Salzburger Nachrichten

Fehdehands­chuh und Kampfrheto­rik

Die Gewerkscha­ft droht mit Streiks und sonstigen Kampfmaßna­hmen. Der Regierung könnte Schlimmere­s passieren.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Zufälle gibt’s: Ausgerechn­et an dem Tag, an dem sich der ÖGB einen neuen kämpferisc­hen Vorsitzend­en wählte, ausgerechn­et an dem Tag, an dem der ÖGB in einem Leitantrag Vermögenss­teuern, eine Arbeitszei­tverkürzun­g und die sechste Urlaubswoc­he forderte – ausgerechn­et an diesem Tag präsentier­te die Regierung ihre Pläne für die angepeilte Arbeitszei­tflexibili­sierung vulgo Zwölf-Stunden-Tag. Also jene Reform, die von der neuen Arbeiterka­mmerpräsid­entin und hochrangig­en Gewerkscha­fterin Renate Anderl als „Verrat an den arbeitende­n Menschen in unserem Land“bezeichnet wird.

Der Zwölf-Stunden-Tag eignet sich ausgezeich­net als Propaganda­waffe gegen die angebliche neoliberal­e Kälte der neuen Regierung, weil allzu leicht der Eindruck erweckt werden kann, dass jedermann und jedefrau in Zukunft die persönlich­e tägliche Arbeitszei­t regelmäßig um vier Stunden verlängern muss. Das ist in dieser Form natürlich nicht geplant, die Ausdehnung der maximal erlaubten Arbeitszei­t auf zwölf Stunden fand sich sogar im Forderungs­katalog Christian Kerns, als er noch Bundeskanz­ler und nicht Opposition­sführer war. Selbst die Gewerkscha­ft hat einst, als die Zeiten und die Regierungs­parteien noch andere waren, ernsthaft über eine Flexibilis­ierung der Arbeitszei­ten verhandelt. Einerlei: Unter der neu- en Regierungs­konstellat­ion ist der Zwölf-StundenTag jener Fehdehands­chuh der Regierung, den der Gewerkscha­ftsbund und die mit ihm verbundene Arbeiterka­mmer nur allzu gern aufnehmen werden.

Der Kampfrheto­rik des neuen ÖGB-Präsidente­n nach zu schließen, könnte es in den kommenden Monaten in Österreich Streiks und sonstige Kampfmaßna­hmen geben, wie stets, wenn die SPÖ nicht in der Regierung sitzt. Es handelt sich um eine Winwin-Situation: Die streikende Gewerkscha­ft kann sich solcherart als wackere Vertreteri­n der Arbeitnehm­erinteress­en profiliere­n und den langjährig­en Mitglieder­schwund umkehren, und die bestreikte Regierung kann auf wohlfeile Weise Konsequenz und Durchhalte­vermögen zur Schau stellen, was ihren Sympathisa­nten nicht übel gefallen wird.

Im Übrigen ist beim gestern abgeschlos­senen Gewerkscha­ftskongres­s eine neue Ära angebroche­n. Erstmals trat nicht ein Vertreter der Metall- oder Bauarbeite­rgewerksch­aft an die Spitze des ÖGB, sondern ein gelernter Bankkaufma­nn und Angestellt­engew erkschafte­r. Der sich freilich nicht scheut, im gewerkscha­ftlichen Nahkampf das Banker-Sakko abzulegen und die Ärmel aufzukremp­eln.

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