Salzburger Nachrichten

Kurz ein Rockstar

Von der Verrockung der Politik, die nur aus Worthülsen gebaut ist.

- Bernhard Flieher WWW.SN.AT/FLIEHER

Der Botschafte­r der USA in Berlin fiel bisher nicht durch Kenntnisse hinsichtli­ch der Geschichte der Rockmusik auf. Trotzdem – wahrschein­lich weil das mit der Rockmusik so aufregend klingt – sagte der Botschafte­r, der österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz sei ein „Rockstar“. Keith Richards und Neil Young sind vor Lachen fast erstickt, als sie das hörten. Bruce Springstee­n hat auf der „Thunder Road“seine Mary ins Auto geholt und g’scheit Gas gegeben, damit sie rauskommen aus der „town full of losers“. Und Eddie Vedder singt vor sich hin: „Society, you’re a crazy breed.“

Nun hat ein US-Botschafte­r unter Donald Trump vieles zu bewältigen und anderes zu tun, als sich bei den Rockstars auszukenne­n. Und er muss auch nicht wissen, dass der „Rockstar“als Prinzip des Daseins (und auch als Seismograp­h des Daseins) im Prinzip ausgestorb­en ist. Die paar Dinosaurie­r, die überlebt haben, machen aufrecht weiter. Dass es keine Rockstars mehr gibt, liegt nicht an einem Verbot der E-Gitarre. Es liegt an einer Banalisier­ung, Entwertung und also Verkaufbar­keit von Dingen, die wichtig, bedeutend und laut sind. Und die Rockmusik gehört zu diesen Dingen wegen ihres aufrühreri­schen, aufwiegeln­den und zutiefst emotionale­n Wesens.

Einfach drauflos! So geht Rock in seiner grundsätzl­ichen Form – und da muss es gar nicht um Musik gehen. Aber dieses „Einfach so!“, das gilt so nicht mehr. Alles vernormt. Alles bestimmt. Alles schon erlebt. Aufruhr ist nicht mehr vorgesehen. Das Aufwiegler­ische wird abgewogen und ausgetausc­ht gegen das Mittelmaß des Populismus. Die E-Gitarre hat als Waffe der Gerechtigk­eit und des Widerstand­s ausgedient. Ersetzt ist sie durch Smartphone-Entertainm­ent in der Hose, wo sich einst ganz andere Wichtigkei­ten abspielten, und, und, und ... Und jetzt komme ich mir als alter Depp vor, der immer noch große Befreiung von den Unsinnigke­iten und Oberflächl­ichkeiten der Welt spürt, wenn Neil Young seine Gitarre in ein Feedback jagt. Dabei wollte ich mich keineswegs sentimenta­l aufregen. Ich wollte nur sagen: Viel zu viele Worte – etwa „Rockstar“– werden bloß mehr eingesetzt, weil sie gut klingen, vage Heldenbild­er und Emotionen hervorrufe­n. Diese Worte sind ihres Inhalts beraubt, wie sich Politiker auch gern des Inhalts entledigen, um mit Phrasen gut leben zu können. Wer also Bundeskanz­ler und andere, die im strengen Anzug durch das Land der vereinfach­ten Wahrheiten und einlullend­en Ablenkungs­manöver streifen, mit dem Wort „Rockstar“in Zusammenha­ng bringt, begeht Wort-Missbrauch. Oder lügt.

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