15 Jahre Haft für Wachsoldat
Ein 22-jähriger Salzburger hatte im Dienst seinen Kameraden erschossen. Die Geschworenen waren sich am Donnerstagabend sicher: Es war Mord.
WIEN. Es war der zweite und letzte Tag in einem Prozess am Wiener Landesgericht mit überaus rätselhaften Hintergründen: Angeklagt war ein 22-jähriger Salzburger, dem die Staatsanwaltschaft vorwarf, im Zuge seines Wachdienstes beim Bundesheer seinen Kameraden ermordet zu haben. Nach zahlreichen Zeugenbefragungen, den Stellungnahmen des Ballistikers und des Gerichtsmediziners sowie den emotionalen Schlussplädoyers von Verteidigung und Anklage zogen sich die Geschworenen am späten Donnerstagnachmittag zur Beratung zurück. Kurz vor 19.30 Uhr erfolgte dann das Urteil: 15 Jahre Haft wegen Mordes. Das Urteil ist nicht rechtskräftig.
Zur Vorgeschichte: Am 9. Oktober 2017, gegen 19 Uhr, schoss der 22-jährige Salzburger mit türkischen Wurzeln seinem Kameraden im Ruheraum des Wachcontainers in den Kopf. Der Schütze blieb bei seiner Verantwortung: „Ich habe ihn erschossen. Aber nicht mit Absicht. Es war ein Unfall.“
Die Staatsanwaltschaft hatte allerdings Mordanklage erhoben. Wachsoldaten dürften ausschließlich mit halb geladenen und gesicherten Waffen Dienst versehen, meinte der Ankläger und stellte die Frage in den Raum, wie die Patrone in den Lauf gelangen konnte. Der Beschuldigte verwies darauf, dass er zum Zeitvertreib mit der Sicherung herumgespielt hatte und die Waffe öfters zu Boden gefallen sei. Überdies sei er beim Betreten des Ruheraums gestolpert, woraufhin sich der Schuss gelöst habe. Doch so viele Zufälle erschienen dem Staatsanwalt als unglaubwürdig.
Die Verhandlung am Donnerstag begann zunächst mit der Vernahme zweier Kriminalbeamter, die zum Tatort gerufen worden waren und die Ermittlungen aufnahmen. Die beiden vom Verteidiger geladenen Zeugen sollten beschreiben, wie sich der Todesschütze unmittelbar nach dem Vorfall verhalten habe. „Weinerlich und schockiert“, gab einer der Polizisten zu Protokoll. Die Vernahme des Beschuldigten habe auch immer wieder unterbrochen werden müssen. Der Zustand des 22-Jährigen sei jedenfalls „labil“gewesen, er habe auf die Ermittler „außergewöhnlich gebrochen“gewirkt.
Anschließend erörterte der Gerichtsmediziner seine Erkenntnisse. In der Kopfbehaarung des Opfers sei das sechs Millimeter große Einschussloch nur schwer zu finden gewesen. Es habe sich um einen „klassischen, glatten Schädeldurchschuss“gehandelt, der „sofort zum Tod führte“. Mangels Schmauchspuren sei es aber kein aufgesetzter Schuss gewesen, erklärte der Sachverständige.
In einem rund 45-minütigen Video bekamen auch die Geschworenen die Befragung des dritten Wachsoldaten zu sehen, der sich zum Zeitpunkt des Schusses in unmittelbarer Nähe befunden hatte. Eine Erklärung oder gar ein mögliches Motiv für einen Mord hatte aber auch er nicht.
Der „Stolperversion“trat schließlich auch der Schießsachverständige entgegen. Es gebe „keinen Hinweis, dass sich der Schuss ohne besonderes Zutun gelöst haben kann“. Der Ballistiker hatte zur Erstellung seiner Expertise mit der Tatwaffe und der vom Bundesheer verwendeten Munition zahlreiche Fallversuche durchgeführt.
Dabei zeigte sich, dass sich das Sturmgewehr 77 ab einer Fallhöhe von 1,25 Metern tatsächlich beim Aufprall auf dem Boden selbst nachlädt. Sechs Mal ließ der Sachverständige die Waffe aus 1,25 Metern fallen, ein Mal fand dabei eine Patrone ihren Weg in den Lauf. Bei Fallhöhen jenseits von 1,5 Metern war dann sogar jedes Mal eine Patrone im Lauf, sofern das StG 77 in senkrechter Position und nicht in Schräglage dem Gesetz der Schwerkraft gehorchte.
Allerdings zeigten sich in diesen Fällen nach dem anschließenden Betätigen des Abzugs bei sämtlichen Patronenhülsen charakteristische Längsriefen, die bei regulär geladener Munition nicht zu sehen waren. Auch auf der am Tatort sichergestellten Patronenhülse fehlten diese Längsriefen, „woraus sich schlussfolgern lässt, dass die Patrone nicht durch Fallen der Waffe in den Lauf gelangt sein kann“, wie der Ballistiker betonte.