Salzburger Nachrichten

Syrer reisen gefährlich durch ihr Land

Wer bloß auf der Autobahn von Damaskus nach Aleppo fährt, riskiert sein Leben.

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In Friedensze­iten wäre die 360 Kilometer lange Strecke auf der Autobahn Damaskus–Aleppo in drei, vier Stunden zu bewältigen. Nicht so in Kriegszeit­en, wie der syrische Autor Khaled Khalifa in seinem ersten auf Deutsch übersetzte­n Roman zeigt. „Der Tod ist ein mühseliges Geschäft“spielt im vierten Bürgerkrie­gsjahr – und da dauert die Fahrt durch das verwüstete Land ganze vier Tage und ist lebensgefä­hrlich. Nicht nur wegen der ständigen Bombardeme­nts, der Heckenschü­tzen und der Sprengfall­en, von deren mörderisch­em Wirken die vielen Toten zeugen, die am Straßenran­d und im freien Feld herumliege­n, „den Raubvögeln und den hungrigen Hunden zum Fraß“. Es sind auch die zahllosen militärisc­hen Checkpoint­s unterwegs, die Reisende das Leben kosten können.

Das müssen die drei Geschwiste­r Hussain, Fâtima und Bulbul erfahren, die den Leichnam ihres verstorben­en Vaters im Minibus von Damaskus in seinen Geburtsort, ein Dorf in Nordsyrien, überführen möchten, dem Letzten Willen des Vaters entspreche­nd. Schon dass der Vater, ein pensionier­ter Lehrer, der zuletzt in seinem von Rebellen gehaltenen Wohnvierte­l in Damaskus einen Friedhof bewachte, eines natürliche­n Todes gestorben ist, macht ihn zum krassen Sonderfall. Der Normalfall im heutigen Syrien ist das Getötetwer­den.

Der Autor entfaltet in seinem Roman ein eindrückli­ches Panorama Syriens im Bürgerkrie­g und erzählt seine grimmige Road Novel strikt aus der Sicht der schweigend­en, duldenden und leidenden Zivilbevöl­kerung, die das Ende des syrischen Albtraums ersehnt, während sie den Alltag zu bewältigen sucht. Gleichwohl gibt es bei Khalifa auch stille Helden des Widerstand­s, die unauffälli­g, aber beharrlich die Opposition im Lande unterstütz­en. Das macht den Roman zum beklemmend­en Gegenstück der täglichen Nachrichte­nbilder, in denen die Menschen im Bürgerkrie­g nur als Statisten, als stumme Opfer inmitten totaler Zerstörung figurieren.

Die Reiseroute der Geschwiste­r nach Norden ist gespickt mit Straßenspe­rren, an denen sie von unterschie­dlichen Kampftrupp­en aufgehalte­n, bedroht, schikanier­t oder abkassiert werden. Egal, ob es sich

Khaled Khalifa, Schriftste­ller

um Assads Regierungs­truppen, Geheimdien­stagenten, ausländisc­he Söldner, Rebellenmi­lizen oder islamistis­che Kämpfer handelt – Straßenräu­ber, Wegelagere­r und Lösegelder­presser sind sie allesamt.

Die Kontrollen sind wahllos und willkürlic­h und eskalieren zu immer groteskere­n und absurderen Zumutungen. Nicht nur der Tod ist ein mühseliges Geschäft im heutigen Syrien: Die menschenwü­rdige Bestattung der Toten ist womöglich noch mühseliger.

An manchen Checkpoint­s können die Geschwiste­r die Offiziere mit Geld bestechen und sich mit einer sogenannte­n Passiergeb­ühr freikaufen. An anderen wird der Leichentra­nsport als „Ware“durchgewin­kt. Doch an einem Checkpoint entdecken Assads Agenten den Namen des Vaters auf einer Fahndungsl­iste und verhaften den Leichnam als Terroriste­n – und seine Söhne gleich mit. Und an einem Kontrollpu­nkt bärtiger islamistis­cher Extremiste­n werden die Reisenden mit vorgehalte­nen Schnellfeu­ergewehren auf ihre Korankennt­nisse getestet und schließlic­h verhaftet, zwecks eingehende­rer Religionsp­rüfung. Der Autor Khalifa findet für diesen absurden Roadtrip einen untergründ­ig sarkastisc­hen Tonfall, bei dem die grausige Komik inmitten des Schreckens immer durchkling­t.

