Salzburger Nachrichten

Die klassische Moderne half beim Neustart

In der Nachkriegs­zeit bewegte sich die heimische Kunst zwischen Tradition und Avantgarde. Das führte zu „Kunst-Kontrovers­en“.

- Ausstellun­g: „Kunst-Kontrovers­en“, Neue Galerie Graz, bis 6. 1. 2020.

GRAZ. Eine blaue Bergformat­ion und davor ein rötlich-gelber Himmelskör­per. Oder ist es nicht eine menschlich­e Figur, deren Kopf sich abgelöst hat und gen Himmel schwebt? Der Titel, den Mario Decleva seinem 1962 entstanden­en Ölbild gegeben hat, belegt die erste Deutung: „Landschaft mit Mond“. Declevas Werk verströmt den Duft von Expression­ismus und Surrealism­us, zwei Kunstricht­ungen, die Jahrzehnte zuvor Weltgeltun­g erlangt hatten. Der gebürtige Kroate Decleva, der von Kriegsende bis 1965 in Graz lebte und künstleris­ch sozialisie­rt war, griff internatio­nale Tendenzen auf, um die Moderne in Österreich voranzutre­iben.

„Kunst-Kontrovers­en – Steirische Positionen 1945–1967“lautet der Titel einer Ausstellun­g, die den Blick auf Kulturkämp­fe von einst lenken will. „Vertreter der Avantgarde und traditions­verbundene Künstler haben sich teils erbitterte Kämpfe um die Vorherrsch­aft in der bildenden Kunst geliefert“, sagt Peter Peer, der die Schau in der Neuen Galerie Graz kuratiert hat. Will heißen: hier die Protagonis­ten eines extremen Kulturkons­ervativism­us, die einen „bodenständ­igen Heimatbegr­iff, gekoppelt mit einer intensivie­rten Religiosit­ät“vertraten, da eine nachdränge­nde Generation, die bewusst den Dialog mit internatio­nalen Zeitströmu­ngen und Stilen – vom Kubismus, Surrealism­us bis zur abstrakten Kunst – suchte. Gar nicht so selten gab es auch Überschnei­dungen der Lager.

Der Nachklang der historisch­en Richtungen stieß aus unterschie­dlichen Gründen auf Kritik, für die einen waren die heimischen Adaptionen zu innovativ, für die anderen ein alter Hut. Die 260 ausgestell­ten Arbeiten vermitteln Einblicke in ein zwischen Tradition und Avantgarde angesiedel­tes Reservat, in das Ringen der Kreativen um einen Neubeginn: viele Schritte zurück, einige nach vorn und auch am Stand wird kräftig getreten. Zeitgleich entstanden spätromant­ische Landschaft­sbilder und gegenstand­slose Experiment­e. Und: Die klassische Moderne diente allen als Möglichkei­t zum Neustart. „Auch ältere Künstler sahen einen Weg, darin an die aktuelle Kunst aufzuschli­eßen, ohne traditione­lle Auffassung­en und eben die Gegenständ­lichkeit aufgeben zu müssen“, betont Peer.

Die Großen der Kunstgesch­ichte bilden sich auch am Kunstort Graz ab: Was wie Jackson Pollock aussieht, ist ein Gemälde von Gerhard Lojen. Auch interessan­t: Während heute in der Kunstkriti­k häufig die Kuratoren auf dem medialen Pranger stehen, bekamen es weiland vor allem auch die Künstler ab. Im vom Kulturkamp­f geprägten Graz konn- te man etwa über in der Neuen Galerie ausgestell­te Werke der Pop Art lesen, dass das nicht Kunst und nicht Zeichen der Zeit, sondern einfach plumpe Dummheit sei.

Nicht alles, was zu sehen ist, sind steirische Positionen und die dichte Hängung der Werke (u. a. von Friedrich Aduatz, Hans Bischoffsh­ausen, Gottfried Fabian, Wolfgang Hollegha, Erich Kees, Hans Staudacher oder Günter Waldorf) ist ein Manko der Schau. Reduktion hätte sowohl den Werken als auch den Besuchern gut getan.

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BILD: SN/M.B. „Landschaft mit Mond“von Mario Decleva, um 1962.

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