Schwindel oder Heimatposse?
In der Fußballwelt wird ein- und ausgewandert. Aber warum spielen die Stars nicht für die Nation, in der ihr Club beheimatet ist?
Noch heute leugnen viele, dass Österreich und Deutschland Einwanderungsländer seien. Dennoch wird in Österreich und Deutschland ein- und ausgewandert. Das ist nicht zuletzt auf dem Fußballplatz zu sehen. Dort ist kaum Beoder Entfremdung zu spüren, da wird multikulturell gespielt und getrickst, gefoult und verhandelt, umarmt und die Fahne geschwenkt. Auch bei der WM 2018 wird man sie wieder sehen: die bunten Nationalflaggen an den Häusern und in Stadien, auf Straßen und an Autos. Für welche Nation? Natürlich für die eigene, zu der man sich bekennt, weil man mit und in der Nation „bei sich ist“.
Und wer spielt für die eigene Nation? Klar, Poldi alias Lukas Podolski und Miroslav Klose sind Deutsche, auch wenn ihnen schon Mitleidstränen kamen, als sie Tore gegen ihr Herkunftsland Polen schossen. Polens bester Mittelfeldspieler Roger Guerreiro kam aus Brasilien 2006 zu Legia Warschau, im April 2008 zu einem Pass – einem polnischen Reisepass – und ins polnische Nationalteam. Der gebürtige Brasilianer Diego Costa von Atletico Madrid spielt seit 2014 in der spanischen Nationalmannschaft, der frühere deutsche Nationalspieler Roman Neustädter für Russland, nachdem er die russische Staatsbürgerschaft angenommen hat.
Ähnlich rasch ging es mit der Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft an den aus Kroatien stammenden Ivica Vastić und den Serben Zlatko Junuzović, der in Österreich beim GAK, Austria Kärnten und Austria Wien gespielt hatte, bevor er 2012 zu Werder Bremen ging und jetzt beim FC Red Bull Salzburg gelandet ist. Kein Wunder, dass die Österreicher mit Stolz auf Vastić, Junuzović und Alaba verweisen, den Tirols Landeshauptmann Platter in Unkenntnis seiner Nationalität mit „How do you do?“begrüßte.
Bei der WM in Brasilien schlüpften neben Poldi und Miro noch Sami Khedira, Shkodran Mustafi, Mesut Özil und Jérome Boateng – alle in Deutschland geboren – ins schwarz-rot-goldene Trikot und machten das deutsche Team bunt. Es gibt zig Stars, die nicht in der Nationalelf ihres Herkunftslandes stehen. Wir haben es mit einer Art von Entwicklungshilfe zu tun, auch wenn sich die Himmelsrichtungen, aus der sie kommt und wohin sie geht, immer wieder ändern. Die Balltreter werden in diesem „global play“selbst wie Bälle von einem Land oder Kontinent zum anderen geschossen. Die Frage ist aber, ob die Spielberechtigung, wie sie UEFA und nationale Fußballverbände vorsehen, noch zeitgemäß, vor allem sportgerecht ist.
Vielleicht erinnert man sich noch, als 2008 zwei englische Clubs, der FC Chelsea und Manchester United, im Finale der Champions League standen. Das Lob über das spielerische Niveau der Engländer war kaum noch zu überbieten, aber bei der EM im selben Jahr war England nicht dabei. So scheint auch für viele Reporter, Bundesliga-Vorstände und Spielerberater in Österreich nicht mehr zu zählen, wer warum auf welcher Position wie gut und wie lange spielt, sondern wie viele Spieler von österreichischen Bundesligavereinen in ausländischen Vereinen der ersten oder zweiten Liga spielen. Wenn Österreich damit zum Fußballer-Exportland wird, profitiert aber nicht das österreichische Nationalteam, wie kolportiert wird, sondern nur das Geschäftsmodell der Vermittler und Betreuer. So wird die Bundesliga zur „Ausbildungsliga“. Ihr Geschäft des modernen Menschenhandels blüht. Aber die österreichische Nationalmannschaft befindet sich „unter ferner liefen“. Über deutsche Bundesligavereine schaffen es viele Spieler in die holländische, tschechische, polnische oder türkische Nationalelf. Ebenso wie viele deutsche Spieler bei italienischen, spanischen oder englischen Erstligaclubs spielen.
