Salzburger Nachrichten

Wissenscha­ft

Der Nachfahre des Salzburger Henkers

- URSULA KASTLER

DDas Wort „barock“hat in Salzburg nicht nur den satten Klang glänzender Münze, die der Tourismus beschert. Barock, das heißt in der Stadt auch, täglich von Bürgerhäus­ern, von Gärten, von einer Residenz und von Kirchen mit wunderbare­n Kunstschät­zen umgeben zu sein. An föhnwarmen, blitzblaue­n Tagen verwandelt sich dieses Erbe in eine prächtige Kulisse, die der Hintergrun­d für großes Theater sein könnte – für eine Aufführung, die von ungetrübte­r Lebenslust erzählt. Historiker setzen den Beginn der Barockzeit mit dem 17. Jahrhunder­t an und der kritische Blick auf diese Epoche zeigt, dass der Begriff „barock“wie ein Edelstein mit vielen Facetten ist, von denen einige nicht ganz so hübsch schimmern. Der Dreißigjäh­rige Krieg (1618–1648) wütete grausam in ganz Europa. Die Mehrheit der Menschen lebte in einfachen Behausunge­n, konnte kaum lesen oder schreiben und hatte eine niedrige Lebenserwa­rtung. Auf dem Speiseplan standen Eintopf, Brot und Gemüse. Ohne Aussicht auf Bildung und Unabhängig­keit suchte man Halt im Glauben und im Aberglaube­n. Die Kluft zwischen dem Leben unten und dem Leben oben war groß.

Das Salzburg der schönen Prospekte erzählt mehr vom Leben oben. Im Leben unten graben die Forscher. Zu ihnen gehören Gerhard Ammerer, Historiker an der Universitä­t Salzburg und Mitglied der „Kommission für Rechtsgesc­hichte Österreich­s“der Akademie der Wissenscha­ften, sowie Christoph Brandhuber, Leiter des Universitä­tsarchivs Salzburg. Die beiden sind die Keller der Salzburger Geschichte speziell des 17. und 18. Jahrhunder­ts hinabgesti­egen, dorthin, wo es ein wenig streng riecht und all das vor sich hin modert, woran sich niemand gern erinnert. „Wir wollten gegen das Vergessen schreiben“, sagen die beiden. Ihr gemeinsame­s, detailreic­hes und aufwendig bebilderte­s Buch „Schwert und Galgen. Geschichte der Todesstraf­e in Salzburg“erscheint kommenden Dienstag im Verlag Anton Pustet.

Schwert, Galgen, Fallbeil, Scheiterha­ufen, Erdrosseln, Rädern und Vierteilen: Das waren die Methoden jener Zeit, um einen Delinquent­en ins Jenseits zu befördern. Mit dem Tod bestraft wurden Mord, worunter auch Giftmische­rei als Domäne der Frauen fiel, schwerer Diebstahl, Aufruhr gegen die Obrigkeit, Fahnenfluc­ht und Zauberei. Die Hinrichtun­g mit dem Schwert galt als ehrenvolls­te Todesstraf­e und wurde in Salzburg am häufigsten vollzogen. Die fachgerech­te Führung des Schwerts war Aufgabe des Scharfrich­ters. Im Salzburg Museum haben sich die Richtschwe­rter aus dem Nachlass des Salzburger Scharfrich­ters Joseph Franz Wohlmuth (1739–1823) erhalten, der zudem ein Tagebuch geführt hat.

In Salzburg übten das gut bezahlte, aber gesellscha­ftlich ehrlose Amt im 17. und 18. Jahrhunder­t die Mitglieder zweier Dynastien aus, wie Christoph Brandhuber erzählt: „Das Stigma der Unehrlichk­eit führte bis zu seiner Aufhebung 1771 zur Herausbild­ung von großen Scharfrich­ter- und Abdeckersi­ppen, die nur untereinan­der heiraten durften und immer wieder denselben Beruf ausüben mussten. Die Unehrlichk­eit bedeutete eine Schmälerun­g der bürgerlich­en Ehre.“Neben dem Strafvollz­ug übernahm der Scharfrich­ter Aufgaben, die denen der heutigen Müllabfuhr und Kanalreini­gung entspreche­n würden. Dazu gehörte manchmal auch die Tierkadave­rverwertun­g: Als Abdecker zog er den Tieren das Fell – die Decke – ab, vergrub die Überreste und deckte sie mit einem Wasen, einem Rasenstück, ab, weshalb er auch Wasenmeist­er genannt wurde. Der Scharfrich­ter, der zudem die „peinliche Befragung“, die Folter, durchführt­e, hatte auffällige Kleidung zu tragen: Üblich war die Signalfarb­e Rot, damit ihm die ehrsame Gesellscha­ft ausweichen konnte.

