Die Schweizer stimmen am Sonntag über ihr Geldsystem ab. Nur noch die Nationalbank soll Franken herstellen dürfen.
Per Volksinitiative entscheiden die Schweizer am Sonntag über die Zukunft ihres Geldsystems – und auch über das Schicksal des Finanzplatzes. Aber kaum jemand versteht, worum es geht.
WIEN. Am Sonntag sind die Schweizer Stimmbürger aufgerufen, in einem Referendum über ihr Geldsystem zu entscheiden. Auf den Punkt gebracht lautet die Frage: „Wer soll unsere Franken herstellen: Private Banken oder die Nationalbank?“
Was zunächst wie eine abstrakte oder gar skurrile Diskussion anmutet, führt bei näherer Betrachtung tief hinein in die Welt der Geldtheorie bis hin zur Frage nach dem Wesen des Geldes – mit letztlich sehr konkreten Auswirkungen.
Die Befürworter der Vollgeld-Initiative verlangen nämlich, dass Geld nur noch von der Schweizerischen Nationalbank SNB in Umlauf gebracht werden darf – und nicht wie bisher auch von Geschäftsbanken. Diese vergeben in der Praxis Kredite in elektronischer Form als sogenanntes Buch- oder Kreditgeld, ohne entsprechende Deckung.
Rund 90 Prozent aller Franken – auch des Euro – sind so entstanden, als elektronischer Eintrag auf ein Konto. Nur etwa zehn Prozent der umlaufenden Geldmenge existieren in Form von Banknoten und Münzen. Im Gegensatz dazu ist elektronisches Geld im Grunde genommen ein Versprechen der Bank, den Betrag in bar auszubezahlen, wenn der Kunde das wünscht.
Genau da setzt die Kritik der Vollgeld-Befürworter an. Die Initiative, angeführt von dem pensionierten Volksschullehrer Hansruedi Weber, hält das für unsicher. Man weist auf die Gefahr von „bank runs“hin, vom Ansturm auf eine Bank, wenn schlagartig viele Kunden gleichzeitig ihre Einlagen beheben wollen.
Weil die Bank das benötigte Bargeld in der Regel nicht lagernd hat, gehen die meisten leer aus, damit droht der Bank die Zahlungsunfähigkeit, Kunden verlieren ihr Geld. Für Vollgeld-Befürworter Weber ist
Bankenstürme soll es nicht mehr geben
das folgerichtig. Für ihn heißt Geld auf einer Bank: „Ich besitze keinen Franken, nur ein Versprechen.“
Einen Bankensturm gab es 2007 bei der britischen Northern Rock. Die UBS wurde 2008 gerettet, nachdem Kunden in kurzer Zeit Milliarden abgezogen hatten. Und am Höhepunkt der Griechenland-Krise 2012 flogen Militärflugzeuge Millionen Euroscheine nach Athen, um den Bankenkollaps zu verhindern.
Weber und seine Mitstreiter wollen die Schweizer Bundesverfassung verändern. Die Stelle aus dem Jahr 1891, an der es heißt: „Das Geld- und Währungswesen ist Sache des Bundes“, soll um den Begriff Buchgeld erweitert werden. Nur noch die SNB solle künftig „Münzen, Banknoten und Buchgeld als gesetzliche Zahlungsmittel“schaffen können. Das würde die traditionell starke Rolle der Banken in der Schweiz schwächen und jene der Nationalbank aufwerten. Aber gerade die SNB gehört zu den schärfsten Kritikern der Initiative. SNB-Chef Thomas Jordan bewertet die Vorschläge als „äußerst problematisch. Sie sind nicht durchdacht und basieren teilweise auf Denkfehlern“. Stärkstes Gegenargument von Jordan und anderen ist der Hinweis, dass auch Vollgeld die Krise von 2008 nicht verhindert hätte.
Skeptisch ist auch Martin Brown, Professor für Bankwirtschaft an der Universität St. Gallen. Ihm scheinen die Erwartungen der „Initianten zu gut, um wahr zu sein“. Die Realität sei „wesentlich komplexer“, die Bedrohung durch Bankenstürme habe deutlich abgenommen.
In den Umfragen haben die Gegner des Referendums die Nase klar vorn. Keine Partei, keine prominente Persönlichkeit steht auf Seiten der Vollgeld-Befürworter. Zudem ist die Materie nicht gerade einfach. Schweizer Medien versuchen seit Wochen, ihren Lesern und Zusehern zu erklären, worum es eigentlich geht. Kein Wunder, dass das Thema – anders als jüngste Debatten über Minarette oder TV-Gebühren – „nicht sehr heiß diskutiert wird, eigentlich überhaupt nicht“, wie Professor Brown sagt.