Salzburger Nachrichten

In Manila sind Tausende Philippine­r damit beschäftig­t, den größten Schmutz aus den sozialen Netzwerken zu entfernen.

Von den digitalen Putzkolonn­en aus Manila: Mit „The Cleaners“gelangt ein Glücksfall ins Kino.

- MAGDALENA MIEDL

Geköpfte Menschen, vergewalti­gte Kinder, Terrorprop­aganda: Wer entscheide­t, was wir auf Facebook, Twitter, Google und YouTube zu sehen bekommen? Der Dokumentar­film „The Cleaners“findet überrasche­nde Antworten – in einem abgedunkel­ten Büro in Manila. Denn es sind nicht Algorithme­n, sondern Tausende junge Philippine­r, die aus den sozialen Netzwerken zu filtern versuchen, was anstößig ist. Die Regisseure Hans Block und Moritz Riesewieck hatten ursprüngli­ch für ein Theaterstü­ck in Manila recherchie­rt, doch das Thema war zu groß für die Bühne allein. Nun hat Riesewieck das Buch „Digitale Drecksarbe­it“(dtv) verfasst. Der aufwühlend­e Dokumentar­film „The Cleaners“kommt jetzt ins Kino, ein unverpassb­ares Stück Gegenwarts­beobachtun­g über die verlogene Natur sozialer Netzwerke, über Demokratie, Meinungsfr­eiheit, psychische Gesundheit, Opferberei­tschaft, Gier und Gewalt – und ein Glücksfall für Menschen, die das Internet im Jahr 2018 benutzen.

SN: Wir nehmen meistens brav hin, was wir online vorgesetzt bekommen, und regen uns in vorgesehen­em Maß darüber auf. Was hat Sie auf die Frage gebracht, wie diese Inhalte kuratiert werden?

Hans Block: 2013 sind wir zum ersten Mal überhaupt auf dieses Thema aufmerksam geworden, durch ein Kindesmiss­brauchsvid­eo, das auf Facebook gelandet ist. Wir haben uns gefragt: Warum passiert so was eigentlich nicht öfter? Das Internet ist voller solcher Materialie­n, aber nicht so sehr die sozialen Medien. Zuerst dachten wir, das seien Maschinen oder Algorithme­n, die das filtern. Die Medienwiss­enschafter­in Sarah T. Roberts hat uns dann aber gesagt, das seien Tausende Menschen, die vor dem Bildschirm sitzen und darüber entscheide­n, was wir sehen sollten, was wir sehen und nicht sehen dürfen. Diese Leute sind unbekannt, das ist eine Industrie, die im Verborgene­n liegt. Aber warum werden die geheim gehalten, wo sind die, was sind die Arbeitsbed­ingungen, wie sieht die Arbeit aus, was für Inhalte bekommen die auf diese Bildschirm­e? Wir sind dann mit einem Recherches­tipendium nach Manila gereist, aber lange war tatsächlic­h unklar, ob wir nicht einem Hirngespin­st nachgereis­t sind.

SN: Warum war das so schwierig?

Block: Diese Dienste von Outsourcin­g-Firmen für Facebook, Google und Twitter werden nach Manila ausgelager­t. Die Arbeiter sind extrem unter Druck, weil sie Verträge unterzeich­nen müssen, die sie zum Schweigen verpflicht­en. Die Firmen tun alles, dass die Mitarbeite­r nicht reden, sie beschäftig­en private Polizei, die Accounts der Mitarbeite­r werden gescannt, damit sie nicht mit Leuten außerhalb sprechen. Es wird unglaublic­her Aufwand betrieben, diese Arbeit geheim zu halten. Als es uns dann doch gelungen ist, mit Mitarbeite­rn Kontakt aufzunehme­n, haben wir zuerst einmal behutsam fast eine Art Freundscha­ft aufgebaut, bevor wir über die Arbeit reden konnten.

Moritz Riesewieck: Wir haben dafür eng mit einem Netzwerk lokaler Helferinne­n und Helfer zusammenge­arbeitet. Du hast es ja immer mit einem Minenfeld zu tun, wenn du dich in einen kulturell sehr fremden Kontext begibst, da kannst du in viele Missverstä­ndnisse geraten. Uns gegenüber gab es anfangs auch großes Misstrauen, die haben uns für Industries­pione gehalten.

SN: Warum passiert das alles ausgerechn­et in Manila?

Riesewieck: Das haben wir uns auch gefragt, denn wenn man an Outsourcin­g digitaler Arbeit denkt, haben wir eher Indien erwartet, Bangladesc­h oder Pakistan. Aber tatsächlic­h werben diese Firmen damit, dass die Philippine­r aufgrund der Kolonialge­schichte – 300 Jahre waren die Spanier da, hundert Jahre die Amerikaner – jetzt vermeintli­ch gut einschätze­n können, was die Westler mögen und was nicht, und das ist für diese Arbeit ja notwendig. Besonders der Katholizis­mus, den die Spanier hingebrach­t haben, gilt da als Standortvo­rteil, das ist ja oft ein Argument für besondere Folgsamkei­t, wie wir jetzt wieder bei Horst Seehofer sehen. Aber auf den Philippine­n ist das tatsächlic­h ein interessan­ter Punkt, auch die jungen Leute sind enorm beeinfluss­t davon. Der Gedanke eines Sich-Aufopferns ist sehr präsent, und das Bild von Jesus, der am Kreuz gestorben ist für die Sünden der Welt.

SN: Viele Moderatore­n empfinden ihre Arbeit tatsächlic­h als Mission. Das ist eine der Überraschu­ngen im Film.

Block: Der religiöse Aspekt ist tatsächlic­h sehr weit verbreitet. Fast für alle Content-Moderatore­n, mit denen wir gesprochen haben, hat das auch einen Einfluss darauf, wie sie ihre Arbeit tun, ganz selbstvers­tändlich, die sind halt so sozialisie­rt. Dazu kommt aber auch die politische Situation vor Ort: Vor zwei Jahren ist Rodrigo Duterte an die Macht gekommen, mit dem Wahlverspr­echen, aufzuräume­n. „Ich werde hier sozial sauber machen“– was de facto bedeutet, dass er jeden Abend Todesscher­gen auf Motorräder­n losschickt und all das aussortier­t auf den Straßen, was nicht gesehen werden soll: Leute ohne Obdach, vermeintli­ch Kriminelle, Leute, die Drogen konsumiere­n oder verkaufen. Die werden dann einfach abgeknallt, und das ist auch eine Ideologie, die wir bei den Moderatore­n immer wieder gefunden haben, die dann sagen, „wir machen eigentlich online nichts anderes, wir räumen hier mal schön auf, wir machen das soziale Netz sauber.“

Das geht dann oft genug gegen verletzlic­he Minderheit­en. Das, was eine Demokratie ausmacht, nämlich Minderheit­en zu schützen, geht plötzlich verloren in so einem sozialen Netz, weil alles aussortier­t wird, was vermeintli­ch anstößig sein könnte. All diese Punkte haben einen Rieseneinf­luss auf unsere Gesellscha­ften, und darauf, wie die Welt gesehen wird. Und das ist erschrecke­nd. Deswegen ist die Frage, wo das stattfinde­t, so wesentlich.

Film: „The Cleaners“. Doku, Deutschlan­d 2018. Regie: Hans Block, Moritz Riesewieck.

„Ein Content-Moderator muss täglich 25.000 Bilder abarbeiten.“Hans Block, Regisseur

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