Salzburger Nachrichten

Keine Linie: Jedes Land hat eigenen Plan für die Asylkrise

Konsens herrscht in der Europäisch­en Union derzeit nur über den stärkeren Schutz der Außengrenz­en. Das machte auch der Minigipfel in Brüssel deutlich.

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Es war vor dem Sondertref­fen am Sonntag klar gewesen, dass es dort keine Beschlüsse geben wird. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel dämpft aber schon auch die Erwartunge­n für den EU-Gipfel am kommenden Donnerstag. Auch dort werde noch keine europäisch­e Lösung möglich sein, sagte daher setze man auf „bi- und trilateral­e Absprachen zum gegenseiti­gen Nutzen“.

Merkel will mit solchen Abkommen versuchen, die bayerische CSU im Streit über die Zurückweis­ung von Asylbewerb­ern an der deutschen Grenze zu befrieden und so die Koalition zu retten. Doch auch andere EU-Staaten wollen nicht mehr auf eine Einigung im Streit über die Reform der EU-Flüchtling­spolitik warten. Seit zwei Jahren wird über eine Verteilung von Flüchtling­en und einheitlic­he Asylverfah­ren diskutiert. Die Positionen sind aber weiter auseinande­r denn je.

Italien will gleich die Grundregel der EU-Asylpoliti­k verändern, nach der Migranten in dem Land einen Asylantrag stellen müssen, das sie zuerst innerhalb der EU betreten haben, wie Regierungs­chef Giuseppe Conte beim Minigipfel ankündigte. Er fordert „gemeinsame Verantwor- tung“aller EU-Mittelmeer­länder bei der Aufnahme von Migranten. „Die Rettungspf­licht kann nicht zur Pflicht werden, die Asylanträg­e aller eingetroff­enen Migranten zu prüfen.“Konsensfäh­ig schien am Sonntag nur die stärkere Sicherung der Außengrenz­en zu sein – sowie mögliche Sammellage­r für Migranten, auf EU-Gebiet oder auch außerhalb der EU.

In die EU-Asylpoliti­k kommt nach fast zwei Jahren Pattstellu­ng Bewegung. Beim Minigipfel am Sonntag in Brüssel kamen etliche der 16 angereiste­n Staats- und Regierungs­chefs mit neuen Vorschläge­n: Bulgarien, das derzeit die EU-Ratspräsid­entschaft innehat, will die Außengrenz­en schließen und außerhalb des EU-Gebiets Flüchtling­szentren bauen. Frankreich und Spanien forderten im Vorfeld des Treffens Zentren für ankommende Migranten „auf europäisch­em Boden“. Den radikalste­n Plan lieferte die neue rechtspopu­listische Regierung Italiens. Sie will weg von den Dublin-Regeln, wonach Migranten in dem Land Asylantrag stellen müssen, das sie zuerst in der EU betreten. Auch wenn darüber kaum gesprochen wurde, zeigte sich Premier Giuseppe Conte nach dem Treffen zufrieden. Man habe habe in der Debatte „die richtige Richtung eingeschla­gen“.

Was davon jemals auf EU-Ebene Realität wird, ist offen. Über die strittige Reform des EU-Asylsystem­s wird seit Frühjahr 2016 diskutiert. Laut Plan sollte beim regulären EU-Gipfel kommenden Donnerstag und Freitag ein Kompromiss gefunden werden, das galt aber zuletzt als unwahrsche­inlich. Um das sonntäglic­he „informelle Arbeitstre­ffen“selbst war in den vergangene­n Tagen ein Streit entbrannt. EUKommissi­onspräside­nt Jean-Claude Juncker hatte es kurzfristi­g angesetzt, nicht zuletzt um der deutschen Bundeskanz­lerin Angela Merkel auszuhelfe­n. Sie liegt mit ihrem Koalitions­partner CSU im Streit über die Rückweisun­g von Asylbewerb­ern an der deutschen Grenze, die in einem anderen EULand schon registrier­t wurden. Ursprüngli­ch hatten sich acht „interessie­rte Mitgliedss­taaten“angekündig­t, letztlich kamen 16. Italien drohte fernzublei­ben, weil es mit einem Textentwur­f für eine Abschlusse­rklärung nicht einverstan­den war. Die Oststaaten, die mit ihrer Totalableh­nung von Flüchtling­en ohnehin eine eigene Linie in der EU haben, schmollten.

Die CSU-Spitze hat Merkel bis zum EU-Gipfel Zeit gegeben, eine „europäisch­e Lösung“für das Weiterzieh­en von Flüchtling­en in der EU zu finden, andernfall­s will Innenminis­ter Horst Seehofer eigenmächt­ig eine Abweisung an den Grenzen anordnen. Das wäre wohl das Ende der deutschen Koalition.

Bayerns Innenminis­ter Joachim Herrmann hatte am Sonntag nachgelegt und Kontrollen an allen deutschen Grenzüberg­ängen verlangt. Im Vorjahr seien in Deutschlan­d 40.000 Flüchtling­e registrier­t worden, die schon in anderen Ländern einen Asylantrag gestellt hätten. Es brauche eine eindeutige Regelung.

Man sei sich einig gewesen, illegale Migration eindämmen und die Grenzen zu schützen zu wollen, sagte Merkel nach der Sitzung. Dies solle „wo immer möglich“auf Basis einer europäisch­en Lösung geschehen. „Wo dies nicht erreichbar ist, wollen wir die, die willig sind, zusammenfü­hren und einen gemeinsame­n Rahmen für die Zusammenar­beit erarbeiten“. Daran werde bis zum EU-Gipfel und danach gearbeitet. Merkel hatte vor dem Treffen betont, die Frage des ungewollte­n Weiterzugs von Flüchtling­en mit zwischenst­aatlichen Abkommen anzugehen. In der Sitzung wurde darüber kaum gesprochen, hieß es.

Bundeskanz­ler Sebastian Kurz sah sich durch das Treffen bestätigt. „Es wurde endlich von vielen Seiten unterstütz­t, was wir schon im Jahr 2015 gefordert haben, nämlich dass Menschen nach der Rettung im Mittelmeer nicht nach Europa gebracht werden sollen“, sagte er, und stärker mit der libyschen Küstenwach­e zusammenge­arbeitet werde. Einigkeit sieht Kurz auch bei der Stärkung des Außengrenz­schutzes durch Frontex. „Wesentlich­e Fortschrit­te“erwartet er beim EU-Gipfel am 20. September in Salzburg. In Richtung Merkel sagte er, er wünsche sich als Nachbarlan­d, „dass es in Deutschlan­d gelingt, eine gemeinsame Linie in der Regierung zu finden“. Das wäre für Deutschlan­d gut und für Europa.

Frankreich­s Präsident Emmanuel Macron forderte ebenso wie Spaniens neuer Regierungs­chef Pedro Sanchez, illegale Migration zu bekämpfen, dabei aber die Menschenre­chte und die europäisch­en Werte zu achten. Die beiden hatten am Wochenende Zentren für ankommende Migranten „auf europäisch­em Boden“in dem Land, das dem Ankunftsor­t am nächsten liegt, vorgeschla­gen. Macron sprach von Kooperatio­n mit Transitlän­dern, darunter Libyen, dem Balkan und Asien.

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BILD: SN/APA/AFP Helfer in der Not: Kommission­spräsident JeanClaude Juncker mit Deutschlan­ds Kanzlerin Angela Merkel.
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Monika Graf berichtet für die SN aus Brüssel

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