Gewerkschafter sagen der Regierung den Kampf an
Die Vorhaben der ÖVP-FPÖ-Koalition bei Arbeitszeit und Sozialstaat stoßen auf Kritik. Ein SPÖ-Gewerkschafter spricht von „Schweinereien“. Streiks sind nicht ausgeschlossen.
Beim dreitägigen Bundeskongress in Wien stellt sich der ÖGB nicht nur neu auf – er stellt sich auch klar gegen die Vorhaben der Bundesregierung. Der Leitantrag, der am Donnerstag beschlossen werden soll, liest sich wie ein Gegenprogramm zur ÖVP-FPÖ-Koalition. Die Gewerkschaft tritt gegen die Abschaffung der Notstandshilfe auf, kämpft gegen eine Reduktion der Mittel für die Kammern, wehrt sich gegen Studiengebühren und gegen eine Abschaffung der Unfallversicherungsanstalt AUVA und will auch die von der Regierung gestoppte Aktion 20.000 zur Beschäftigung älterer Arbeitsloser wieder beleben.
Kämpferische Töne beim Bundeskongress hatten sich bereits im Vorfeld abgezeichnet. Der designierte ÖGB-Chef Wolfgang Katzian hatte noch in seiner Funktion als GPAVorsitzender vor wenigen Tagen angekündigt, Kampfmaßnahmen vorbereiten zu lassen. Zu Streiks könnte es kommen, sollte die Regierung Maßnahmen wie Sozialversicherungsreform, Arbeitszeitflexibilisierung und finanzielle Schwächung der Arbeiterkammer wie geplant durchziehen. Auch der neue FSGChef Rainer Wimmer kündigte am Dienstag im Vorfeld des ÖGB-Kongresses Widerstand gegen geplante „Schweinereien“an.
Der Bundeskongress wurde Dienstagabend in Anwesenheit von Bundespräsident Alexander Van der Bellen eröffnet.
Die parlamentarische Opposition ist im Umbruch und derzeit noch weit davon entfernt, ein starkes und stark aufgestelltes Gegengewicht zur Regierung zu bilden. Matthias Strolz geht. Peter Pilz kommt gerade als zumindest angeschlagener Abgeordneter und bestenfalls heimlicher Parteichef zurück. Christian Kern muss sich erst finden. Und die Grünen sind (vorerst?) Parlamentsgeschichte.
Und der mächtigste außerparlamentarische Gegenpart dieser Bundesregierung, nämlich der Gewerkschaftsbund, ist gerade dabei, sich neu aufzustellen. Das soll aber sehr schnell gehen. Beim ÖGB-Bundeskongress, der seit gestern, Dienstag, im Wiener Austria Center stattfindet, wird Wolfgang Katzian dem scheidenden ÖGB-Chef Erich Foglar an der Spitze des Gewerkschaftsbundes nachfolgen. Morgen, Donnerstag, wird der 61-jährige Katzian – als Chef der Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) und Vorsitzender der größten Einzelgewerkschaft GPA schon bisher besonders einflussreich – ohne Gegenkandidaten zum neuen Präsidenten gewählt werden. Zu Rochaden und Neubesetzungen kommt es bei einer Reihe anderer gewerkschaftlicher Spitzenpositionen.
Katzian will aber offensichtlich nicht lang Anlauf nehmen, sondern zeigt sich am Dienstag schon bei der Aufwärmveranstaltung, der FSG- Konferenz im Vorfeld des Kongresses, durchaus im Kampfmodus. Er versicherte, dass die Gewerkschaft auch unter einer ÖVP-FPÖ-Regierung nichts an Entschlossenheit eingebüßt habe: „Wenn wir einen Schlag in die Magengrube bekommen, krümmen wir uns zwar auch, aber wir stehen wieder auf, geben Gas und kämpfen weiter.“So werde die Gewerkschaft verhindern, „dass die Sozialversicherung zerschossen und auf der Müllhalde der Geschichte landen wird“.
