Die Regierung erlaubt den zwölfstündigen Arbeitstag
„Arbeitszeitflexibilisierung“: Acht Stunden Arbeit sollen die Regel, zwölf Stunden die Ausnahme sein. Die Koalition will die Reform ohne Begutachtung beschließen.
Die erlaubte tägliche Arbeitszeit wird auf zwölf Stunden, die erlaubte Wochenarbeitszeit auf 60 Stunden erhöht. Das sieht ein Gesetzesantrag vor, auf den sich ÖVP und FPÖ am Donnerstag geeinigt haben. In Kraft treten soll die Änderung am 1. Jänner 2019. Die Ausweitung der erlaubten Arbeitszeit ist Einschrän- kungen unterworfen. So darf der betroffene Arbeitnehmer die elfte und zwölfte Arbeitsstunde bei „überwiegenden persönlichen Interessen“ablehnen. Überdies sollen der bisherige achtstündige Arbeitstag und die 40-Stunden-Woche weiterhin die Regelarbeitszeit sein. Wie bisher darf in Zukunft die durchschnitt- liche Wochenarbeitszeit 48 Stunden nicht übersteigen. Die Zuschläge für Mehrarbeit bleiben erhalten.
Die von der Regierung so bezeichnete „Flexibilisierung der Arbeitszeit“soll eine „Anpassung an die modernen Lebensverhältnisse und Lebenswelten“ermöglichen. Um die Reform möglichst rasch umzuset- zen, greift die Regierung (übrigens nicht zum ersten Mal) zu einem höchst umstrittenen Trick. Sie bringt das Gesetz nicht als Regierungsvorlage ein, sondern als Initiativantrag der ÖVP- und FPÖ-Parlamentsfraktion. So erspart sich die Koalition die öffentliche Begutachtung des Gesetzes.
Er zählt rund 1,2 Millionen Mitglieder, und wenn es nach seinem neuen Vorsitzenden Wolfgang Katzian geht, sollen es bald ein paar Zehntausend mehr sein. Er ist als Sozialpartner eine der Säulen des sozialen Friedens. Er ist der mit Abstand mächtigste Verein des Landes: Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB), der gestern, Donnerstag, seinen alle vier Jahre stattfindenden Bundeskongress in Wien abschloss.
Trotz seiner erheblichen Machtfülle fühlt sich der ÖGB von der neuen Regierung und von der Wirtschaft, die ihre Hoffnung in die neue Regierung setzt, ins Abseits gedrängt. Das macht sich auch klimatisch bemerkbar. Bei der Eröffnung des Bundeskongresses – diese gleicht normalerweise einem republikanischen Hochamt – glänzten sowohl der neue Bundeskanzler Sebastian Kurz als auch der neue Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer durch Abwesenheit. Und der neue Gewerkschaftsboss Wolfgang Katzian drohte unverhohlen mit Kampfmaßnahmen, und zwar zu einem Zeitpunkt, „wo es besonders effektiv ist“. Im Folgenden ein Überblick über die Positionen, die den Gewerkschaftsbund von der Regierung beziehungsweise der Wirtschaft trennen.
Arbeitszeit
Einer der griffigsten Streitpunkte zwischen Regierung und Arbeitnehmervertretern ist der ZwölfStunden-Tag. Die Regierung legte gestern einen Entwurf vor. Ihr Argument lautet, dass die derzeitigen starren Arbeitszeiten nicht den modernen Arbeits- und Lebenswelten entsprechen. Die Gewerkschaft hatte sich, ebenso wie die SPÖ, einer Flexibilisierung der Arbeitszeiten ursprünglich nicht abgeneigt gezeigt und war sogar in Verhandlungen mit der Wirtschaftskammer eingetreten. Diese endeten aber ergebnislos. Jetzt erarbeitete die Regierung ohne Zutun der Sozialpartner einen Entwurf. Gewerkschaftliche Proteste sind programmiert.
Sozialversicherung
Die Regierung will nicht nur die Krankenkassen zusammenlegen, sondern auch deren Aufsichtsgremien verändern: Derzeit dominieren dort die Arbeitnehmervertre- ter; die Regierung möchte Parität von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern herstellen, und zwar mit dem Argument, dass die Arbeitgeber ja auch die Hälfte der Beiträge entrichten. Der neue ÖGB-Präsident Katzian bezeichnet das als „Entdemokratisierung“, „Rückbau“und „Schwächung der Arbeitnehmerbewegung“. Auf Widerstand der Gewerkschafter stößt auch die Überlegung der Regierung, die Allgemeine Unfallversicherung AUVA abzuschaffen und deren Leistungen den Krankenkassen zu übertragen. Ursache der gewerkschaftlichen Empörung: Die AUVA wird ausschließlich von den Arbeitgebern finanziert, die Kassen zur Hälfte auch von den Arbeitnehmern.
