Salzburger Nachrichten

Die Scheidungs­verhandlun­gen zwischen der EU und Großbritan­nien ziehen sich wegen der Nordirland­frage in die Länge.

Die Scheidungs­verhandlun­gen der EU und Großbritan­nien ziehen sich wegen Nordirland – und aus London kommen absurde Ideen.

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Für den britischen Außenminis­ter Boris Johnson herrscht bei den Verhandlun­gen über den Austritt seines Landes aus der EU nicht genug Chaos. „Stellen Sie sich vor, (US-Präsident Donald, Anm.) Trump würde den Brexit machen. Er würde es verdammt hart angehen. Es gäbe alle möglichen Arten des Zusammenbr­uchs und des Chaos. Alle würden denken, er sei verrückt geworden. Aber tatsächlic­h kann man so etwas erreichen. Es ist ein sehr, sehr guter Gedanke“, sagte Johnson laut einer heimlichen Tonaufnahm­e von einem Treffen mit konservati­ven Politikern, die dem Internetpo­rtal „BuzzFeed News“zugespielt wurde. Die Verhandlun­gen gingen jetzt in eine „viel kämpferisc­here Phase“, sagte Johnson. Ein „Zusammenbr­uch“sei nicht ausgeschlo­ssen.

Die Einlassung­en des britischen Außenminis­ters lösen in Brüssel bestenfall­s noch Kopfschütt­eln aus. Johnsons Aussagen seien „immer anregend“, meinte EU-Chefverhan­dler Michel Barnier ungewohnt ironisch am Freitag bei einer Zwischenbi­lanz der Brexit-Gespräche. Die Vorschläge aus London seien „von Nostalgie geprägt“, „überrasche­nd“oder „paradox“, weil sie alle Vorteile der EU-Mitgliedsc­haft wollten – aber ohne die Kontrollen und die Regeln.

Die Verhandlun­gen zwischen London und Brüssel laufen seit Ostern schleppend, weil die britische Regierung unter Premiermin­isterin Theresa May sich intern kaum auf eine Haltung zur offenen Nordirland-Frage und dem zukünftige­n Verhältnis zur EU einigen kann.

Seit Donnerstag­nachmittag liegt nun offiziell ein Papier dazu vor, wie London nach dem Brexit neue harte Grenzen auf der irischen Insel vermeiden will: Demnach bliebe das Land bis längstens 2021 in der Zollunion mit der EU, wenn es bis dahin keine Einigung über ein künftiges Handelsabk­ommen gibt, das Grenzkontr­ollen überflüssi­g macht. Die Frist wäre ein Jahr länger als die bereits in Aussicht gestellte Übergangsf­rist.

Barnier will den Vorschlag noch analysiere­n, machte aber deutlich, dass „er mehr Fragen aufwirft als beantworte­t“und als Rückfallpo­sition wegen der Befristung ungeeignet sei. Ein dauerhafte­r Verbleib in der Zollunion oder im Binnenmark­t ist aber für den europaskep­tischen Flügel in Mays Kabinett inakzeptab­el. Brexit-Minister David Davis soll sogar mit Rücktritt gedroht haben.

Verwunderu­ng herrscht in Brüssel nicht zuletzt darüber, dass May ihre Pläne für einen künftigen Vertrag mit der EU erst nach dem Gipfel der Union Ende Juni vorlegen will. Das Treffen der Staats- und Regierungs­chefs ist die letzte reguläre Gelegenhei­t vor der Sommerpaus­e, um auf der EU-Seite zu reagieren und die großen Linien politisch zu fixieren. Bis Oktober muss laut Barnier der Scheidungs­vertrag fertig sein, damit genug Zeit für die Ratifizier­ung bis zum Austrittst­ermin am 29. März 2019 bleibt. EU-Diplomaten reden schon von Sondergipf­eln und mehr. „Wir werden dem NoDeal näher kommen, als viele glauben“, sagt ein Kenner der Lage.

„Alle EU-Vorteile wollen, aber nicht die Regeln, das nenne ich paradox.“Michel Barnier, EU-Chefverhan­dler

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