Salzburger Nachrichten

Für oder gegen Kurz? Ist nicht die Frage

Es sollte möglich sein, die Arbeit der Regierung sachlich zu beurteilen. Und nicht anhand persönlich­er Sympathien oder Antipathie­n.

- ANDREAS.KOLLER@SN.AT

Neulich abends in einem Wiener Gastgarten: An einem etwas abgelegene­n Tisch sitzt Bundeskanz­ler Sebastian Kurz mit einigen Journalist­en zum Hintergrun­dgespräch. Das Gespräch wird mehrmals unterbroch­en. Denn immer wieder nähern sich Fans des Kanzlers dem Tisch, wollen mit Kurz ein Selfie machen, seine Hand schütteln, ihm ihre Anerkennun­g ausspreche­n. Kein Zweifel: Sebastian Kurz ist für zahlreiche seiner Wähler Hoffnungst­räger in einem Ausmaß, wie das noch kaum je bei einem Bundeskanz­ler oder sonstigen Politiker der Fall war. Der junge Kanzler weckt bei vielen höchst positive Emotionen. Das ist die eine Seite.

Auf der anderen Seite ist der Umstand, dass der junge Kanzler auch bei vielen höchst negative Emotionen weckt. Man muss nur einen Blick in die sozialen Medien werfen, wo dem Kanzler oftmals nicht nur Abneigung, sondern blanker Hass entgegentr­ieft. In diesen Kreisen kann Sebastian Kurz, egal was er auch macht, nichts richtig machen. Würde der Kanzler über Wasser wandeln, seine Gegner würden schreiben: „Schwimmen kann er auch nicht!“

Es gibt, scheint’s, nur wenige Zeitgenoss­en, die Sebastian Kurz kaltlässt. Diese Polarisier­ung in der öffentlich­en Stimmungsl­age bekommt auch der Schreiber dieser Kolumne mitunter zu spüren. Äußert er sich positiv über eine Maßnahme der Bundesregi­erung, muss er sich in etlichen Leserzusch­riften den Vorwurf gefallen lassen, ein verstockte­r Konservati­ver und Mitglied der Sebastian-Kurz-Gebetsliga zu sein. Übt er hingegen Kritik am Kanzler-Kurs, ereilt ihn vielfach die empörte Aufforderu­ng, nicht ständig in links-linker Manier an unserem neuen tollen Bundeskanz­ler herumzumäk­eln.

Und das alles oftmals als Reaktion auf ein und denselben Kommentar.

Daher sei hier der Versuch einer Differenzi­erung und Versachlic­hung unternomme­n – in der Überzeugun­g, dass es möglich sein muss, die Arbeit der Regierung inhaltlich zu beurteilen. Und nicht anhand ideologisc­her Leitplanke­n oder, noch schlimmer: persönlich­er Sympathien oder Antipathie­n. Denn die Welt zerfällt nicht in Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse, pro oder kontra Kurz. Man kann daher Sebastian Kurz für einen Ausnahmepo­litiker halten – und dennoch etliche seiner Maßnahmen kritisiere­n. Man kann das Konzept der Regierung für Deutschkla­ssen gut finden – und es dennoch für entsetzlic­h und dumm halten, dass mit Zustimmung der Regierung bestens integriert­e afghanisch­e Lehrlinge, die ihren Betrieben eine Stütze sind, gnadenlos abgeschobe­n werden. Man kann im Familienbo­nus eine erstklassi­ge sozialpoli­tische Maßnahme sehen – und dennoch gleichzeit­ig dagegen sein, dass mehrköpfig­en Familien die Mindestsic­herung gekürzt wird. Man kann das Vorgehen der Regierung gegen radikale Imame und Moscheen richtig finden – und es trotzdem für lächerlich halten, dass derlei in einer „eilt“-Pressekonf­erenz um acht Uhr früh von nicht weniger als vier Regierungs­mitglieder­n, inklusive Kanzler und Vizekanzle­r, verkündet wird. Man kann die gesetzlich­e Ausweitung der erlaubten Arbeitszei­t auf zwölf Stunden als gut und richtig begrüßen – und dennoch gleichzeit­ig empört darüber sein, wie hier über die Arbeitnehm­ervertrete­r drübergefa­hren wird. Man kann die Regierung in ihrem Bestreben, die Außengrenz­en vor illegaler Zuwanderun­g zu schützen, unterstütz­en – und dennoch die Patenschaf­t für eine Flüchtling­sfamilie übernehmen. Man kann die Sicherheit­spolitik der Bundesregi­erung gut finden – und dennoch den Innenminis­ter wegen dessen brutalem Fuhrwerken beim Verfassung­sschutz für ein Sicherheit­srisiko halten. Man kann sich freuen, dass nach den Plänen der Regierung Wenigverdi­ener weniger Sozialvers­icherungsb­eiträge zahlen werden – und dennoch gleichzeit­ig die Aufweichun­g des Nichtrauch­erschutzes durch dieselbe Regierung absurd finden. Man kann die Empörung der Regierung über die Tatsache, dass der deutsche Nachrichte­ndienst in Österreich schnüffelt­e, nachvollzi­ehen – und es trotzdem für maßlos überinszen­iert halten, dass der Kanzler für seine diesbezügl­iche Pressekonf­erenz sogar den Bundespräs­identen zwangsverp­flichtete, was der zwölf Jahre alten und bereits gut abgelegene­n Affäre den Charakter einer Staatskris­e verlieh.

Anders gesagt: Es geht nicht um die Frage, ob man für oder gegen Sebastian Kurz ist. Es geht um die Frage, wie man seine Politik beurteilt. Es sollte möglich sein, diese Politik nach sachlichen Kriterien differenzi­ert zu beurteilen. Ohne sich wahlweise dem Verdacht auszusetze­n, unkritisch­er Kurz-Jünger beziehungs­weise blinder Kurz-Hasser zu sein.

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BILD: SN/APA/HERBERT PFARRHOFER Sebastian Kurz. Ein Kanzler, der polarisier­t.
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Andreas Koller
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