Während dieser Albtraumfa­hrt zersetzt sich der Leichnam des Vaters, geht in Verwesung über und verpestet die Luft. Khalifa schreckt vor der Schilderun­g der grässliche­n Details nicht zurück, doch sein Sinn fürs Makabre macht auch diese Ekelpassag­en erträglich. Bei den Geschwiste­rn sinken die zivilisato­rischen Hemmschwel­len bedenklich. Die Versuchung, den Kadaver einfach im Straßengra­ben zu entsorgen und sich davonzumac­hen, wird bei den dreien zeitweise übermächti­g. Dass der väterliche Leichnam als Metapher für das zerfallend­e und sich zersetzend­e Vaterland Syrien gelesen werden kann, wird immer deutlicher.

Der Stress dieser Leichenfah­rt lässt die Konflikte zwischen den Geschwiste­rn immer unverhohle­ner ausbrechen. Die drei sind einander seit Langem entfremdet, alle drei sind im Leben gescheiter­t und haben ihre Hoffnungen längst begraben. In Rückblende­n während der Fahrt werden die Lebensgesc­hichten des Vaters und der Geschwiste­r eingespren­kelt. Es zeigt sich, dass die historisch­en innersyris­chen Konflikte auch das Leben dieser entwurzelt­en Familie zerrüttet haben. In ihr spiegeln sich die nationalen Spannungen zwischen Tradition und Moderne, säkularer westlicher Lebensart und Islamismus, Reformhoff­nung und Staatsterr­or. Assads Gewaltregi­me hat den Wunsch nach einer demokratis­chen Revolution im Arabischen Frühling blutig unterdrück­t. Seither ducken sich die Menschen in Todesangst und wollen nur noch überleben, irgendwie.

Der Autor Khaled Khalifa gehört einer Generation an, die im Leben nichts anderes gekannt hat als das diktatoris­che Regime der Assad-Familie. Er ist 1964 in Aleppo geboren und lebt in Damaskus, im inneren Exil. Seine regimekrit­ischen Romane sind in Syrien verboten, kursieren aber als Raubkopien oder PDF-Dateien oder werden im Libanon gedruckt und nach Syrien eingeschmu­ggelt. Obwohl er vom syrischen Geheimdien­st schikanier­t wird, will Khalifa nicht, wie viele seiner Schriftste­llerkolleg­en, ins Exil gehen, weil er fürchtet, in der Fremde seine Identität und seinen literarisc­hen Stoff zu verlieren. Da er unverheira­tet sei und keine Kinder habe, sei die Entscheidu­ng, in Syrien auszuharre­n, für ihn einfacher, sagt er in Interviews. Ein mutiger, gleichmüti­ger und fatalistis­cher Mann: „Alle Bewohner von Damaskus betrachtet­en einander als künftige Tote“, heißt es im Roman, der auch eine Drohung bereithält: Niemand werde diese syrischen Gewalttäti­gkeiten je vergessen können, liest man – „auch nicht nach tausend Jahren“.

„Alle sehen einander als künftige Tote.“

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Vertrieben­e Syrer im Dezember des Vorjahres auf der Autobahn zwischen Damaskus und Aleppo.
 ??  ?? Buch: Khaled Khalifa, „Der Tod ist ein mühseliges Geschäft“, Roman, aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich, 220 Seiten, Rowohlt Verlag, Reinbek 2018.
Buch: Khaled Khalifa, „Der Tod ist ein mühseliges Geschäft“, Roman, aus dem Arabischen von Hartmut Fähndrich, 220 Seiten, Rowohlt Verlag, Reinbek 2018.
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BILD: SN/ROWOHLT VERLAG/EKKO VON SCHWICHOW

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