Salzburger Nachrichten

Nelsons freies Land

Südafrika feiert. Zum 100. Geburtstag von Nelson Mandela begeben sich viele Gäste auf Spurensuch­e.

- BARBARA HUTTER

Prema Naidoo hat noch immer Tränen in den Augen, wenn er an den Tod von Nelson Mandela vor fünf Jahren denkt. „Aber jetzt haben wir Grund zum Feiern“, sagt der Weggefährt­e des langjährig­en südafrikan­ischen Präsidente­n, der in diesem Jahr seinen 100. Geburtstag begangen hätte. Das wird überall im Land gefeiert, und es kommen mehr Touristen denn je, um auf den Spuren des Friedensno­belpreistr­ägers zu wandeln.

So treffen sie auf Männer wie Prema. Im Old-Fort-Gefängnis in Johannesbu­rg, heute eine Art Pilgerstät­te für Mandela-Anhänger, waren beide als politische Häftlinge eingesperr­t und mussten üble Schikanen und Demütigung­en über sich ergehen lassen. Prema zittert, als er die kleine Tür zum „Empfangsra­um“des Gefängniss­es öffnet. Hier begann sein Martyrium, er berichtet von willkürlic­hen Schlägen – wenn sie nicht von den Wärtern kamen, dann von den Gang-Mitglieder­n, denen man sich unterzuord­nen hatte.

Und selbst im Gefängnis gab es eine strikte Rassentren­nung. Schwarze Häftlinge erhielten Suppe, Brot und die schlechtes­te Reisqualit­ät, weiße bekamen Eintopf, Bohnen und zu Weihnachte­n sogar einen Kuchen. Auch wenn Letztgenan­nte wirkliche Verbrecher waren. Mandela kommt 1964 ins Old-Fort-Gefängnis und erhält die Häftlingsn­ummer 466/64, die noch heute in seiner damaligen Zelle prangt. Es ist das erste Mal in seinem Leben, dass er eingesperr­t wird. Als er 50 Jahre später an diesen Ort zurückkehr­t, merkt er traurig an: „Hier hat mein Schicksal begonnen.“

Noch mehr erfahren Reisende über Mandelas Leidensges­chichte und das brutale Regime, das Südafrika im Griff hatte, im Apartheid Museum. Eine Sonderauss­tellung widmet sich den Stationen seines Lebens – etwa dem prägenden ersten Schultag, als ihm seine Lehrerin den Namen Nelson verpasste. Niemand durfte ihn mehr Rolihlahla rufen, schwarze Namen waren verpönt.

Fortan sieht man auf den Bildern einen kämpferisc­hen jungen Mann, der sich der Freiheitsb­ewegung ANC anschließt und als Staatsfein­d Nummer eins zu lebenslang­er Haft verurteilt wird. 26 Jahre verbringt er in verschiede­nen Gefängniss­en und führt von dort seinen Kampf gegen die Rassentren­nung weiter, ehe er 1990 vom damaligen Präsidente­n de Klerk freigelass­en wird und vier Jahre später dessen Amt übernimmt.

Das Museum schildert eindrückli­ch den Aufstand der Schwarzen gegen das Apartheid-Regime, zeigt Videos mit Angriffen sogar gegen Kinder. Nur selten bleibt es bei Andeutunge­n, das Museumskon­zept setzt auf absolute Konfrontat­ion. Für manche Besucher eine Spur zu heftig. Ein schwarzer Mann steht an einem Minenfahrz­eug und weint. Solche gelben Ungetüme flimmern im Nebenraum über die Bildschirm­e, darauf Soldaten, die bei den Jugendaufs­tänden in den 1980er-Jahren in die Menge schießen. „Ich habe damals meinen Bruder verloren. Ohne Mandela wäre ich wahrschein­lich auch irgendwann gestorben.“

Überall in Südafrika findet man Spuren Mandelas, bereits vor seinem Tod gab es spezielle Touren für Touristen, unter anderem auf der Gefängnisi­nsel Robben Island vor Kapstadt, auf der er 18 Jahre inhaftiert war. Für eine Annäherung ist Johannesbu­rg sicherlich der ideale Ausgangspu­nkt, von dort geht die Spurensuch­e nach Osten. In der Region rund um Durban fand Mandela in jungen Jahren die Vorbilder für seinen Freiheitsk­ampf und dorthin kehrte er immer wieder zurück – aus persönlich­en und aus symbolisch­en Gründen.

Dann geht es weiter nach Groutville – der Weg in die kleine Township führt entlang der berühmten Delfin-Küste, durch fruchtbar-grünes Land, in dem früher indische Arbeiter auf Baumwollpl­antagen schufteten. Heute tragen die Frauen Körbe mit bunten Kleidern auf dem Kopf, um sie im Fluss zu waschen.

Im ehemaligen Haus von Albert Luthuli war Mandela regelmäßig zu Gast. Im Geheimen, denn das Regime hatte Luthuli verboten, politisch zu arbeiten. Der lange Zeit wichtigste politische Führer der ApartheidG­egner erhielt 1960 als erster Südafrikan­er den Friedensno­belpreis. Das Haus ist heute eine Gedenkstät­te. Und wer die Mitarbeite­r freundlich überredet, den führen sie durch die Township und zeigen Hinterhöfe, die für die Geheimtref­fen reserviert waren.

Auch für seinen vermutlich wichtigste­n politische­n Auftritt wählte Mandela Durban. Um seine Stimme bei den ersten gleichbere­chtigten Wahlen 1994 abzugeben, fuhr er in die Township Inanda, zu einem Ort, den es in der südafrikan­ischen Apartheid-Geschichte eigentlich gar nicht hätte geben dürfen: die Ohlange High School, 1901 als erste von einem Schwarzen, John Dube, gegründet.

Dieser avancierte einige Jahre später zum Führer des ANC und zur Symbolfigu­r des Widerstand­s. Als Mandela in der gepanzerte­n Mercedes-Limousine – ein Geschenk der deutschen Bundesregi­erung – vorfuhr, stand damals Mandla Nxamulo als Aufseher direkt neben der Urne. „Wir mussten die Wahl ins Freie verlegen, weil Hunderte Kamerateam­s, Fotografen und Reporter da waren.“Mandela sei jedoch zuallerers­t überrasche­nd zum Dube-Denkmal gegangen und habe dort gesagt: „Mister President, ich bin hier, um Ihnen zu berichten, dass Südafrika nun ein freies Land ist.“

Die Schüler, die heute auf dem Campus sind, kennen die Geschichte mit Mandela natürlich. In den Pausen kommen Kinder und Jugendlich­e, um Urne und Fotos zu besichtige­n. Unter ihnen auch der 15-jährige Sifiso, der sagt: „Mandela ist mein Vorbild. Wir müssen uns immer an ihn erinnern – nicht nur zu seinem 100. Geburtstag.“

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BILDER: SN/SOUTH AFRICA TOURISM (2) Eine Brücke, die seinen Namen trägt: Nelson Mandela Bridge in Johannesbu­rg.
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BILDER: SN/C. SCHREIBER (2) Geschichte spielerisc­h begreifen: Durban.
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Pionier und Präsident: Nelson Mandela.
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Weggefährt­e Prema Naidoo.

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