Es überrascht daher nicht, dass immer wieder Stimmen im DFB laut werden, die Zahl der ausländischen Spieler, die jeweils für einen Verein auflaufen können, zu begrenzen. Es könnte ja passieren, dass irgendwann überhaupt kein einheimischer Spieler mehr vor den Augen der inländischen Öffentlichkeit die Qualifikation für das Nationalteam schafft. Wenn kein deutscher bzw. österreichischer Spieler im eigenen Land mehr auf dem Fußballplatz zu sehen ist, der für die Nationalelf in Frage kommt, soll dann umgehend eingebürgert werden, damit Jogi Löw und Franco Foda nicht den Überblick verlieren?
Macht es da nicht Sinn, unabhängig von der Staatsbürgerschaft für die Nationalelf nur jene Spieler zu rekrutieren, die auch in der jeweiligen Nation und deren Ligen spielen, weil sie dort Spielweise und Stärken der Teams bestimmen? Dem Zuspruch der Fans bei den Vereinen hat das bisher keinen Abbruch getan. Deshalb mein Vorschlag, ab der nächsten WM die Nationalteams nur aus Spielern der jeweils nationalen Vereine zu rekrutieren. Warum sollten Cristiano Ronaldo und Lionel Messi nicht für Spanien, Mesut Özil und Ilkay Gündogan für England, Franck Ribery und David Alaba für Deutschland und Amadou Haidara für Österreich spielen? Sie leben in Spanien, England, Deutschland bzw. Österreich, sie spielen für die Clubs in diesen Ländern und tragen zu deren Fußballkultur bei.
Dann könnte man sich auch die heuchlerische Debatte um die Fotos von Özil und Gündogan mit dem türkischen Präsidenten Erdoğan sparen, zumal man seine familiären Wurzeln in der Türkei nicht leugnen muss und doch Deutscher sein kann. Es soll ja Sportgrößen geben, die ihren Wohnsitz oder ihre Bankkonten ins Ausland verlegen, um Steuern im „Heimatland“zu umgehen. Müssen Nationalspieler immer zu Vorbildern hochgeschraubt werden? Bei den Sponsoren bzw. Eigentümern der Vereine und den Nationaltrainern ist das längst kein Thema mehr, wenn wir z. B. an den Griechen Otto Rehhagel, den Polen Leo Beenhakker, den Russen Guus Hiddink oder den JetztÖsterreicher Franco Foda denken. Was unterscheidet den Trainer von seinen Spielern im nationalen Team? Gilt der Spruch „Wir sind ein Team“, das die Nation vertritt, für die Trainer nicht gleichermaßen?
Die neue Rekrutierungspraxis wäre ehrlicher und würde die tatsächliche Stärke einer Fußballnation spiegeln – nicht die verhinderte oder geliehene. Warum sollten Fußballfans, die ihrem multikulturell zusammengesetzten Verein die Daumen halten und zujubeln, das nicht auch bei der Nationalmannschaft tun, wenn in ihr jene Spieler auftreten, die unabhängig von ihrer Staatsbürgerschaft in den Clubs bzw. der Liga der jeweiligen Nation spielen? Eine solche Fußballer-Rekrutierung könnte sogar der Vorstellung vom neuen Europa Auftrieb geben.
Nicht zuletzt zeigt der Fall Özil und Gündogan, dass im Profisport Geld, Beziehungen, Marketing und PR eine zentrale Rolle spielen. Die Fußballwelt ist verrückt – verrückt durch Gier, Korruption und mediale Scheinheiligkeit. Und natürlich folgt auf die Meisterparty der Transferpoker, auch bei Red Bull Salzburg. Fußball ist zur Show geworden. Wo aber die Form zur Show wird, geht der Sinn verloren. Wo bleibt der Sport? Diese Frage stellt sich nicht nur, wenn die reichsten Vereine meistens ganz oben stehen oder in dem von FIFA-Präsident Gianni Infantino vorgeschlagenen Turnierformat der Klub-WM nur mehr eine oder zwei Mannschaften in einem Land wichtig wären. Ist die Nationalelf noch eine Sportgemeinschaft? Nur wenn Fußball in die Lebenswelt der Fans eingebettet wird, erzeugt er Sinn. Denn das Publikum macht das Spiel zum Ereignis. Dann könnten die Österreicher endlich wieder ihre Pilgerschaft nach Córdoba antreten und ewig über Klagenfurt frohlocken. Hermann Strasser ist Soziologe und deutscher Beamter auf Lebenszeit mit österreichischem Pass, seit 2007 Professor emeritus der Universität Duisburg-Essen und hielte bei der WM und EM für die Österreicher beide Daumen, wenn sie nur dabei wären.
Nationalteams nur aus Spielern der nationalen Vereine rekrutieren. Hermann Strasser, Soziologe