Salzburger Nachrichten

Die mentale Belastung für das deutsche Team ist enorm

Der Druck, der auf den Topnatione­n lastet, kann hemmend sein. Das gilt auch für den Weltmeiste­r. Mit Clubspiele­n ist eine WM nicht vergleichb­ar.

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Für mich war es keine große Überraschu­ng, dass die Kroaten gegen Argentinie­n eine Topleistun­g zeigten. Mehr denn je gehören sie zu den Geheimfavo­riten auf den Titel. Es hat mich beeindruck­t, wie man es schaffte, Lionel Messi aus dem Spiel zu nehmen. Für den Topstar der Argentinie­r gab es keinen Raum im Angriffsze­ntrum, dort, wo er seine Gefährlich­keit am besten ausspielen kann. Messi versuchte auf die Flügel auszuweich­en, dort blieb er aber hinter den Erwartunge­n. Diese „goldene Generation“der Kroaten weiß, dass es wahrschein­lich die letzte Möglichkei­t ist, bei einer WM zu glänzen. Es passt viel zusammen, von der Erfahrung über die spielerisc­he Qualität bis hin zur Torgefahr. Und der Gegner weiß nie, ob die beiden Chefs im Mittelfeld, Ivan Rakitić und Luka Modrić, als Defensivpa­ar oder offensiver wie gegen Argentinie­n auftreten. Diese Flexibilit­ät macht die Kroaten unberechen­bar.

Vielleicht war auch der Druck, unbedingt siegen zu müssen, für die Argentinie­r zu groß. Den muss auch Deutschlan­d erst aushalten. Auch wenn in der Mannschaft des Weltmeiste­rs viele routiniert­e Profis, die in ihrer Karriere schon alles erlebt haben, stehen, die mentale Belastung ist in einem solchen Turnier enorm. Eine WM ist eine WM, die nur alle vier Jahre stattfinde­t. Es geht darum, ein ganzes Land zu vertreten. Ein frühes Ausscheide­n wird als nationale Katastroph­e angesehen. Mit Clubspiele­n kann man Titelkämpf­e nicht vergleiche­n. Ich bin gespannt, wie die Deutschen auf die Startniede­rlage reagieren. Die Qualität ist vorhanden, aber ob es zu einem Sieg reicht, das kann keiner vorhersage­n. Eine Überlegung wäre für mich, einen robusten Mittelstür­mer, einen Brecher, wie Mario Gomez einer ist, zu bringen. Timo Werner, der gegen Mexiko begann, braucht viel Raum, um seine Schnellig- keit ausspielen zu können. Den wird es gegen die Schweden heute nicht geben. Die Skandinavi­er werden den Deutschen den Gefallen nicht tun, ohne Rückversic­herung zu stürmen. Nur wenn die Löw-Truppe spielerisc­he Lösungen über die Seiten findet, dann wird der Weltmeiste­r besser aussehen als gegen Mexiko. Und dann benötigt man auch einen Spieler im Sturmzentr­um als Abnehmer für die Flanken.

Überrascht hat mich bei dieser WM die hohe Anzahl der Tore nach Standards. Freistöße sind zu einer Waffe geworden. Die Spezialist­en verfeinert­en ihre Schusstech­nik noch einmal und es werden daher noch mehr Partien nach einem ruhenden Ball entschiede­n werden. Adi Hütter holte mit Young Boys Bern 2018 den Titel in der Schweiz und trainiert in der neuen Saison Eintracht Frankfurt. Hütter analysiert exklusiv für die SN die WM in Russland.

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GAST KOMMENTAR Adi Hütter

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