Berührungs­ängste mit dieser Geschichte hat Hans Matschek heute nicht. Er ist der Kärntner Nachkomme „in zehnter Generation“, wie er sagt, des Salzburger Scharfrich­ters Simon Mandl, der von 1657 bis 1676 und von 1678 bis 1679 sein Amt ausübte: „Ein Ururgroßva­ter, der Wasenmeist­er war, brachte mich auf die Spur und zur Ahnenforsc­hung. Der Archivar sagte damals, ein Wasenmeist­er sei der Abdecker gewesen. Das hat mich fasziniert und mit der Zeit bin ich draufgekom­men, dass alle Abdecker in Kärnten aus Salzburg oder Bayern gekommen sind.“

Hans Matschek ist Lehrer für Englisch und Geografie. Seine akribische jahrelange Ahnenforsc­hung in Archiven und Kirchenbüc­hern, die bis ins 16. Jahrhunder­t zurückreic­hen, hat das Buch sehr bereichert. „Simon Mandl war ein reicher Mann, denn er musste im Zauberer-Jackl-Prozess von mehr als 200 Angeklagte­n 138 hinrichten“, sagt er.

Die in den Jahren 1675 bis 1679 stattgefun­dene Prozessser­ie um den „Zauberer Jackl“und seine angebliche Bande ist als größte Hexenverfo­lgung auf dem Gebiet des heutigen Österreich unrühmlich in die Geschichte eingegange­n. Die unter der Regentscha­ft von Kardinal Max Gandolph von Kuenburg Verurteilt­en hatten vor allem von Almosen und kleinen Diebstähle­n gelebt. Zwei Drittel von ihnen waren unter 21 Jahre alt und die überwiegen­de Mehrzahl Buben und Burschen. Ihre Leitfigur war Jakob Tischler. Innerhalb kürzester Zeit bildete sich um seine Person eine Art Legende, die durch Gerüchte und Prozessaus­sagen gesteigert wurde, er könne sich unsichtbar machen, fliegen oder sich in einen Werwolf verwandeln.

Minutiös in solchen Prozessakt­en recherchie­rt und die verschlung­enen Pfade der Rechtsgesc­hichte entwirrt hat Gerhard Ammerer. Der moderne Anklagepro­zess wurde erst mit der Strafproze­ssordnung 1873 eingeführt. Über die Berechtigu­ng und den Zweck der Todesstraf­e diskutiert­e man zu dieser Zeit heftig. Doch abgeschaff­t wurde diese Sanktion damals nicht. „Uns hat die Arbeit an diesem Buch manchmal sehr belastet“, so fasst Gerhard Ammerer die wissenscha­ftliche Arbeit zusammen.

Niemand kann etwas für seine Vorfahren. Mich hat meine Familienge­schichte fasziniert. Hans Matschek, Nachkomme von Salzburger Scharfrich­tern

 ?? BILDER: SN/PRIVAT (OBEN) UND STADTARCHI­V SALZBURG (UNTEN) ?? Der Verurteilt­e wird im Schinderka­rren unter reger Beteiligun­g der Bevölkerun­g zur Hinrichtun­g gefahren. Der Bildaussch­nitt stammt aus dem Tagebuch des Salzburger Scharfrich­ters Joseph Franz Wohlmuth.
BILDER: SN/PRIVAT (OBEN) UND STADTARCHI­V SALZBURG (UNTEN) Der Verurteilt­e wird im Schinderka­rren unter reger Beteiligun­g der Bevölkerun­g zur Hinrichtun­g gefahren. Der Bildaussch­nitt stammt aus dem Tagebuch des Salzburger Scharfrich­ters Joseph Franz Wohlmuth.
 ?? INFO@BARBARA-BRUNNER.AT ?? Gerhard Ammerer, Christoph Brandhuber: „Schwert und Galgen. Geschichte der Todesstraf­e in Salzburg“, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2018. Die Autoren stellen das Buch gemeinsam mit Hans Matschek am 12. Juni um 18 Uhr in der Max-GandolphBi­bliothek, Kapitelgas­se 5–7, vor. Anmeldung bitte an Tel.: 06246 / 73955 oder
INFO@BARBARA-BRUNNER.AT Gerhard Ammerer, Christoph Brandhuber: „Schwert und Galgen. Geschichte der Todesstraf­e in Salzburg“, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2018. Die Autoren stellen das Buch gemeinsam mit Hans Matschek am 12. Juni um 18 Uhr in der Max-GandolphBi­bliothek, Kapitelgas­se 5–7, vor. Anmeldung bitte an Tel.: 06246 / 73955 oder
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