Eine zündende Idee allein ist viel zu wenig
Wilde Proteste bei der Premiere von „Der Freischütz“an der Wiener Staatsoper.
WIEN. Während der Staatsopernchor von Thomas Lang bestens einstudiert war – immerhin bietet so ein „Freischütz“mit dem populären Jägerchor einen der Höhepunkte –, so war der „Gegenchor“eher spontan, dennoch beeindruckend. Das Textbuch dieser chorischen Übung kannte nur ein Wort, nämlich „Buh“, das allerdings rollte auf einer Welle der Wut am Dienstagabend über das Leading Team dieser Opernpremiere hinweg. Solche massiven Proteste gab es eventuell seit dem Jahr 2009, seit Vera Nemirovas unsäglicher „Macbeth“-Inszenierung, nicht mehr in der vornehmen Wiener Staatsoper.
Wie es halt so ist: Der eine kann es, der andere nicht. Und wenn nun Christian Räth als Regisseur/Erfinder die beliebte romantische Oper mit der Brechstange aus dem deutschen Tann samt spukhaften Erscheinungen in ein „Künstlerdrama“umwuchtete, so war das trotz allerhand Anklängen leider nicht von E. T. A. Hoffmann oder einem anderen Meister, sondern – von Räth. Ein artistischer Bauchfleck, der außer Verwirrung und Stückwerk nichts bot. Da nützte auch nicht die ästhetisch ansprechende Bühne (Gary McCann) und die sängerische Spitzenbesetzung.
Kein Wunder, dass im Zimmer von Agathe das Schimon-Porträt von Carl Maria von Weber von der Wand fiel. So danebenzuschießen ist eine Kunst, aber eigentlich gab es – anders als im Urtext von Johann Friedrich Kind – ja nichts zum Schießen. Denn Max, der Jägersbursche, der sich mit dem teuflischen Caspar verbündet, um in der Wolfsschlucht Freikugeln zu gießen, ist bei Räth ein Komponist mit inspiratorischer Ladehemmung.
Das ist ein Problem, denn als Lohn für seine „Oper“lockt Oberförster Cunos Tochter Agathe, die schon leicht verzweifelt in großer Robe dasitzt und sich auch nicht vom kobold-quirligen Ännchen trösten lässt. Was tut also Max? Er fällt auf die Versprechungen von Caspar herein, statt Freikugeln gibt es schöne Notenblätter, wie überhaupt Max sofort wie wild zu notieren beginnt, wenn bei Weber wieder einmal unendlich schöne Melodien erklingen – wofür man den „Freischütz“liebt. Kommen die von Samiel, der sich oft als blutrote Mephisto-Figur ins Bild bringt und sogar kopfüber an der Decke hängt? In einem Kronleuchter fährt auch der Eremit vom Himmel, um Max die Gnade zukommen zu lassen, die ihm der Fürst Ottokar verweigerte ob seiner bösen Tat. Räths Flucht in Visionen geht so oder so nicht auf.
Immerhin war es ein Sängerfest, das der junge Dirigent Tomáš Netopil mit dem Staatsopernorchester stimmenfreundlich und mit Wärme untermalte. Vor den Vorhang: Andreas Schager, der immense Heldentenor, als Max, Camilla Nylund als berührende Agathe – ein grandioses Paar. Auch die weiteren Rollen waren bestens besetzt, von Clemens Unterreiner (Cuno), Adrian Eröd (Ottokar), Daniela Fally (Ännchen), Albert Dohmen (Eremit) bis zu Hans Peter Kammerer (Samiel). Alan Held als Caspar fiel nicht auf. Oper: