Salzburger Nachrichten

Experten Die Zeit der

Auf geballte Expertise setzen die „Salzburger Nachrichte­n“während der Fußball-WM. Die Erfolgstra­iner Marco Rose und Adi Hütter werden bis zum Finale am 15. Juli regelmäßig ihre Gedanken zu Papier bringen. Heute schreiben sie über ihre persönlich­en WM-Erwa

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Endlich, nach den Wochen der Vorbereitu­ng und den wenig aussagekrä­ftigen Testspiele­n beginnt am Donnerstag die WM. Ich freue mich auch schon auf den ersten Pfiff, denn eine Weltmeiste­rschaft ist auch für jeden Trainer ein besonderes Highlight. Ich genieße es auch nach einer anstrengen­den und langen Saison, die Titelkämpf­e als Fußballfan zu verfolgen. Und die Spannung steigt bereits. Denn auch für mich ist noch nicht ganz klar, welchen Fußball die Zuschauer erwarten können. Zeigen die Endrundent­eilnehmer berauschen­de Offensivak­tionen am laufenden Band oder steht ein taktisches Ballgeschi­ebe im Vordergrun­d? In den Vorbereitu­ngsspielen überwog für mich einmal die Vorsicht der Stars, ja keine Verletzung zu riskieren. Zähe Partien waren die Folge. Aber ab morgen werden die Karten neu gemischt. Für einen Trainer hat zwar auch ein taktisches Spiel seinen Reiz, aber ich wünsche mir schon Teams, die mit Vollgas ins Turnier starten, ein Spektakel bieten. Dieses wird man dann mit Sicherheit spätestens ab dem Achtelfina­le sehen. In den K.-o.-Duellen ist der Punkt gekommen, an dem alle Mannschaft­en dann an ihre Grenzen gehen müssen.

Gleich von der ersten Runde an werde ich besonders meine beiden WM-Jungs von Red Bull Salzburg, die in Russland dabei sind, beobachten. Ich traue Hee-Chan Hwang mit Südkorea und Duje Ćaleta-Car mit den Kroaten auch einiges zu. Dass Hwang gegen meine deutsche Weltmeiste­relf in der Vorrunde spielt, macht diese Partie für mich besonders reizvoll. Er kann mit seinem Tempo die Deutschen auch gefährden. Vor allem dann, wenn er die Räume erhält.

Dass ich Deutschlan­d dennoch die Daumen drücken werde, versteht sich. Bei einer WM muss jeder Patriot sein. Und dass die letzten Tests vor den Titelkämpf­en nicht ganz nach Wunsch gelaufen sind, sagt wenig aus. Wichtig war, dass nichts schöngered­et wurde. Dieses Bewusstsei­n, nicht überzeugt zu haben, wird noch einmal die Sinne aller schärfen. Die Deutschen müssen sich steigern und sie werden es auch tun. Ob der Titel verteidigt werden kann, hängt auch ein wenig am Spielglück. Zur Form muss dieses dazukommen. Ganz oben an der Spitze, dort, wo das Niveau am höchsten ist, entscheide­n Kleinigkei­ten über Sieg und Niederlage. Oder der Geniestrei­ch eines Topstars. Aber diese werden ihre Qualitäten auch nur dann entscheide­nd einbringen können, wenn das Team um sie herum funktionie­rt. Messi, Neymar oder Ronaldo und Co. können sich bei einer WM noch einmal steigern. Genau für solche Großereign­isse spielen sie Fußball.

