Braucht Österreich eine Statistik über Schwangerschaftsabbrüche oder werden vorliegende Daten ignoriert?
Braucht Österreich eine Statistik über Schwangerschaftsabbrüche oder werden bereits vorliegende Daten von der Politik ignoriert? Martina Kronthaler, Generalsekretärin der Aktion Leben, und der Gynäkologe Christian Fiala im SN-Streitgespräch. Moderiert von
SN: Eine 36-jährige Mutter von zwei Kindern wird abermals schwanger. Es bricht ihr das Herz, aber für ein drittes Kind fehlen ihr sowohl finanzielle Mittel als auch Kraft. Warum soll sie sich dennoch an die Aktion Leben wenden? Kronthaler: Wir merken immer wieder, es mangelt an Informationen über Unterstützungsmöglichkeiten. Vielleicht gibt es ja doch noch Ressourcen. Das macht Raum auf und entspannt die Situation. Ungewollt schwanger zu sein ist eine schwere existenzielle Krise für die Frau, aber es geht schließlich auch um das Leben eines Kindes. Fiala: Es ist auch einer der intimsten Lebensaspekte, die es gibt. Ein Teil der unterschiedlichen Wahrnehmung zwischen der Aktion Leben und Fachkräften, die Frauen betreuen, erklärt sich daraus, dass sich ungewollt schwangere Frauen das suchen, was ihnen am ehesten entspricht. Wir sehen also ganz unterschiedliche Frauen. SN: Es bleibt in Österreich jeder Frau unbenommen, was sie tut. Eine verpflichtende Beratung gibt es ja nicht. Was dann auch keine Beratung mehr wäre ... Kronthaler: Wir brauchen aber viel mehr Geld für Beratung und Werbung dafür. Fiala: Damit habe ich überhaupt kein Problem. Was aber sicher nicht stimmt, ist, dass Frauen in Zeiten des Internets nicht ausreichend informiert sind. SN: Die Aktion Leben fordert eine anonyme Abbruchsstatistik, damit wir wissen, wo wir stehen. Herr Fiala sagt, wir hätten längst Zahlen, nämlich jene aus Salzburg. Was brauchen wir nun? Kronthaler: Unser großes Anliegen ist die Prävention von Abbrüchen. Dafür brauchen wir eine konkrete Ausgangslage, um Maßnahmen zu entwickeln, um zu wissen, welche Gruppe von Frauen was braucht. Wenn wir Angebote setzen, müssen wir diese ja auch auf ihre Wirksamkeit überprüfen. Das geht nur, wenn wir den Verlauf von Schwangerschaftsabbrüchen beobachten können, wenn es mehr Aufklärung an den Schulen gibt, mehr und bessere Sexualpädagogik, mehr Information über Verhütung. SN: Aber Sie sind sich doch einig, dass es zu viele Abbrüche in Österreich gibt ... Fiala: Mein Problem ist, da kommt jemand von außen, ohne Kenntnis der Situation, und macht Vorschläge, die total unbrauchbar sind. Das ist halt nicht hilfreich. Kronthaler: Was ist daran unbrauchbar? Wir brauchen eine Statistik! Fiala: Es gibt aber schon hinreichend Daten, und es gibt hinreichend Vorschläge. Die sind in den letzten 20 Jahren wiederholt an die Politik herangetragen, aber nicht umgesetzt worden. Weil es offensichtlich keinen politischen Willen gibt. SN: Und wie kommt man dann zu flächendeckend brauchbarem Datenmaterial? Kronthaler: Eine Methode wäre die Meldepflicht. Die funktioniert in Deutschland sehr gut. Deutschland bezahlt nicht alle Abbrüche, sondern nach sozialer Indikation. Fiala: Nein. Die vollständige Kostenübernahme aller Schwangerschaftsabbrüche – das ist die einzige Möglichkeit, zuverlässige Daten zu erheben. Ich finde es schade, dass die Aktion Leben das ablehnt. Was Sie vorschlagen, ist einfach nicht durchführbar. SN: Wie funktioniert wirksame Prävention? Fiala: Zum Beispiel die Kostenübernahme von Verhütungsmitteln – vor allem von den Langzeitverhütungsmitteln. Aber auch da sind Sie dagegen … Kronthaler: Das stimmt ja gar nicht! Verhütung darf nicht an den Kosten scheitern, das ist immer auch unsere Aussage. Da haben wir gar nichts dagegen. Man sollte das nicht allen bezahlen, aber es gibt Frauen, die sich das nicht leisten können. Da wäre es wichtig, eine Kostenübernahme zu überlegen. Fiala: Aber haben Sie nicht unlängst gesagt, Kostenübernahme ist nicht genug? Kronthaler: Das ist richtig, es ist zu wenig. Weil es ja nichts hilft, wenn ich die Pille gratis bekomme, dann aber Anwendungsfehler mache. SN: Da sind Sie ja recht nahe beieinander. Herr Fiala, Sie haben jüngst in den SN gemeint, es sei erschreckend, wie wenig Jugendliche über Sexualität Bescheid wüssten. Fiala: Das stimmt so nicht, denn mit dem Internet hat sich der Informationsstand massiv verändert. Die Jugendlichen können nur die zuverlässige Information nicht herausfiltern. Dann kommen so Dinge auf, wie es derzeit ist, dass plötzlich sehr viele Frauen sagen, ich will ohne Hormone verhüten. Und das geht halt schlecht. Dann werden sie schwanger und kommen zum Abbruch.
Deshalb habe ich überhaupt kein Problem, in der Prävention zusammenzuarbeiten, es muss nur fachlich richtig sein. Kronthaler: Was wir immer wieder merken – es fehlt an Körperwissen. Wie funktioniert eigentlich männliche und weibliche Fruchtbarkeit? Erst wenn man den Zyklus versteht, versteht man auch die Wirkweise der Verhütungsmittel. SN: Wenn Sie sagen, Sie könnten sich Zusammenarbeit in Sachen Prävention vorstellen, ist das ehrenwert. Aber das geht doch ohne Politik nicht ... Kronthaler: Darum wäre die Zusammenführung aller Daten so wichtig. Vielleicht wird die Politik dann ja wach. Fiala: Das ist so mühsam, weil Sie kommen von außen und machen Vorschläge … Kronthaler: Wir kommen nicht von außen, wir kommen von innen drinnen. Fiala: Wir haben seit zwölf Jahren konstante Zahlen in Salzburg – übrigens nicht meine Zahlen, sondern Daten der Landesklinik –, wir machen seit zwölf Jahren einen Jahresbericht, übermitteln ihn der Landesregierung und sagen, das ist die Analyse der Daten – und es ist nichts passiert. Deshalb ist es eine Wunschvorstellung, wenn Sie sagen, wir brauchen Daten für die Prävention. SN: Frau Kronthaler, fürchten Sie, dass bei einer Kostenübernahme der Abbrüche die Zahlen explodieren? Kronthaler: Das ist schwer zu sagen, wir haben ja keine Vergleichswerte. Grundsätzlich ist es in Österreich aber wesentlich leichter, einen Schwangerschaftsabbruch zu bekommen als Beratung und Hilfe für ein Leben mit Kind zu finden. Fiala: Es gibt 400 geförderte Familienberatungsstellen, die im Rahmen der Fristenlösung eingeführt wurden. Und es gibt 30, 40 Stellen, wo Abbrüche gemacht werden. Kronthaler: Da muss ich energisch widersprechen. Beratungen mit Schwerpunkt Schwangerschaft gibt es viel zu wenig. Das ist ein Riesenproblem. Fiala: Das ist kein Problem, es ist Realität, dass es so wenig Nachfrage gibt. Es ist doch eine Fantasie, dass alle Frauen, die ungewollt schwanger sind, eine Beratung bräuchten. Sie haben eine wichtige Aufgabe, dagegen ist ja überhaupt nichts zu sagen. Nur: Ein Großteil der Frauen, die zum Abbruch kommen, braucht das nicht und will das auch nicht. SN: Wie würde denn eigentlich eine gemeinsam formulierte Forderung an die Politik lauten? Fiala: Volle Kostenübernahme für Verhütung und idealerweise die Kostenübernahme für Abbrüche, zumindest für Frauen mit geringem Einkommen. Kronthaler: So möchte ich das nicht unterschreiben. Übernahme der Kosten von Verhütung in sozialen Notlagen auf jeden Fall. Und mehr Geld für Sexualpädagogik, für eine gute Begleitung von Jugendlichen und für eine optimale Information von Frauen. Fiala: Die Kostenübernahme ist ja nur eine Maßnahme. Die Lehrer brauchen eine gute Ausbildung. Es braucht Unterrichtsmaterialien. Die wir jetzt haben, sind ja unbrauchbar. Die Teenies schauen sich die Pornos in ihrem Smartphone an und im Sexualunterricht ist nicht einmal ein nackter Mensch abgebildet. Und wir brauchen mehr Kampagnen. SN: Die Forderung geht also gemeinsam nach oben: Es muss jetzt etwas geschehen, denn so, wie es derzeit ist, ist es unbefriedigend ... Fiala: Wir haben wenige Überschneidungen bei den Patientinnen. Das zeigt, dass Frauen schon vorher abchecken, was sie brauchen und was sie haben wollen. Kronthaler: Aber sie wissen zu wenig über Beratung Bescheid. Fiala: Das einzige Problem, das ich mit Ihnen habe, ist, wenn Sie uns Vorschläge machen, was wir in unserem Bereich tun sollen. Mich persönlich stört es nicht, wenn die Politik uns verpflichtet, jeden Abbruch zu melden. Kronthaler: Na schau. Schon wieder eine Gemeinsamkeit. Fiala: Es funktioniert aber nicht! Ich würde mir wünschen, dass Sie in Ihrem Bereich bleiben, und wir bleiben in unserem. Dennoch: Ich setze mich gerne dafür ein, mehr Geld für ungewollt schwangere Frauen in Krisensituationen zu fordern. Kronthaler: Und wir anerkennen, dass es jetzt schon Daten gibt. Wir wollen nur, dass sie an eine zentrale Stelle weitergeleitet und veröffentlicht werden. Aber wir können gerne schon viel früher – nämlich jetzt – mit der Prävention beginnen.