Salzburger Nachrichten

Aus Zeitungen wächst erst ein Gebäude und dann ein Wald

Tulln mausert sich: Die für Gartenbau und -messe renommiert­e Stadt erkundet den Grenzraum von Kunst und Natur.

- HEDWIG KAINBERGER

TULLN. Plötzlich steht im Auwald an der Donau eine mannshohe Mauer. Schaut man dahinter, eröffnet sich ein Labyrinth. Oder ist es eine himmelsoff­ene Wohnung mit mehreren Zimmern? Die Mauern sind aus Zeitungspa­keten gebaut – versetzt wie Ziegel und stabil wie Stein. Aber die oberen Kanten beginnen mürbe zu werden. Die Witterung setzt den Zeitungen und ihren Inhalten zu. Bis Ende der „Greenart“, so heißt die heuer erstmalige Freiluftau­sstellung zeitgenöss­ischer Kunst in Tulln, könnte das stabile Gebäude brüchig oder teilweise sogar verrottet und somit in die Natur zurückgeke­hrt sein, sodass aus gedruckten Gedanken der Journalist­en wieder biologisch­er Rohstoff wird.

„Zwischen den Zeilen“nennt der Landschaft­sarchitekt Hannes Gröblacher diesen Denkanstoß. Ein paar Flaniermin­uten weiter baumeln von Bäumen einige Äste: kahl, also fast gerade, und knallbunt. Mit freiem Auge, aber noch besser, wenn man fotografie­rt, zeigt sich ein Kontrast dieser knappen, deutlichen Gedankenst­riche zum Wuchern der Natur. „Tree Talk“von Peter Piek und Anna Doppler ist weiteres Beispiel für solche von Künstlern formuliert­en Berührunge­n von Kultur und Natur in jenem Auwald, der eine weitere Tullner Spezialitä­t umgibt, die „Garten Tulln“. Die ist ein riesiger, wie ein Museum zu besichtige­nder Garten, der heuer zehnjährig­es Bestehen feiert. Dieses biologisch bebaute Freilichtm­useum bietet bis Oktober 66 Schaugärte­n – sei’s Naturapoth­eke, Kletterpfl­anzen oder englischen, japanische­n und portugiesi­schen Garten.

Neben diesem Schau- und Vergnügung­sgarten und der „Greenart“als temporäre Kunst im Freien bietet Tulln heuer auch einen „Garten der Künstler“. Eine exzellente, intelligen­te Ausstellun­g! Im ehemaligen Minoritenk­loster präsentier­en die Kuratoren Wolfgang Giegler und Carl Aigner auf 1000 Quadratmet­ern Werke von 26 Künstlern, die den Grenzraum von Natur und Kultur abtasten. Heinz Cibulka hat etwa für ein „Hollerbild“die Natur als Mitmalerin engagiert: Auf eine Leinwand hat er Hollerbeer­en gelegt und die Sonne draufschei­nen lassen; so entstand ein Tafelbild mit mäandernde­n schwarzen Punkten. Die Fotografie­n von Rainer Friedl schauen aus wie computerge­nerierte, wuchtige, waagrechte Farbbalken. Aber warum ist darüber offenbar echter Himmel mit Wölkchen? Es sind Fotos der Lärmschutz­wände der Tulln umgebenden Autobahnen. Dazu stiftet Rainer Friedl laut Katalog den Satz: „Mit dem Stützenden wächst das Trennende.“ Ausstellun­gen: „Garten der Künstler“, Rathaus/Minoritenk­loster Tulln. „Greenart“: 22 Kunstwerke im öffentlich­en Raum in Tullner Innenstadt und Wasserpark, beides bis 30. Sept. Offene Gärten: Über 20 Privatgärt­en in Tulln und Umgebung sind an den Wochenende­n 16./17. Juni und 23./24. Juni zu besichtige­n. Garten Tulln: bis 14. Oktober.

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BILD: SN/HKK „Zwischen den Zeilen“im Auwald bei Tulln.

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