er 1990 vom damaligen Präsidenten de Klerk freigelassen wird und vier Jahre später dessen Amt übernimmt.
Das Museum schildert eindrücklich den Aufstand der Schwarzen gegen das Apartheid-Regime, zeigt Videos mit Angriffen sogar gegen Kinder. Nur selten bleibt es bei Andeutungen, das Museumskonzept setzt auf absolute Konfrontation. Für manche Besucher eine Spur zu heftig. Ein schwarzer Mann steht an einem Minenfahrzeug und weint. Solche gelben Ungetüme flimmern im Nebenraum über die Bildschirme, darauf Soldaten, die bei den Jugendaufständen in den 1980er-Jahren in die Menge schießen. „Ich habe damals meinen Bruder verloren. Ohne Mandela wäre ich wahrscheinlich auch irgendwann gestorben.“
Überall in Südafrika findet man Spuren Mandelas, bereits vor seinem Tod gab es spezielle Touren für Touristen, unter anderem auf der Gefängnisinsel Robben Island vor Kapstadt, auf der er 18 Jahre inhaftiert war. Für eine Annäherung ist Johannesburg sicherlich der ideale Ausgangspunkt, von dort geht die Spurensuche nach Osten. In der Region rund um Durban fand Mandela in jungen Jahren die Vorbilder für seinen Freiheitskampf und dorthin kehrte er immer wieder zurück – aus persönlichen und aus symbolischen Gründen.
Dann geht es weiter nach Groutville – der Weg in die kleine Township führt entlang der berühmten Delfin-Küste, durch fruchtbar-grünes Land, in dem früher indische Arbeiter auf Baumwollplantagen schufteten. Heute tragen die Frauen Körbe mit bunten Kleidern auf dem Kopf, um sie im Fluss zu waschen.
Im ehemaligen Haus von Albert Luthuli war Mandela regelmäßig zu Gast. Im Geheimen, denn das Regime hatte Luthuli verboten, politisch zu arbeiten. Der lange Zeit wichtigste politische Führer der ApartheidGegner erhielt 1960 als erster Südafrikaner den Friedensnobelpreis. Das Haus ist heute eine Gedenkstätte. Und wer die Mitarbeiter freundlich überredet, den führen sie durch die Township und zeigen Hinterhöfe, die für die Geheimtreffen reserviert waren.
Auch für seinen vermutlich wichtigsten politischen Auftritt wählte Mandela Durban. Um seine Stimme bei den ersten gleichberechtigten Wahlen 1994 abzugeben, fuhr er in die Township Inanda, zu einem Ort, den es in der südafrikanischen Apartheid-Geschichte eigentlich gar nicht hätte geben dürfen: die Ohlange High School, 1901 als erste von einem Schwarzen, John Dube, gegründet.
Dieser avancierte einige Jahre später zum Führer des ANC und zur Symbolfigur des Widerstands. Als Mandela in der gepanzerten Mercedes-Limousine – ein Geschenk der deutschen Bundesregierung – vorfuhr, stand damals Mandla Nxamulo als Aufseher direkt neben der Urne. „Wir mussten die Wahl ins Freie verlegen, weil Hunderte Kamerateams, Fotografen und Reporter da waren.“Mandela sei jedoch zuallererst überraschend zum Dube-Denkmal gegangen und habe dort gesagt: „Mister President, ich bin hier, um Ihnen zu berichten, dass Südafrika nun ein freies Land ist.“
Die Schüler, die heute auf dem Campus sind, kennen die Geschichte mit Mandela natürlich. In den Pausen kommen Kinder und Jugendliche, um Urne und Fotos zu besichtigen. Unter ihnen auch der 15-jährige Sifiso, der sagt: „Mandela ist mein Vorbild. Wir müssen uns immer an ihn erinnern – nicht nur zu seinem 100. Geburtstag.“