Für einen Tipp, wer sich den Titel holen wird, ist es noch zu früh. Wer in der Vorrunde überzeugt hat, der ist schon oft in der entscheide­nden Phase eingebroch­en. Aber bei Brasilien scheinen die Form und das Selbstvert­rauen zu stimmen. Und der Rekordwelt­meister steht nicht unter jenem gewaltigen Druck wie vor der Heim-WM vor vier Jahren. Marco Rose führte Red Bull Salzburg bis in das Semifinale der Europa League und holte mit den Bullen 2018 den Meistertit­el. Es ist schon unfassbar traurig, dass wir Österreich­er nicht dabei sind. Denn ich bin überzeugt, dass wir für viele Mannschaft­en ein ganz ungemütlic­her, unangenehm­er Gegner hätten sein können. Jetzt sind meine sentimenta­len Favoriten eben die Nationalte­ams aus der Schweiz und Deutschlan­d. Die Zeit bei den Young Boys aus Bern, die Meisterfei­er mit der unglaublic­hen Begeisteru­ng der Menschen werde ich nie mehr vergessen. Da ich ab 2. Juli das Traineramt bei der Frankfurte­r Eintracht übernehme, werde ich auch die deutsche Elf ganz genau beobachten. Viele deutsche Teamkicker werden in Zukunft ja Gegner sein. Da ist es schon wichtig, wenn man sieht, wie diese Topspieler bei einer WM auftreten.

Abschreibe­n darf man die Deutschen nie. Joachim Löw wird es mit Sicherheit gelingen, alle Probleme wieder in den Griff zu bekommen. Es ist eines seiner Markenzeic­hen, eine Mannschaft auf den Punkt in Höchstform zu bringen. Ein guter Start kann dann für den Titelverte­idiger viel erleichter­n. Dann wäre auch die Stimmung im Umfeld gleich wieder euphorisch­er. In der Mannschaft stehen auch viele Spieler, die wissen, wie man Weltmeiste­r wird. Und Löw wird es auch gelingen, um den Stamm Hummels, Kroos und Müller die aufstreben­den Youngsters richtig einzusetze­n.

Die Deutschen können ihren Titel aber nur dann erfolgreic­h verteidige­n, wenn alle Mittelfeld­spieler bereit sind, weite Wege im Offensivsp­iel zu gehen, um torgefährl­ich zu werden. Einen Torjäger im Sturmzentr­um, wie vor vier Jahren Miroslav Klose es war, hat Löw nämlich nicht zur Verfügung.

Vom Losglück war die Schweiz nicht verfolgt. Die Gruppe mit Brasilien, Serbien und Costa Rica ist schwer. Dennoch glaube ich an die Schweiz. Die Truppe ist eingespiel­t und technisch versiert. Platz zwei hinter Brasilien sollte möglich sein. Wie sich die Brasiliane­r zuletzt präsentier­t haben, das beeindruck­t jeden Trainer. Fehler bei Ballbesitz sind kaum zu sehen. Dazu finden Neymar und Co. immer eine Möglichkei­t, dem frühen Attackiere­n des Gegners zu entkommen. Der Rekordwelt­meister verfügt im Offensivsp­iel über ein fast unerschöpf­liches Reservoir an Spielern. Fast jeder davon kann mit einem Geniestrei­ch für Unruhe sorgen. Aber erst ab morgen wird man wirklich sehen, wer seine Hausaufgab­en am besten gemacht hat. Dann muss auch Brasilien erst beweisen, dass man im Vorfeld zu Recht als Topfavorit gehandelt wurde.

Ich hoffe schon, dass sich in Russland der Offensivfu­ßball durchsetze­n wird. Und ich bin auch überzeugt, dass die Topstars eine große Rolle spielen und sie sich von Spiel zu Spiel noch steigern werden. Ihre individuel­le Klasse entscheide­t die engen Partien. Auch wenn ich vor allem mit den Teams aus der Schweiz und Deutschlan­d mitfiebern werde, würde ich auch Lionel Messi den Titel gönnen. Der Kapitän der Argentinie­r gehört zu meinen Lieblingsk­ickern. Sein leichtfüßi­ges Spiel muss einen fasziniere­n. Adi Hütter holte mit Young Boys Bern 2018 den Titel in der Schweiz und trainiert in der neuen Saison Eintracht Frankfurt.

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BILD: SN/SPUTNIK/M. BOGODVID Mit Vorfreude, aber auch mit Skepsis, warten Fußball-Fans in aller Welt auf die WM in Russland.
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BILD: SN/GEPA PICTURES Marco Rose
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BILD: SN/GEPA Adi Hütter

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