Als Kampfansage an die Bundesregierung kann allein schon der 123-seitige Leitantrag „Faire Arbeit 4.0“, der auf dem ÖGB-Kongress beschlossen werden soll, gelesen werden. Mit vielen Kernforderungen des Leitantrags stellt sich der ÖGB voll und bewusst gegen die von der Regierung geplanten Maßnahmen. Der neue FSG-Vorsitzende Rainer Wimmer erklärte, zwei Drittel des Regierungsprogramms richteten sich gegen Arbeitnehmer, Lehrlinge und Pensionisten. Die Gewerkschaft tritt gegen die Abschaffung der Notstandshilfe auf, kämpft gegen eine Reduktion der Mittel für die Kammern, wehrt sich gegen Studiengebühren und gegen eine Abschaffung der Unfallversicherungsanstalt AUVA.
Der ÖGB will auch die von der Regierung gestoppte Aktion 20.000 zur Beschäftigung älterer Arbeitsloser wiederbeleben. Studien hätten gezeigt, dass die Digitalisierung durch den geringeren Bedarf an Arbeitskräften sinnstiftende Betätigungen notwendig mache, wurde dazu im Vorfeld des Bundeskongresses betont. Mit der Aktion 20.000 hätte man testen können, wo in diesem Bereich sinnvoll angesetzt werden könne.
Der ÖGB drängt im Leitantrag weiter auf eine Arbeitszeitverkürzung, verlangt erneut die Einführung von Vermögenssteuern und setzt sich für eine Öffnung des Lehrstellenmarkts für Asylbewerber ein – alles Maßnahmen, mit denen die Bundesregierung nichts anfangen kann und will.
Über Kollektivverträge will die Gewerkschaft einen Mindestlohn von 1700 Euro erreichen. Auch freie Dienstnehmer mit arbeitnehmerähnlichen Beschäftigungsverhältnissen sollen in Kollektivverträge aufgenommen werden. Die Mindestsicherung sähe zwar auch die Gewerkschaft gern bundeseinheitlich geregelt – allerdings ohne eine Deckelung und ohne Einschränkungen für Asylberechtigte.
Der Titel des Leitantrags, „Faire Arbeit 4.0“¸ verdeutlicht, dass vom ÖGB nun auch das Thema Digitalisierung in seiner vollen Bedeutung erkannt worden ist. Der ÖGB will – so wurde im Vorfeld betont – dabei auch keine „MaschinenstürmerStimmung“verbreiten. Er ist sich aber bewusst, dass die technologischen Fortschritte bei der künstlichen Intelligenz, der Robotik oder schlicht in der Organisation von Arbeit die Arbeitswelt von Millionen Menschen weltweit verändern werden und dass die Digitalisierung Gewinner und Verlierer bringen wird. Die Verlierer kommen demnach zukünftig vor allem aus der Mitte der Arbeitnehmer. Die Jobs im Hightech-Bereich und im Billiglohnsektor seien weniger gefährdet. Technologischer Fortschritt sei kein Wert an sich, er müsse dem gesellschaftlichen Fortschritt dienen, betonen die Gewerkschafter. Ziel muss laut ÖGB die Verbesserung des Alltags aller Menschen und die Erleichterung der Arbeitswelt aller Arbeitnehmer sein. „Der technische und gesellschaftspolitische Fortschritt muss der gesamten Gesellschaft zugute kommen – und nicht nur den ,Herrschern über die Daten‘“, hatte der scheidende ÖGBPräsident Erich Foglar heuer schon beim Beschluss des Leitantrags durch den Bundesvorstand erklärt.
Ab morgen, Donnerstag, ist Erich Foglar ÖGB-Geschichte. Sein Nachfolger dürfte auch gewerkschaftsintern einiges vorhaben. Die Chefs der großen Teilgewerkschaften – Wolfgang Katzian war bisher einer von ihnen – galten stets als mächtiger als der ÖGB-Präsident. Katzian hat offensichtlich vor, das zu ändern. Seit Langem wirbt er für eine Neuaufstellung des Gewerkschaftsbunds mit dem Ziel, überfällige Doppelgleisigkeiten zu beseitigen und die Zentrale zu stärken.
„Wir stehen wieder auf, geben Gas und kämpfen weiter.“Wolfgang Katzian, design. ÖGB-Chef