Was wäre, wenn ...
... man Zwentendorf eingeschaltet hätte?
DDie Entscheidung war äußerst knapp: Weniger als 30.000 Stimmen gaben den Ausschlag dafür, dass in Österreich kein Atomstrom erzeugt wurde. Bei der geschichtsträchtigen Abstimmung über das Atomkraftwerk Zwentendorf stimmte am 5. November 1978 nur eine knappe Mehrheit – 50,47 Prozent – mit „Nein“. Wenige Monate davor, am 28. Juni, hatte die SPÖ im Nationalrat gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ ein Gesetz über die friedliche Nutzung der Atomenergie angenommen. An diesem Tag fiel auch einstimmig der Beschluss für die Abhaltung einer Volksabstimmung zu Zwentendorf. Was wäre gewesen, wenn in diesem Jahr eine Mehrheit der Österreicher für den Betrieb des Atomkraftwerks gestimmt hätte? Das AKW Zwentendorf hätte vermutlich über mehrere Jahrzehnte Strom für 1,7 Millionen Haushalte erzeugt. Wobei davon auszugehen ist, dass bei einem „Ja“in der Volksabstimmung noch weitere Atomkraftwerke in Betrieb gegangen wären. Pläne gab es für ein Atomkraftwerk in St. PantaleonErla (NÖ) und eines in St. Andrä in Kärnten. Insgesamt sollten fünf bis sechs Reaktoren betrieben und so über ein Drittel des Strombedarfs in Österreich gedeckt werden. Man hätte in den vergangenen 40 Jahren „natürlich mit einer Reihe von Pannen und Stillständen rechnen müssen“, sagt der Ökologe Peter Weish, der in den 1970er-Jahren in der Anti-Zwentendorf-Bewegung aktiv war. „Man hätte auch mit kleineren Freisetzungen von radioaktiven Stoffen rechnen müssen. Von einem großen Unfall wollen wir gar nicht reden. Wenn der Wienerwald radioaktiv verseucht wäre – man kann sich das gar nicht vorstellen.“
Mittlerweile wäre das AKW aber am Ende. Schon in den vergangenen Jahren wäre das Ende der Laufzeit erreicht worden. Gut vorstellbar ist, dass die österreichische Regierung nach der Atom-Katastrophe von Fukushima im März 2011 unter dem Druck der Öffentlichkeit – ähnlich wie Deutschland – den endgültigen Ausstieg aus der Atomkraft beschlossen hätte.
Sicher ist: Politik und Behörden müssten sich jetzt mit der Stilllegung der Atomreaktoren beschäftigen. Und das würde enorm viel kosten. Ein Vergleichsbeispiel: Der Rückbau des Atomkraftwerks Unterweser in Niedersachsen dauert mindestens 15 Jahre. Die Kosten dafür werden auf rund eine Milliarde Euro geschätzt. Experte Weish: „Die Kosten der Abwrackung nach der geplanten Laufzeit von 40 Jahren würden die Errichtungskosten wesentlich überschreiten und kaum lösbare technische und innenpolitische Probleme verursachen, die uns erfreulicherweise erspart bleiben.“Zu den enormen Kosten käme das strahlende „Erbe“, das noch viele Generationen beschäftigen würde: Der Materialwissenschafter und Risikoforscher Wolfgang Kromp schätzt, dass allein beim Betrieb eines Reaktors in Zwentendorf in 40 Jahren, je nach Störanfälligkeit der Anlage, rund 10.000 Tonnen hochradioaktiver Atommüll angefallen wären. Mit der Errichtung weiterer Reaktoren hätte sich diese Menge entsprechend vervielfacht.
Als Standort für ein Atommüll-Lager war das Waldviertel im Gespräch, die Region um Allentsteig. Allerdings gab es schon damals große Bedenken wegen der Klüfte im Granit und der Gefahr, dass Wasser in ein solches Endlager eindringen könnte. Auch gab es Überlegungen, den strahlenden Müll in den Iran zu liefern.
Als sicher darf angenommen werden, dass rund um die Suche nach einer Endlagerstätte für den strahlenden Müll ein heftiger politischer Streit toben würde. Schließlich will den gefährlichen Müll niemand vor seiner Haustür haben. Welches Konfliktpotenzial in der Atommüll-Frage steckt, zeigt schon die Debatte um die vergleichsweise überschaubare Menge an schwach- und mittelradioaktivem Atommüll, die jährlich in Österreich anfällt. Pro Jahr sind das rund 15 Tonnen, die aus Medizin, Industrie oder Forschung stammen. Ein Endlager für diesen Müll, der momentan in Seibersdorf zwischengelagert wird, ist nicht in Sicht.
Auch ohne den Betrieb des Atomkraftwerks verschlang Zwentendorf reichlich Steuergeld: Die Kosten für Bau und Erhalt des AKW über viele Jahre beliefen sich vom Baubeginn 1972 bis zum offiziellen Ende des Konservierungsbetriebs 1985 auf eine Milliarde Euro. Das ist dennoch wenig im Vergleich zu den Kosten, die ein „Ja“zu Zwentendorf bedeutet hätte. Wolfgang Kromp: „Wir haben uns unter dem Strich viel erspart, sehr viel.“Und Österreich habe der Welt gezeigt, dass auch ohne Atomenergie die Lichter nicht ausgingen.