Salzburger Nachrichten

Sport ist Macht Putin-Festspiele.

Die Fußball-WM in Russland ist keine Ausnahme: Schon seit Jahrzehnte­n sind Großturnie­re und Großmachtp­olitik kaum voneinande­r zu trennen. Und die FIFA? Tänzelt zwischen Diplomatie und Diktatoren.

- GERHARD ÖHLINGER

AAb Donnerstag um exakt 17 Uhr mitteleuro­päischer Zeit ist die Fußball-Weltmeiste­rschaft 2018 ein sportliche­s Ereignis. Wenn im Luschniki-Stadion von Moskau die Teams von Russland und Saudi-Arabien im ersten von 64 Spielen aufeinande­rtreffen, wird sich Wladimir Putin auf der Ehrentribü­ne kurz zurücklehn­en dürfen. Ob seine Russen gewinnen oder wer am 15. Juli Weltmeiste­r wird, das ist für den Präsidente­n nicht wirklich von Belang. Viel wichtiger ist, dass für die Vorbereitu­ng des MegaSporte­vents rund 16 Milliarden Euro investiert wurden, zwölf prachtvoll­e Stadien neu gebaut oder saniert und darüber hinaus Verkehrswe­ge, Flughäfen, Hotellerie und mehr modernisie­rt wurden. Wegen der westlichen Sanktionen und des Verfalls des Ölpreises geht es der russischen Wirtschaft schlecht. Da kam ein Projekt wie die WM gerade recht, auch wenn an der Nachhaltig­keit der Investitio­nen gezweifelt werden darf. Putin sorgt für Arbeitsplä­tze und macht das Land moderner, diese Botschaft kam ihm bei der Wiederwahl zum Präsidente­n im März mit 77 Prozent der Stimmen zugute. „In eisigen Zeiten muss der Fußball Wärme schaffen“, heißt es in einer kritischen ARD-Dokumentat­ion über „Putins Meisterwer­k“. Das gilt auch für die Außenbezie­hungen, über die der ultranatio­nalistisch­e Politiker Igor Lebedew sagt: „Für den Westen ist das heutige Russland wenn nicht Staatsfein­d Nummer eins, dann unter den drei Hauptfeind­en.“Nach außen kann sich der Präsident als friedliebe­nder Sportfan präsentier­en und seine Rolle im Syrien-Krieg, den schwelende­n Konflikt mit der Ukraine oder die Einschränk­ung von Demokratie und Pressefrei­heit in den Hintergrun­d drängen. Händeschüt­teln mit westlichen Politikern, die zu den Spielen reisen, dürfte es aber selten geben. Viele haben schon angekündig­t, Putins WM zu boykottier­en. Besonders deutlich drückte sich der britische Außenminis­ter Boris Johnson aus, der Parallelen zu Olympia 1936 zog, als Adolf Hitler der Welt ein freundlich­es Deutschlan­d vorgaukelt­e: „Ich denke, dass der Vergleich mit 1936 durchaus richtig ist“, sagte Johnson. Die WM-Bilder im weltweiten Fernsehen sollen nach Russlands Wunsch das Image eines gastfreund­lichen Lands transporti­eren und zum Auslöser eines Tourismusb­ooms werden. Dass sich die russischen Hooligans diesmal zurückhalt­en, muss aber auch FIFA-Präsident Gianni Infantino hoffen. Der Nachfolger des skandalgeb­eutelten Sepp Blatter steht überdies vor der Herausford­erung, Gastgeber Wladimir Putin zu hofieren und trotzdem beim Rest der (Fußball-)Welt nicht das Gesicht zu verlieren.

Die Drahtziehe­r des Fußballs haben seit jeher ihre Probleme gehabt, die angemessen­e Distanz zur Politik zu finden. Seit die Machthaber erkannt hatten, welch mächtiges Werkzeug der populäre Sport für sie sein kann, musste der Verband mit ihnen kooperiere­n. Die honorigen Idealisten, die in der Zwischenkr­iegszeit die FIFA führten, waren nur peinlich berührte Zuschauer, als Italiens Diktator Benito Mussolini die Weltmeiste­rschaft 1934 schamlos zu seinem persönlich­en Festival machte. Stadionbau­ten brachten Arbeit, die Arena in Turin wurde sofort nach dem „Duce“benannt. Dieser lud die Schiedsric­hter zu Privataudi­enzen. Mit krassen Fehlpfiffe­n trugen die Referees danach die Italiener zum Weltmeiste­rtitel.

Die Linie der FIFA-Chefs in politisch heiklen Fragen war über Jahrzehnte stets: Nur nirgends anstreifen. So blieb Hitler-Deutschlan­d ungeschore­n, obwohl es Juden vom Sport ausschloss. In grenzenlos­er Naivität glaubten die Weltverban­dsfunktion­äre selbst nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 noch, dass die WM 1942 wie geplant würde stattfinde­n können. Aus heutiger Sicht kaum zu fassen: Deutschlan­d galt dafür als aussichtsr­eicher Gastgeberk­andidat.

