Die Protestwelle gegen den 12-Stunden-Tag rollt an
Betriebsrätekonferenzen in den Landeshauptstädten, Großdemo in Wien – Industrie-Experte ortet noch offene Fragen.
WIEN. Die Protestwelle gegen die Arbeitsflexibilisierung rollt, die Angestelltengewerkschaft ruft zu Betriebsrätekonferenzen. Heute, Montag, in Wien, Eisenstadt und St. Pölten. Morgen in Graz und Innsbruck. Salzburg, Linz, Klagenfurt waren bereits vergangene Woche an der Reihe. Vorläufiger Höhepunkt der Proteste wird eine große Demo am kommenden Samstag in Wien sein. Motto: „Nein zum 12-StundenTag“. „Gerade jetzt, wo die erworbenen Rechte einem Frontalangriff ausgesetzt sind, ist es umso wichtiger, dass wir gemeinsam ein Zeichen setzen“– so lautet der Appell der Gewerkschafter, die auch eine Hotline eingerichtet haben (0800/22 12 0060).
Die Bundesregierung war in den vergangenen Tagen bemüht, vor allem zwei Einwände gegen ihren Gesetzesentwurf zu entkräften: Erstens den Einwand, dass Arbeitnehmer zum zeitweiligen 12-Stunden-Tag gezwungen werden könnten. Vizekanzler Strache versicherte, man werde das Prinzip der Freiwilligkeit verankern. Der zweite Einwand gegen die Arbeitszeitflexibilisierung lautete, dass für Mehrarbeit bei Gleitzeitverträgen die Mehrstundenvergütungen wegfallen könnten; stimmt nicht, versicherten mehrere Regierungsvertreter.
Laut einer Expertise, die der Arbeitsrechtler Philipp Maier für das „Industriemagazin“angestellt hat, besteht aber in beiden Fragen noch Erklärungsbedarf. Zur angeblichen Freiwilligkeit des 12-Stunden-Tags schreibt der Experte: „Bis die Judikatur hier praktikable Grenzziehungen gefunden hat, sind Arbeitnehmer gut beraten, ein Ersuchen des Arbeitgebers um zusätzliche Arbeitsstunden nicht leichtfertig abzulehnen – denn gelingt kein Nachweis überwiegender Interessen, droht im schlimmsten Fall sogar die Entlassung.“
Und zu den Überstundenzuschlägen bei Gleitzeit, die laut Regierung erhalten bleiben, schreibt der Arbeitsrechtler: „Allerdings spricht der Wortlaut des neuen Gesetzes gegen diese Interpretation.“Denn: „Die Normalarbeitszeit für Gleitzeitverträge wurde explizit von 10 auf 12 Stunden angehoben.“– Raum genug also für Unsicherheiten – und für gewerkschaftliche Proteste.
Insgesamt, so lautet die Einschätzung des Arbeitsrechtsexperten Maier, müsste die Wirtschaft zufrieden sein. Denn: „Viele Forderungen der Industrie finden sich in der Novelle wieder: eine erhebliche Liberalisierung der Arbeitszeitgrenzen, eine spürbare Ausweitung der Möglichkeit zur Anordnung von Überstunden und eine deutliche Ausweitung der zuschlagsfreien Arbeitsmöglichkeiten bei Gleitzeit.“
Dass der ausnahmsweise 12-Stunden-Tag keine Erfindung der Regierung Kurz ist, sondern auch in SPÖ-Biotopen beheimatet ist, machte ÖBB-Generaldirektor Andreas Matthä am Samstag in einem Interview mit den Bundesländerzeitungen klar: „Ich darf festhalten, dass bei uns Zwölf-Stunden-Schichten Standard sind.“Gewerkschaftliche Proteste dagegen sind nicht überliefert.