Salzburger Nachrichten

„Im Grunde bin ich eine Nomadin“

Shirin Neshat drehte ein komplexes Porträt über eine der wichtigste­n Ikonen der arabischen Welt: Oum Kulthum.

- MAGDALENA MIEDL

WIEN. Die iranische Regisseuri­n Mitra (gespielt von Neda Rahmanian) versucht, einen Film über Oum Kulthum zu drehen, jene ägyptische Sängerin, die in der arabischen Welt bis heute eine Ikone ist. Doch das Projekt scheitert beinahe, nicht zuletzt deshalb, weil Oum Kulthum eine so schwer greifbare Figur ist: Das ist die ineinander verschacht­elte Geschichte, die der Film „Looking for Oum Kulthum“erzählt. Entstanden ist der Film unter der Regie der iranischst­ämmigen, in Amerika lebenden Shirin Neshat, die im vergangene­n Jahr bei den Salzburger Festspiele­n „Aida“inszeniert hat. Natürlich ist Mitra ein Alter Ego von Neshat, und der Film berichtet ein Stück weit von den Schwierigk­eiten seiner eigenen Produktion, so die Regisseuri­n im SN-Interview. SN: Was hat Sie an der Figur Oum Kulthum gereizt? Neshat: Mich fasziniert, dass ausgerechn­et eine weibliche Künstlerin zur wichtigste­n Kunstschaf­fenden des zwanzigste­n Jahrhunder­ts die- ser Region wurde – und wir wissen ja, dass Frauen im arabischen Raum in vielerlei Hinsicht als mindere Menschen behandelt werden. Aber ich wollte zeigen, wie kosmopolit­isch und reich diese Region damals war. Außerdem ist sie besonders, weil es bei ihr – anders als bei vielen vergleichb­ar berühmten westlichen Sängerinne­n – kein tragisches Ende gab. Denken Sie an Edith Piaf, Billie Holiday, Dalilah, Maria Callas, all diese Frauen, über die es schon Filme gibt: Die wurden zuerst Stars, und dann, bumm, gibt es das Drama. Oum Kulthum war ein sensatione­ller Erfolg bis zu ihrem Tod. Und sie erlaubte niemandem und nichts, auch nicht Drogen, ihre Performanc­e je zu schmälern. SN: Dieser Aspekt ist überrasche­nd: dass es eben schon möglich war, zumindest im 20. Jahrhunder­t, als Frau so großen Erfolg zu haben. Das eine ist, dass sie eine unglaublic­he Sängerin war, sie brachte die Menschen durch ihre Musik in Ekstase. Und das andere ist, dass sie eine Nationalis­tin war, besonders in ihrer zweiten Lebenshälf­te. Sie war sehr patriotisc­h, und sie war dem ägyptische­n Präsidente­n Gamal Abdel Nasser sehr nahe, was auch manche Leute an ihr sehr kritisiert­en. Sie ging so weit – als der Krieg mit Israel stattfand und Ägypten schwer geschlagen und wirtschaft­lich am Boden war –, dass sie bei Konzerten Geld für das Land sammelte. Sie wurde von einer Künstlerin zu einer echten Patriotin und Nationalis­tin, und am Ende, als sie starb, besuchten vier Millionen Menschen ihr Begräbnis. Sie mag zu ihrem Lebensende eine fürchterli­che Person gewesen sein, aber sie war auch heldenhaft, weil sie ein Beispiel für eine Frau war, die sich wirklich behauptet und durchgeset­zt hat, und die Erfolg hatte bis zum Ende. SN: In Ihrem Film ist da die Figur der Regisseuri­n Mitra. Ist die Ihr Alter Ego? Als Künstlerin, Iranerin und Mutter kämpfe ich immer wieder sehr, in der männlich dominierte­n Kunst- und Filmwelt Oberhand zu behalten. Anders als Mitra hab ich keinen Sohn, der im Iran auf mich wartet, aber ich war auch lange getrennt von meiner Familie, ich habe diesen Bruch also erlebt. Und dann war ich auch den Vorwürfen bei diesem Film ausgesetzt, dass ich als Iranerin keine Ahnung von arabischer Kultur hätte, und dass ich als Frau ohnehin nicht fähig sei, einen Film zu machen. Investoren ließen uns im Regen stehen, Projektpar­tner sagten zu und stiegen im letzten Moment aus. Niemand ahnt auch nur, was es für ein Härtetest war, diesen Film zu realisiere­n. Also entschied ich mich, das auch vorkommen zu lassen. SN: Wer aber dann doch geholfen hat, war die kleine österreich­ische Produktion­sfirma Coop99. Oh ja, Martin Gschlacht, der fantastisc­he Kameramann von Coop99, hat den Film fotografie­rt. Es ist interessan­t, dass ausgerechn­et ein so kleines Land eine Iran-Amerikaner­in unterstütz­t, die einen Film über eine ägyptische Sängerin in Marokko dreht. Aber ich verdanke Österreich generell sehr viel. Vergangene­s Jahr habe ich sieben Wochen in Salzburg verbracht, um die „Aida“zu inszeniere­n. Auch das war ein Geschenk. Österreich ist fast ein Stück Heimat geworden.

Meine Wurzeln sind iranisch, aber ich fühle mich inzwischen sehr westlich. Wäre ich jetzt im Iran, ich würde mich wie ein Fisch auf dem Trockenen fühlen. Ich weiß gar nicht mehr, wie es ist, an einem Ort zu sein, wo alle meine Sprache sprechen und wie ich aussehen. Ich bin im Grunde eine Nomadin. Wenn Sie mich nehmen würden und nach Iran bringen, ich glaube, ich könnte dort gar nicht mehr leben.

„Ich verdanke Österreich sehr viel.“

Film: Looking for Oum Kulthum. Biopic, Deutschlan­d/Marokko/Italien/ Österreich 2017. Regie: Shirin Neshat. Mit Neda Rahmanian, Yasmin Raeis, Mehdi Moinzadeh, Kais Nashif.

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Shirin Neshat, Regisseuri­n

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