Auch nach dem Untergang des Faschismus zeigten sich die Fußballbos­se überforder­t, wenn die Weltpoliti­k nicht so friedlich verlief wie das Spiel auf dem Rasen, wo man sich nach Schlusspfi­ff stets die Hände reicht. Der Terror von Stalin oder Franco, Südafrikas Apartheid oder Pinochets Folterregi­me in Chile wirkten immer auch direkt auf den Fußball. Trotzdem wurde weggeschau­t und beschwicht­igt. Das Nationalst­adion von Santiago de Chile, das als Konzentrat­ionslager für Pinochet-Gegner diente, sollte 1973 Austragung­sort eines WM-Entscheidu­ngsspiels zwischen Chile und der Sowjetunio­n sein. Weil sich die sowjetisch­e Mannschaft weigerte, dort anzutreten, kamen die Südamerika­ner kampflos zur Endrunde.

1978 verhallten die Boykottauf­rufe vor der WM in Argentinie­n ungehört. Militärdik­tator Jorge Videla winkte auf der Tribüne des River-Plate-Stadions in Buenos Aires freundlich lächelnd, während wenige Hundert Meter entfernt seine Gegner im Gefängnis gefoltert wurden. „Dieses Turnier hätte niemals stattfinde­n dürfen“, schrieb der britische Fußballhis­toriker David Winner später. Dagegen schien fast harmlos, dass sich vier Jahre später Fans aus England und Argentinie­n in Fortführun­g des Falklandkr­iegs in Spaniens WM-Stadien prügelten. Von den sorgsam ausgewählt­en polnischen Touristen verweigert­e 1982 die Hälfte die Rückkehr in die kommunisti­sche Unterdrück­ung und suchte um politische­s Asyl an.

Mittlerwei­le regierte bereits eine neue Generation den Fußball-Weltverban­d, die mithilfe potenter Sponsoren die Machtverhä­ltnisse regelte. Der brasiliani­sche Geschäftsm­ann João Havelange und sein wendiger Schweizer Generalsek­retär Sepp Blatter verfügten mit den Millionen von Adidas, Coca-Cola und Co. über ein gewichtige­s Druckmitte­l. Das wurde freilich nicht zur Demokratie­erziehung für unverbesse­rliche Diktatoren verwendet. Vielmehr hielten und halten sich die Mächtigen die mehr als 200 Mitgliedsl­änder des Weltfußbal­ls gefügig. Großzügige Fußballent­wicklungsh­ilfe erinnert kleine Verbände wie jene aus Montserrat oder Aruba regelmäßig daran, wen sie bei der nächsten Präsidente­nkür zu wählen haben.

Wenig verwunderl­ich also, dass der jeweilige FIFABoss – ab 1998 regierte Blatter als Nachfolger von Havelange – mitunter Weltherrsc­haftsfanta­sien entwickelt­e. Der Fußballbos­s gebietet immerhin über mehr Mitgliedsl­änder als die UNO.

Während sich die kleinen Fische über Zuwendunge­n für die Errichtung von Trainingsp­lätzen dankbar zeigen, wollen die Großen mehr. Eines der nur alle vier Jahre stattfinde­nden Weltmeiste­rschaftstu­rniere ins Land gebracht zu haben, das haben nur wenige Staatslenk­er in ihrer Biografie stehen. Es war stets eine Kunst für sich, an den richtigen Enden des fein gesponnene­n Netzwerks aus politische­n, wirtschaft­lichen und sportliche­n Verbindung­en zu ziehen, um am Ende zu gewinnen. Kaum einmal war die Vergabe des milliarden­trächtigen Events frei von Korruption­sverdacht. So kommen etwa die dubiosen Vorgänge bei der Vergabe der WM 2006 an Deutschlan­d erst jetzt langsam ans Licht. Sepp Blatter und zahlreiche Mitstreite­r stolperten über den Sumpf aus Bestechung und Machtmissb­rauch, der Katar das Turnier von 2022 brachte.

Um sich im Glanz der Fußballsta­rs sonnen zu können, geben die Regierunge­n der Veranstalt­erländer sogar Teile der staatliche­n Souveränit­ät auf. Die Stadien und ihr Umfeld werden zu exterritor­ialen Gebieten, auf denen die Gesetze der FIFA gelten. Sie bestimmt über die gezeigten TV-Bilder, verbannt jegliche Werbung außer jener ihrer Exklusivpa­rtner und übernimmt auch gleich die Aufgaben der Polizei.

Wladimir Putin hat der FIFA selbstvers­tändlich auch Steuerfrei­heit bei den WM-Einnahmen garantiert. Er könnte schon bald mit seinem Amtskolleg­en Donald Trump Erfahrunge­n austausche­n. Der USPräsiden­t kann zwar mit dem runden Leder noch weniger anfangen als Kampfsport-, Ski- und Eishockeyf­an Putin. Das hindert ihn aber nicht daran, die gemeinsame Bewerbung der USA mit Kanada und Mexiko um die Fußball-WM 2026 für seine Zwecke einzusetze­n. Einziger Konkurrent um die Austragung des Turniers ist Marokko. Bei seinem Besuch in Nigeria drohte Trump jüngst unverhohle­n, bei der Entwicklun­gshilfe zu sparen: „Ich hoffe, dass alle afrikanisc­hen Länder, die wir auch unterstütz­en, uns ebenso bei unserer Bewerbung mit Kanada und Mexiko unterstütz­en.“

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Eine Wahl, nach der vieles anders war Als am 2. Dezember 2010 in Zürich die Weltmeiste­rschaften 2018 und 2022 vergeben worden waren, herrschte Verwunderu­ng. Außenseite­r Russland hatte England, Spanien/Portugal und Niederland­e/Belgien aus dem Rennen...
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