Notstandshilfe
Die Regierung will die Notstandshilfe, die nach langer Arbeitslosigkeit ausbezahlt wird, abschaffen und durch die Mindestsicherung ersetzen. Unterschied zwischen diesen beiden Einrichtungen: Die Notstandshilfe ist eine Versicherungs-, die Mindestsicherung eine Sozialleistung. Mindestsicherungsbezieher müssen daher ihr Vermögen aufbrauchen, ehe sie anspruchsberechtigt sind. Die Regierung hat versichert, dass von der Reform nur jene betroffen sein werden, die nur kurz in die Arbeitslosenversicherung einbezahlt haben. Für langjährige Arbeitnehmer solle die Bezugsdauer des Arbeitslosen- geldes sogar noch verlängert werden, sodass sie nicht so leicht in die Mindestsicherung fallen werden. Dennoch ist für den neuen Gewerkschaftschef Wolfgang Katzian die geplante Reform eine „rote Linie“.
Betriebsräte
Die Bundesregierung will das aktive Wahlalter bei Betriebsratswahlen von 18 auf 16 Jahre senken und im Gegenzug die Jugendvertrauensräte abschaffen. Die Gewerkschaft will dies nicht. Die Jugendvertrauensräte seien ein „bildungspolitisches Bollwerk gegen Antisemitismus und Wiederbetätigung“, sagte der scheidende ÖGB-Präsident Erich Foglar bei seiner Abschiedsrede. Rainer Wimmer, der neue Vorsitzende der SPÖ-Gewerkschafter, sieht in der geplanten Maßnahme gar das „Vorspiel einer Abschaffung der Betriebsräte“. Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), als Referentin am ÖGB-Kongress, blieb trotz der Protestaktion von Junggewerkschaftern unbeeindruckt: Für die Belange der Jugendlichen werde künftig der Gesamtbetriebsrat zuständig sein, „was ja nicht das Schlechteste“sei. Dafür erntete die blaue Ministerin Buhrufe.
Lohndumping
Die Regierung will das Kumulationsprinzip in Verwaltungsstrafverfahren abschaffen. Denn dieses führe dazu, dass ein Unternehmen – um ein Beispiel zu nennen – 100 Mal bestraft werde, wenn bei der Anmeldung von 100 Mitarbeitern 100 Mal derselbe Fehler passiert sei. Dies könne für ein Unternehmen ruinös sein, warnen Regierung und Wirtschaftskammer. Die Gewerkschaft sieht dies konträr: „Durch die Abschaffung des Kumulationsprinzips werden vielfache Verstöße gegen Arbeitnehmerinnenrechte zu Kavaliersdelikten degradiert“, was nur den großen Konzernen helfe, schrieb der ÖGB in einer Stellungnahme.
Auch das EU-Mobilitätspaket erzürnt die Gewerkschaft. Das Paket sieht eine Lockerung der Ruhezeiten von Lkw-Fahrern vor. Dies bedeute „mehr Verkehrstote auf Europas Straßen“, wetterte die Fachgewerkschaft vida.
AK-Reform
Die Regierung hat mehrfach angekündigt, die sogenannte AK-Umla- ge zu senken. Gegenwärtig werden 0,5 Prozent der Lohnsumme abgezogen und an die Arbeiterkammern überwiesen. Dies kostet den durchschnittlichen Arbeitnehmer 7 Euro pro Monat und beschert der AK ein Jahresbudget von rund 432 Millionen Euro. Die neue AK-Chefin Renate Anderl bietet der Regierung an, für eine Ausweitung der AK-Leistungen zu sorgen, wenn die Regierung im Gegenzug auf die Reduktion der AK-Umlage verzichtet.
Diverses
Es gibt noch eine ganze Reihe weiterer Differenzen zwischen der Regierung und der Gewerkschaft. Die Regierung schaffte die Aktion 20.000, ab, die Gewerkschaft fürchtet, dass dadurch Senioren in die Armutsfalle gedrängt werden; die Gewerkschaft will eine sechste Urlaubswoche für alle, die Regierung nicht. Die Gewerkschaft will „keine Denkverbote bezüglich einer Wertschöpfungsabgabe“, Regierung und Wirtschaft lehnen dies als neue Belastung ab. Die Regierung beschloss einen Familienbonus, die Gewerkschaft hätte das Geld lieber in einen Ausbau der Kinderbetreuungseinrichtungen gesteckt.