Kurz ein Rockstar
Von der Verrockung der Politik, die nur aus Worthülsen gebaut ist.
Der Botschafter der USA in Berlin fiel bisher nicht durch Kenntnisse hinsichtlich der Geschichte der Rockmusik auf. Trotzdem – wahrscheinlich weil das mit der Rockmusik so aufregend klingt – sagte der Botschafter, der österreichische Kanzler Sebastian Kurz sei ein „Rockstar“. Keith Richards und Neil Young sind vor Lachen fast erstickt, als sie das hörten. Bruce Springsteen hat auf der „Thunder Road“seine Mary ins Auto geholt und g’scheit Gas gegeben, damit sie rauskommen aus der „town full of losers“. Und Eddie Vedder singt vor sich hin: „Society, you’re a crazy breed.“
Nun hat ein US-Botschafter unter Donald Trump vieles zu bewältigen und anderes zu tun, als sich bei den Rockstars auszukennen. Und er muss auch nicht wissen, dass der „Rockstar“als Prinzip des Daseins (und auch als Seismograph des Daseins) im Prinzip ausgestorben ist. Die paar Dinosaurier, die überlebt haben, machen aufrecht weiter. Dass es keine Rockstars mehr gibt, liegt nicht an einem Verbot der E-Gitarre. Es liegt an einer Banalisierung, Entwertung und also Verkaufbarkeit von Dingen, die wichtig, bedeutend und laut sind. Und die Rockmusik gehört zu diesen Dingen wegen ihres aufrührerischen, aufwiegelnden und zutiefst emotionalen Wesens.
Einfach drauflos! So geht Rock in seiner grundsätzlichen Form – und da muss es gar nicht um Musik gehen. Aber dieses „Einfach so!“, das gilt so nicht mehr. Alles vernormt. Alles bestimmt. Alles schon erlebt. Aufruhr ist nicht mehr vorgesehen. Das Aufwieglerische wird abgewogen und ausgetauscht gegen das Mittelmaß des Populismus. Die E-Gitarre hat als Waffe der Gerechtigkeit und des Widerstands ausgedient. Ersetzt ist sie durch Smartphone-Entertainment in der Hose, wo sich einst ganz andere Wichtigkeiten abspielten, und, und, und ... Und jetzt komme ich mir als alter Depp vor, der immer noch große Befreiung von den Unsinnigkeiten und Oberflächlichkeiten der Welt spürt, wenn Neil Young seine Gitarre in ein Feedback jagt. Dabei wollte ich mich keineswegs sentimental aufregen. Ich wollte nur sagen: Viel zu viele Worte – etwa „Rockstar“– werden bloß mehr eingesetzt, weil sie gut klingen, vage Heldenbilder und Emotionen hervorrufen. Diese Worte sind ihres Inhalts beraubt, wie sich Politiker auch gern des Inhalts entledigen, um mit Phrasen gut leben zu können. Wer also Bundeskanzler und andere, die im strengen Anzug durch das Land der vereinfachten Wahrheiten und einlullenden Ablenkungsmanöver streifen, mit dem Wort „Rockstar“in Zusammenhang bringt, begeht Wort-Missbrauch. Oder lügt.