Römerbrief, Gottesgnadentum und die amerikanische Verfassung
Scheinheilige Politiker in aller Welt missbrauchen die Bibel, um zu beweisen, was immer ihnen in den Kram passt.
Die USA haben zwar die Religionsfreiheit in ihre Verfassung geschrieben, das bedeutet aber nicht, dass Religion keinen großen Einfluss auf die Politik des Landes hätte. Evangelikale Prediger wirken in viele Bereich des öffentlichen Lebens hinein, ein Politiker, der nicht regelmäßig zum Gottesdienst gleichgültig welcher Glaubensgemeinschaft geht, hätte keine Chance, je Präsident zu werden.
Das bedingt ein gerüttelt Maß an Scheinheiligkeit, denn man weiß ja, dass kaum je ein USPräsident tatsächlich die Botschaft seiner Religion ernst genug genommen hätte, um sich in der politischen Praxis daran zu halten. Dennoch missbrauchen gerade US-Politiker die Bibel gern als unerschöpfliche Quelle von Zitaten, mit denen sich alles untermauern lässt und sehr oft auch das Gegenteil davon.
Jeff Sessions, Justizminister und Vollstrecker von Donald Trumps Willen, leistete sich ein besonderes Stück Scheinheiligkeit mithilfe eines Bibelzitats. Er zog den Römerbrief des Apostels Paulus heran, um bei der Behandlung illegaler Immigranten die Trennung von Eltern und Kindern zu rechtfertigen. Paulus hatte geschrieben, man müsse die Gesetze der Regierung befolgen, denn „die Regierung ist von Gott eingesetzt“.
Sessions’ Benutzung dieses Satzes aus dem Römerbrief zeigt gleich mehrerlei:
Er pickt sich aus der Bibel, was ihm passt, denn nur ein paar Absätze weiter heißt es da: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.“Es gibt wohl wenig Böseres, als Kinder gewaltsam von ihren Eltern zu trennen.
Er stellt sich auf eine Stufe mit amerikanischen Sklavenhaltern, die den Römerbrief gern zitierten, um ihre unmenschliche Praxis zu rechtfertigen. Aber auch die britischen Royalisten verdammten mit Verweis auf den Römerbrief die Unabhängigkeitsbestrebungen jener nordamerikanischen Kolonien, die am Anfang der Vereinigten Staaten von Amerika standen.
Er sieht die „Regierung von Gott eingesetzt“, was nichts anderes ist als das Gottesgnadentum, mit dem Monarchen in Europa ihre Herrschaft zu begründen pflegten. Nun, das Gottesgnadentum ist in Europa schon seit einem Jahrhundert endgültig abgeschafft, wiewohl sich auch hier immer mehr Regierungschefs so aufführen, als seien sie nicht nur durch Wahlen, sondern eine „höhere Macht“eingesetzt. In den USA hat es das nie gegeben. Denn dort, und das müsste der Justizminister der USA wissen, wurde immer schon die Regierung „durch das Volk und für das Volk“eingesetzt. Gott, welcher Denomination auch immer, hatte bei der Installation amerikanischer Regierungen niemals die Hand im Spiel.
Es ist schon traurig, wenn ein Justizminister nicht einmal die Verfassung seines eigenen Landes kennt. Aber damit passt er ja perfekt zu seinem Herrn und Meister.