„Wien zeigt, dass es auch anders geht“
Wiens neuer Bürgermeister Michael Ludwig über die Herausforderungen für die Bundeshauptstadt – und für die Bundes-SPÖ.
SN: Nach vier Wochen im Amt als Wiener Bürgermeister: Ist Rot-Grün so schlimm wie befürchtet?
Michael Ludwig: Mir war wichtig, eine Stimmung in der SPÖ Wien herbeizuführen, wo alle an einem Strang ziehen. Das ist mir gelungen.
SN: Ziehen auch alle in der rot-grünen Regierung an einem Strang?
Es gibt natürlich auch Konfliktthemen mit den Grünen, vor allem in der Verkehrspolitik, wenn ich nur an den Lobautunnel denke und die Nordostumfahrung.
SN: Gibt es überhaupt noch genügend Gemeinsamkeiten für eine Fortsetzung der Koalition?
Es gibt auch viele Themen, wo es Gemeinsamkeiten gibt. Wir stehen natürlich auch für unterschiedliche Ziele und Werte.
SN: Die Wiener Grünen sind in der Krise, ÖVP, FPÖ und Neos haben ihre Parteichefs an den Bund verloren. Wäre das nicht der richtige Zeitpunkt für rasche Neuwahlen in Wien?
Ich bin bekannt dafür, für die Bevölkerung zu arbeiten und nicht aus strategischen Gründen Wahlen vom Zaun zu brechen. Falls sich he- rausstellen sollte, dass es trotzdem notwendig ist, würde ich mich dem auch nicht verschließen, aber jetzt sehe ich die Notwendigkeit, zu zeigen, was man kann.
SN: Was können Sie?
Ich kann die Herausforderungen der Zukunft meistern, gemeinsam mit der Bevölkerung.
SN: Was ist die größte?
Die Digitalisierung, nicht nur auf dem Arbeitsmarkt, sondern im gesamten Bildungsbereich. Wir haben
Michael Ludwig, Wiener Bürgermeister
eine gute Infrastruktur, aber es geht mir darum, das auch zu vernetzen. Ich bemühe mich sehr, einen Campus zu errichten, wo es eine enge Zusammenarbeit zwischen Technischer Universität, außeruniversitären Einrichtungen und privaten Unternehmen gibt.
SN: Die SPÖ hat die Nationalratswahl nicht in der Digitalisierung, sondern in der Zuwanderungsfrage verloren.
Das ist sicher europaweit ein wichtiges Thema. Das wird auch eine der entscheidenden Fragen der Zukunft der Europäischen Union sein.
SN: Handelt Sebastian Kurz in dieser Frage richtig?
Ich war immer für geregelte Zuwanderung. Da ist die Frage der Flüchtlinge ja nur ein Teil davon.
SN: Es gibt in dieser Frage eine Achse Burgenland/Wien. Muss die Bundes-SPÖ auf diesen Kurs schwenken?
Wir sind stolz, dass Wien eine sehr weltoffene Stadt ist. Wir sind Sitz internationaler Organisationen und haben viele internationale Unternehmen mit Sitz in Wien. Das soll eher noch ausgebaut werden. Aber andererseits habe ich als Wiener Bürgermeister auch eine Art Schutzfunktion für die, die schon hier leben.
SN: Das heißt, der Kurs der Bundesregierung in der Zuwanderungsfrage ist kein falscher.
Die Art und Weise, wie das umgesetzt wird, könnte kooperativer innerhalb der Europäischen Union erfolgen. Diese Frontstellung, die wir jetzt in der EU haben, wird zu einer Überlebensfrage. Da hätte man eine gemeinsame Verantwortung,
„Wien ist eine weltoffene Stadt.“
die Herausforderung gemeinsam zu bewältigen. Weil jetzt immer gesagt wird, dass 2015 so viele Fehler gemacht wurden: Ich will nicht besserwisserisch sein, aber da müsste man den heutigen Bundeskanzler fragen, weil er damals Teil der Bundesregierung war.
SN: Wird Sebastian Kurz überschätzt?
Österreich übernimmt jetzt den Vorsitz in der EU, da hat der Bundeskanzler eine besondere Verantwortung. Es ist eine sehr sensible Phase. Man wird erst nachträglich bewerten können, ob die Schritte, die jetzt gesetzt werden, auch dieser historischen Phase gerecht werden.
SN: Nimmt der Bundeskanzler die genannte besondere Verantwortung wahr?
Er positioniert sich sehr deutlich, man wird sehen, ob diese sehr deutliche Positionierung ein vereintes Europa weiterbringt. Er hat auch durch das Treffen mit der CSU seiner deutschen Schwesterpartei CDU ein deutliches Signal gegeben. Das ist zumindest bemerkenswert.
SN: Positioniert sich Kurz zu sehr? Agiert er wie ein Elefant im Porzellanladen?
Das würde ich nicht sagen. Wir sollten aber als neutrales Land eher eine Plattform bieten, unterschiedliche Auffassungen in der EU zusammenzuführen und nicht in Allianzen tätig zu sein, die nicht von allen in der EU gutgeheißen werden. Es wäre eine Chance gewesen, Österreichs Neutralität neu zu definieren. Ich warne davor, den Graben, den es ohnehin in dieser Frage in der Europäischen Union schon gibt, zu vertiefen. Es wird Überlebensaufgabe der EU sein, in der Sicherheitspolitik, in der Flüchtlingsfrage, der Frage sozialen Ausgleichs gemeinsame Lösungen zu finden. Es braucht ja niemand zu glauben, dass ein Staatenbund automatisch eine Überlebensgarantie hat. Das kann ganz schnell gehen.
SN: Die SPÖ kämpft gegen den von der Regierung geplanten Zwölf-Stunden-Arbeitstag. Ist das ein Erfolgsrezept für Oppositionsarbeit?
Das Thema beunruhigt aus mehreren Gründe die Menschen und löst Angst aus. Weil man auch den Eindruck hat, dass die Bundesregierung nicht genau weiß, was sie will. Dass das auch ohne Einbeziehung der Sozialpartner passiert, ist höchst ungewöhnlich, Das halte ich für keinen guten Weg.
SN: Weshalb soll man den Sozialpartnern ein Vetorecht geben?
Es geht nicht um ein Vetorecht, sondern ist eine jahrzehntelang geübte Tradition in Österreich. Ich bin ein großer Fan der Sozialpartnerschaft. Es ist leicht, Brücken abzubauen, aber es ist ganz schwer, Brücken wiederaufzubauen. Ich werde in Wien zeigen, dass es auch anders geht.
SN: Wie geht es der SPÖ nach der Vertreibung aus dem Paradies?
Es wird notwendig sein, dass die Bundespartei sich auf die vollkommen neue Situation einstellt. Es ist sicher nicht leicht, eine neue Rolle zu finden.
SN: Woran wird man erkennen, dass die SPÖ in der Oppositionsrolle angekommen ist?
Primär ist es wichtig, nicht nur hart zu kritisieren, sondern Alternativen und Lösungsvorschläge anzubieten. Das würde ich jeder Oppositionspartei empfehlen. Das Interview mit Michael Ludwig wurde von den Chefredakteuren der Bundesländerzeitungen und der „Presse“durchgeführt. Für die SN nahm Vize-Chef Andreas Koller teil. Aufzeichnung: Dietmar Neuwirth („Die Presse“).
„Es ist nicht leicht, eine neue Rolle zu finden.“ Michael Ludwig, Bürgermeister