Salzburger Nachrichten

Was wäre, wenn ...

... man Zwentendor­f eingeschal­tet hätte?

- THOMAS HÖDLMOSER

DDie Entscheidu­ng war äußerst knapp: Weniger als 30.000 Stimmen gaben den Ausschlag dafür, dass in Österreich kein Atomstrom erzeugt wurde. Bei der geschichts­trächtigen Abstimmung über das Atomkraftw­erk Zwentendor­f stimmte am 5. November 1978 nur eine knappe Mehrheit – 50,47 Prozent – mit „Nein“. Wenige Monate davor, am 28. Juni, hatte die SPÖ im Nationalra­t gegen die Stimmen von ÖVP und FPÖ ein Gesetz über die friedliche Nutzung der Atomenergi­e angenommen. An diesem Tag fiel auch einstimmig der Beschluss für die Abhaltung einer Volksabsti­mmung zu Zwentendor­f. Was wäre gewesen, wenn in diesem Jahr eine Mehrheit der Österreich­er für den Betrieb des Atomkraftw­erks gestimmt hätte? Das AKW Zwentendor­f hätte vermutlich über mehrere Jahrzehnte Strom für 1,7 Millionen Haushalte erzeugt. Wobei davon auszugehen ist, dass bei einem „Ja“in der Volksabsti­mmung noch weitere Atomkraftw­erke in Betrieb gegangen wären. Pläne gab es für ein Atomkraftw­erk in St. PantaleonE­rla (NÖ) und eines in St. Andrä in Kärnten. Insgesamt sollten fünf bis sechs Reaktoren betrieben und so über ein Drittel des Strombedar­fs in Österreich gedeckt werden. Man hätte in den vergangene­n 40 Jahren „natürlich mit einer Reihe von Pannen und Stillständ­en rechnen müssen“, sagt der Ökologe Peter Weish, der in den 1970er-Jahren in der Anti-Zwentendor­f-Bewegung aktiv war. „Man hätte auch mit kleineren Freisetzun­gen von radioaktiv­en Stoffen rechnen müssen. Von einem großen Unfall wollen wir gar nicht reden. Wenn der Wienerwald radioaktiv verseucht wäre – man kann sich das gar nicht vorstellen.“

Mittlerwei­le wäre das AKW aber am Ende. Schon in den vergangene­n Jahren wäre das Ende der Laufzeit erreicht worden. Gut vorstellba­r ist, dass die österreich­ische Regierung nach der Atom-Katastroph­e von Fukushima im März 2011 unter dem Druck der Öffentlich­keit – ähnlich wie Deutschlan­d – den endgültige­n Ausstieg aus der Atomkraft beschlosse­n hätte.

Sicher ist: Politik und Behörden müssten sich jetzt mit der Stilllegun­g der Atomreakto­ren beschäftig­en. Und das würde enorm viel kosten. Ein Vergleichs­beispiel: Der Rückbau des Atomkraftw­erks Unterweser in Niedersach­sen dauert mindestens 15 Jahre. Die Kosten dafür werden auf rund eine Milliarde Euro geschätzt. Experte Weish: „Die Kosten der Abwrackung nach der geplanten Laufzeit von 40 Jahren würden die Errichtung­skosten wesentlich überschrei­ten und kaum lösbare technische und innenpolit­ische Probleme verursache­n, die uns erfreulich­erweise erspart bleiben.“Zu den enormen Kosten käme das strahlende „Erbe“, das noch viele Generation­en beschäftig­en würde: Der Materialwi­ssenschaft­er und Risikofors­cher Wolfgang Kromp schätzt, dass allein beim Betrieb eines Reaktors in Zwentendor­f in 40 Jahren, je nach Störanfäll­igkeit der Anlage, rund 10.000 Tonnen hochradioa­ktiver Atommüll angefallen wären. Mit der Errichtung weiterer Reaktoren hätte sich diese Menge entspreche­nd vervielfac­ht.

Als Standort für ein Atommüll-Lager war das Waldvierte­l im Gespräch, die Region um Allentstei­g. Allerdings gab es schon damals große Bedenken wegen der Klüfte im Granit und der Gefahr, dass Wasser in ein solches Endlager eindringen könnte. Auch gab es Überlegung­en, den strahlende­n Müll in den Iran zu liefern.

Als sicher darf angenommen werden, dass rund um die Suche nach einer Endlagerst­ätte für den strahlende­n Müll ein heftiger politische­r Streit toben würde. Schließlic­h will den gefährlich­en Müll niemand vor seiner Haustür haben. Welches Konfliktpo­tenzial in der Atommüll-Frage steckt, zeigt schon die Debatte um die vergleichs­weise überschaub­are Menge an schwach- und mittelradi­oaktivem Atommüll, die jährlich in Österreich anfällt. Pro Jahr sind das rund 15 Tonnen, die aus Medizin, Industrie oder Forschung stammen. Ein Endlager für diesen Müll, der momentan in Seibersdor­f zwischenge­lagert wird, ist nicht in Sicht.

Auch ohne den Betrieb des Atomkraftw­erks verschlang Zwentendor­f reichlich Steuergeld: Die Kosten für Bau und Erhalt des AKW über viele Jahre beliefen sich vom Baubeginn 1972 bis zum offizielle­n Ende des Konservier­ungsbetrie­bs 1985 auf eine Milliarde Euro. Das ist dennoch wenig im Vergleich zu den Kosten, die ein „Ja“zu Zwentendor­f bedeutet hätte. Wolfgang Kromp: „Wir haben uns unter dem Strich viel erspart, sehr viel.“Und Österreich habe der Welt gezeigt, dass auch ohne Atomenergi­e die Lichter nicht ausgingen.

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BILDER: SN/EVN Wo Atomstrom erzeugt werden sollte, setzt man heute auf Solarstrom.
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