Für oder gegen Kurz? Ist nicht die Frage
Es sollte möglich sein, die Arbeit der Regierung sachlich zu beurteilen. Und nicht anhand persönlicher Sympathien oder Antipathien.
Neulich abends in einem Wiener Gastgarten: An einem etwas abgelegenen Tisch sitzt Bundeskanzler Sebastian Kurz mit einigen Journalisten zum Hintergrundgespräch. Das Gespräch wird mehrmals unterbrochen. Denn immer wieder nähern sich Fans des Kanzlers dem Tisch, wollen mit Kurz ein Selfie machen, seine Hand schütteln, ihm ihre Anerkennung aussprechen. Kein Zweifel: Sebastian Kurz ist für zahlreiche seiner Wähler Hoffnungsträger in einem Ausmaß, wie das noch kaum je bei einem Bundeskanzler oder sonstigen Politiker der Fall war. Der junge Kanzler weckt bei vielen höchst positive Emotionen. Das ist die eine Seite.
Auf der anderen Seite ist der Umstand, dass der junge Kanzler auch bei vielen höchst negative Emotionen weckt. Man muss nur einen Blick in die sozialen Medien werfen, wo dem Kanzler oftmals nicht nur Abneigung, sondern blanker Hass entgegentrieft. In diesen Kreisen kann Sebastian Kurz, egal was er auch macht, nichts richtig machen. Würde der Kanzler über Wasser wandeln, seine Gegner würden schreiben: „Schwimmen kann er auch nicht!“
Es gibt, scheint’s, nur wenige Zeitgenossen, die Sebastian Kurz kaltlässt. Diese Polarisierung in der öffentlichen Stimmungslage bekommt auch der Schreiber dieser Kolumne mitunter zu spüren. Äußert er sich positiv über eine Maßnahme der Bundesregierung, muss er sich in etlichen Leserzuschriften den Vorwurf gefallen lassen, ein verstockter Konservativer und Mitglied der Sebastian-Kurz-Gebetsliga zu sein. Übt er hingegen Kritik am Kanzler-Kurs, ereilt ihn vielfach die empörte Aufforderung, nicht ständig in links-linker Manier an unserem neuen tollen Bundeskanzler herumzumäkeln.
Und das alles oftmals als Reaktion auf ein und denselben Kommentar.
Daher sei hier der Versuch einer Differenzierung und Versachlichung unternommen – in der Überzeugung, dass es möglich sein muss, die Arbeit der Regierung inhaltlich zu beurteilen. Und nicht anhand ideologischer Leitplanken oder, noch schlimmer: persönlicher Sympathien oder Antipathien. Denn die Welt zerfällt nicht in Schwarz oder Weiß, Gut oder Böse, pro oder kontra Kurz. Man kann daher Sebastian Kurz für einen Ausnahmepolitiker halten – und dennoch etliche seiner Maßnahmen kritisieren. Man kann das Konzept der Regierung für Deutschklassen gut finden – und es dennoch für entsetzlich und dumm halten, dass mit Zustimmung der Regierung bestens integrierte afghanische Lehrlinge, die ihren Betrieben eine Stütze sind, gnadenlos abgeschoben werden. Man kann im Familienbonus eine erstklassige sozialpolitische Maßnahme sehen – und dennoch gleichzeitig dagegen sein, dass mehrköpfigen Familien die Mindestsicherung gekürzt wird. Man kann das Vorgehen der Regierung gegen radikale Imame und Moscheen richtig finden – und es trotzdem für lächerlich halten, dass derlei in einer „eilt“-Pressekonferenz um acht Uhr früh von nicht weniger als vier Regierungsmitgliedern, inklusive Kanzler und Vizekanzler, verkündet wird. Man kann die gesetzliche Ausweitung der erlaubten Arbeitszeit auf zwölf Stunden als gut und richtig begrüßen – und dennoch gleichzeitig empört darüber sein, wie hier über die Arbeitnehmervertreter drübergefahren wird. Man kann die Regierung in ihrem Bestreben, die Außengrenzen vor illegaler Zuwanderung zu schützen, unterstützen – und dennoch die Patenschaft für eine Flüchtlingsfamilie übernehmen. Man kann die Sicherheitspolitik der Bundesregierung gut finden – und dennoch den Innenminister wegen dessen brutalem Fuhrwerken beim Verfassungsschutz für ein Sicherheitsrisiko halten. Man kann sich freuen, dass nach den Plänen der Regierung Wenigverdiener weniger Sozialversicherungsbeiträge zahlen werden – und dennoch gleichzeitig die Aufweichung des Nichtraucherschutzes durch dieselbe Regierung absurd finden. Man kann die Empörung der Regierung über die Tatsache, dass der deutsche Nachrichtendienst in Österreich schnüffelte, nachvollziehen – und es trotzdem für maßlos überinszeniert halten, dass der Kanzler für seine diesbezügliche Pressekonferenz sogar den Bundespräsidenten zwangsverpflichtete, was der zwölf Jahre alten und bereits gut abgelegenen Affäre den Charakter einer Staatskrise verlieh.
Anders gesagt: Es geht nicht um die Frage, ob man für oder gegen Sebastian Kurz ist. Es geht um die Frage, wie man seine Politik beurteilt. Es sollte möglich sein, diese Politik nach sachlichen Kriterien differenziert zu beurteilen. Ohne sich wahlweise dem Verdacht auszusetzen, unkritischer Kurz-Jünger beziehungsweise blinder Kurz-Hasser zu sein.