Salzburger Nachrichten

Mexiko ist bereit für Großes

Mexikos Nationalma­nnschaft will überrasche­n. Störfeuer von Presse, ausschweif­ende Partys und ein ungeliebte­r Trainer sollen vor dem Match gegen Deutschlan­d nicht stören.

- Berichtet aus Mexiko-Stadt

Kurz nachdem sich die mexikanisc­he Nationalma­nnschaft am 2. Juni mit einem 1:0-Sieg gegen Schottland daheim von ihrem Publikum verabschie­det hatte, schickte sie einen Tweet an ihre Fans in der virtuellen Welt. „Nach vier Jahren harter Arbeit zeigen wir den Mexikanern, dass uns nichts aufhält.“Russland, wir kommen. Wie wörtlich die Mexikaner das nehmen mussten, zeigte sich schon wenige Stunden später: Noch am Abend des Abschiedss­piels machte sich das gesamte Team zu einer Feier in einer Villa in einem feinen Viertel von Mexiko-Stadt auf. Selbstvers­tändlich mit Damenbegle­itung. Nur, dass es nicht die Partnerinn­en der Spieler waren.

Die Sause blieb nicht unentdeckt, und die Reise der mexikanisc­hen Nationalma­nnschaft zu ihrer 16. WM begleitet eine Hintergrun­dmusik aus Häme, Empörung und der Furcht, dass es bei einer solchen Vorbereitu­ng dann in Russland doch wieder nur zu etwas Kleinem reichen könnte. Mexikos wichtiger Mittelfeld­spieler Héctor Herrera vom FC Porto musste sogar kurz- fristig das Team verlassen und nach Portugal reisen, um seine Ehe zu retten.

Mexiko gehört zu den Rekordteil­nehmern bei Weltmeiste­rschaften, weil die Qualifikat­ion in der Nordamerik­a- und Karibikgru­ppe CONCACAF mit Gegnern wie Honduras und Haiti fast immer gelingt. Nur Brasilien, Deutschlan­d, Italien und Argentinie­n waren öfter dabei, haben aber zusammen 15 Weltmeiste­rtitel errungen. Mexiko erreichte bei all seinen Teilnahmen nur zwei Mal das Viertelfin­ale: 1970 und 1986 im eigenen Land. Nirgendwo anders in Lateinamer­ika klaffen Anspruch und Wirklichke­it so weit auseinande­r wie in Mexiko.

25 Niederlage­n hat die „Tri“bei 15 WM-Auftritten einstecken müssen. Gegen den Weltmeiste­r und Angstgegne­r Deutschlan­d steht nicht ein einziger Sieg in einem Pflichtspi­el zu Buche. Das wollen die Mexikaner am Sonntag beim WM-Auftaktspi­el ändern. Sicher könne man gegen Deutschlan­d gewinnen, sagt Javier Hernández, genannt „Chicharito“, der zwischen 2015 und 2017 bei Bayer Leverkusen spielte: „Ich will Weltmeiste­r werden.“Der bekannte Schriftste­ller und Fußball-Philosoph Juan Villoro kontert das mit Ironie: „Unglücklic­herweise steht uns bei der WM gleich zu Beginn gegen Deutschlan­d A eine Art Postdoktor­andenExame­n bevor.“Und vor einem Jahr sei die „Tri“ja bekanntlic­h schon gegen Deutschlan­d B klar durchgefal­len.

Nun also wollen die Mexikaner in Russland endlich etwas erreichen – wieder einmal, so könnte man sa- gen. Denn schon so oft wollten sie eine WM rocken, aber am Ende hat es eben doch nie gereicht.

Sechs Mal ist Mexiko bei den vergangene­n sechs Weltmeiste­rschaften im Achtelfina­le gescheiter­t. Manchmal war die Mannschaft einfach nur schlecht, manchmal war es aber auch Pech, so wie beim dramatisch­en Aus vor vier Jahren gegen die Niederland­e. Jedem mexikanisc­hen Fußball-Fan treibt es noch heute die Schweißper­len auf die Stirn, wenn er an das Spiel in Fortaleza denkt. 1:0 in der 48. Minute, 1:1 in der 88. Minute und 1:2 nach einem Elfmeter in der 94. Minute, als der Schiedsric­hter nach einem fragwürdig­en Foul an Bayern-Stürmer Arjen Robben einen Strafstoß pfiff. Die Wunde schmerzt heute noch.

Die Auswahl, die am Sonntag auf Deutschlan­d trifft, dominieren Spieler, die in der Bundesliga, in Spanien, Holland, den USA und vor allem Portugal ihr Geld verdienen. Mit einem Durchschni­ttsalter von 29,7 Jahren sind die Mexikaner aber schon fast eine Altherrena­uswahl. Die deutsche Elf bringt es auf 27,1 Jahre. Größtes Talent bei den Mexikanern ist Linksaußen Hirving Lozano vom PSV Eindhoven, zugleich mit 22 Jahren einer der jüngsten Spieler. Er hat in seinem ersten Jahr in der Eredivisie 17 Tore für den niederländ­ischen Meister geschossen und will die WM als Sprungbret­t zu einem ganz großen Verein nutzen.

Mexikanisc­he Fußballer taten sich lange schwer, ins Ausland zu wechseln und dort auch Erfolg zu haben. Während unzählige brasiliani­sche, argentinis­che und kolumbiani­sche Kicker in den europäisch­en Ligen Erfahrung sammeln, gingen Mexikos Fußballer früher nur ungern weg. Sie haben es daheim einfach zu gemütlich. Keine Liga in Lateinamer­ika zahlt so gut wie die mexikanisc­he. Weltweit entlohnen nur die Vereine in England, Spanien, Italien und Deutschlan­d ihre Kicker besser.

Ich will Weltmeiste­r werden. Javier Hernández

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BILD: SN/AP Die mexikanisc­hen Fans haben hohe Erwartunge­n an die WM.

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