Mozart schmeichelt mit derben Späßen
Mit deftigem Witz, dreister Lüge und derben Worten erbittet Mozart Noten für Kirchenmusik.
„liebster Stoll! bester knoll! grösster Schroll! bist Sternvoll!“So beginnt Mozart seinen Brief an einen Freund in Baden. Mit derben Späßen verziert er eine simple Bitte: Der Freund möge ihm Noten nach Wien schicken. Dieses Autograf hat die Stiftung Mozarteum dank einer Mäzenin erworben.
In seinem Sterbejahr kann man recht lustig sein. Im Juli 1791, knapp fünf Monate bevor er am Totenbett liegen sollte, schrieb Wolfgang Amadeus Mozart nach Baden einen Brief, der jedem Lausbuben zu Ehre, jeder bigotten Betschwester zu Grausbirnen und jedem ernsthaften Liebhaber seiner Musik zu Lachen gereichen würde. Der Komponist bittet darin seinen Freund Anton Stoll, Chorregent in Baden, um Noten der Singstimmen seiner B-Dur-Messe und eines Graduales von Michael Haydn. Er müsse in Wien eine Messe dirigieren.
Wie gfernzt, gefinkelt und gefuchst Mozart diese simple Bitte in einen hinreißend witzigen Brief verwandelt, bestätigt das Autograf. Dieses hat die Stiftung Mozarteum um einen sechsstelligen Eurobetrag erworben und am Dienstag in Wien präsentiert. Der Ankauf aus Salzburger Privatbesitz war dank einer Mäzenin möglich: Maria-Elisabeth Schaeffler-Thumann.
Mozart formuliert als Anrede ein freches Gedicht an seinen Freund, mit dem er zuvor offenbar vergnüglich musiziert hat. „Knoll“stehe für einen dicken, kleinen Mann, erläutert der Leiter der Bibliotheca Mozartiana, Armin Brinzing. Und „Schroll“sei ein unkultivierter, grober Kerl. „Das ist typisch Mozart: Er macht sich über ihn lustig, indem er ihn gleich einmal beleidigt.“
Dieses Spottgedicht und der Hinweis auf die vergnügliche Gefälligkeit, mit dem er das eigentlich dringende, nachdrückliche Begehren kaschiert, wird auf der zweiten Seite getoppt. „Da setzt der dem Scherzen noch die Krone auf“, sagt Armin Brinzing. Auf den ersten Blick könnte man meinen, Mozarts Schüler und Assistent Franz Xaver Süßmayr – er sollte später das Requiem vervollständigen – hätte darin den dringenden Wunsch nach den Noten bekräftigt. Doch Armin Brinzing verrät: Tatsächlich habe Mozart seine Schrift verstellt, und er unterschreibe als „Siessmayer Scheisdreck“. Das vulgäre Wort für Exkremente als Ausdruck des – ohne die Noten – misslichen Umstandes fällt schon zu Beginn der vermeintlich Süßmayer’schen Zeilen: „sonst sitzen wir in dreck“. Und obwohl beim Datum als Ort „Scheishäusel“steht, wendet der MozartForscher ein: „Ich glaub nicht, dass er den Brief auf dem Scheishäusel geschrieben hat.“Es sei bloß eine weitere Spielart, sich über einen Kollegen lustig zu machen.
Hätte Mozart in seiner Wohnung in der Rauhensteingasse 8 überhaupt eine Toilette gehabt? Toiletten im heutigen Sinn und mit Wasserspülung habe es sicher nicht gegeben, versichert Armin Brinzing. Ob es in diesem Haus so etwas wie einen Abort gegeben habe, sei unbekannt. Üblich sei damals gewesen, die Exkremente zu sammeln und ab und zu aus der Wohnung zu tragen – üblicherweise seien sie auf die Straße gekippt worden.
Dass er vom „Dreck“direkt zur „zärtlichen Handschrift“kommt, von „Handkuß“und „Haydnscher Meß“sogleich zu „Scheishäusel“und „Scheisdreck“, dass er dichtet und eine Handschrift fälscht, ist nach Ansicht Armin Brinzings verwunderlich. „Weniger als ein halbes Jahr später ist er tot. Man kann sich das kaum vorstellen“, denn der Brief sei „voll sprühenden Lebens“.
Der 35-Jährige sollte am 5. Dezember an einer Entzündung mit Fieber, Schwellungen, Schmerzen und Krämpfen sterben; „hitziges Frieselfieber“steht im Totenschein. Beim Briefschreiben im Juli dürfte er gesund gewesen sein: „In dieser Zeit gibt es keinen Hinweis, dass es ihm schlecht gegangen wäre“, versichert Armin Brinzing. Damals habe er sich um seine hochschwangere Frau und deren Fußleiden gesorgt und sie deswegen zur Kur nach Baden geschickt. Dort habe Anton Stoll geholfen, für Constanze eine Unterkunft zu finden.
Zurück aus Baden, sollte Constanze das sechste Kind zur Welt bringen: Franz Xaver Wolfgang. Dieser kam später zur Einweihung des Mozart-Denkmals nach Salzburg. Und er sollte verfügen, dass nach seinem Tod – er starb 1844 – das Familienerbe nach Salzburg der heutigen Stiftung Mozarteum übereignet werde. „Er war die entscheidende Figur für alles, was Mozart in Salzburg angeht“, hebt Armin Brinzing hervor. Was heute in den Mozart-Museen an Handschriften, Instrumenten und Devotionalien gezeigt werde, sei großteils von ihm. Er habe auch an die 200 Originalbriefe der Familie hinterlassen – heute noch der weltgrößte Autografenbestand und mehr als zehn Mal so viel, wie die Stiftung Mozarteum seither hat erwerben können.
Den Brief nach Baden habe Mozart auf „schlechtem Papier“geschrieben, einem „typischen Briefpapier dieser Zeit“, erläutert Armin Brinzing. In dem billigen, dünnen Hadernpapier sei das Fragment ei- nes Posthorns als Wasserzeichen erkennbar. Mozart habe den Bogen mehrfach gefaltet, denn Porto habe er nach Größe und Gewicht zahlen müssen. In den rund 200 Jahren in Privatbesitz sei der derweil braun verfärbte Brief lang gerahmt an einer Wand gehangen. „Da hat er gelitten, denn Licht ist das Schlimmste, was man alten Papieren antun kann.“Bald wird er es dunkel und kühl haben: Er wird im Tresor des Kellers von Mozarts Wohnhaus in Salzburg verwahrt und erst wieder bei der Mozartwoche 2019 in Spezialführungen gezeigt werden.
„Das ist typisch Mozart: Er macht sich lustig, indem er gleich einmal beleidigt.“Armin Brinzing, Mozart-Forscher