Salzburger Nachrichten

Herr Hoffmann ist bei Gericht

Obwohl kein Jurist, ist Heinz Hoffmann so etwas wie der Grandseign­eur des Wiener Landesgeri­chts. Den SN verriet er, warum er nahezu jeden Tag freiwillig einem Prozess beiwohnt.

- Menschen hinter Schlagzeil­en ANDREAS TRÖSCHER

Vor Menschen, die meinen, sie hätten im Grunde nicht viel zu erzählen, nehme man sich in Acht. Und zwar im positivste­n Sinne. Heinz Hoffmann zählt ohne Zweifel zu dieser seltenen Spezies. Oberflächl­ich betrachtet ist er Pensionist. Betritt er allerdings das Wiener Straflande­sgericht, dann wird er zur schillernd­en Figur, zur grauen Eminenz, vor der sich Richter bis hin zu ihrem Präsidente­n verneigen. Sie sagen dann: „Oh, Herr Hoffmann, schön, Sie zu sehen.“Oder: „Meine Verehrung, Herr Hoffmann.“

Man könnte jetzt gemein sein und den agilen Ruheständl­er als Gerichtski­ebitz bezeichnen. Doch diesen Ausdruck hasst er. „Das klingt so …, so …“, sagt er, sucht nach einem Wort, das ihm nicht gefällt, und macht eine abwertende Handbewegu­ng. Prozessbeo­bachter? Gerichtsin­teressiert­er? Klingt alles viel zu gespreizt. Im Endeffekt ist er der Herr Hoffmann, und jeder, der im „Grauen Haus“an der Zweierlini­e regelmäßig ein und aus geht, weiß, wer damit gemeint ist.

Doch was steckt hinter der Person, und warum kommt sie fast jeden Tag hierher, um in die unterschie­dlichsten Abgründe der menschlich­en Seele zu blicken? „Schau’n S’, angefangen hat alles mit dem Konsum-Prozess.“Das war vor rund 20 Jahren. Heinz Hoffmann interessie­rte, wie es seinen ehemaligen Chefs ergehen sollte. 1994 war er als Finanzchef bei Gerngroß, den der Konsum geschluckt hatte, in Pension gegangen. Die Atmosphäre im Gerichtssa­al fasziniert­e Hoffmann von Anfang an. „Ich hab immer bereut, dass ich nichts mit Juristerei gemacht habe.“Dabei hat er einst Welthandel studiert. 1956 sei er dann zum Gerngroß gekommen. Eher durch Zufall, wie sich Hoffmann erinnert. „Es hat mir großen Spaß gemacht. Ich hab auch samstags und sonntags gearbeitet. Es war toll.“Doch jede Ära gehe einmal zu Ende: „Sie haben halt nicht erkannt, dass man ein Kaufhaus nicht so führen kann wie im Jahr 1879.“

Wollte man mit Heinz Hoffmann ungestört plaudern, müsste man das Gerichtsge­bäude verlassen. „Grüß Sie, Herr Hoffmann!“– „Grüß Sie, Frau Rat!“Auch die Anwälte kennen ihn durch die Bank. Doch der bekanntest­e Nicht-Jurist des Grauen Hauses bleibt bescheiden. „Ich spreche Richter prinzipiel­l nicht an, das ist ein ungeschrie­benes Gesetz.“Dazu habe er zu großen Respekt. Dabei kann ihm in puncto Anwesenhei­t niemand aus der „Belegschaf­t“das Wasser reichen. Es werden rund 4000 Verhandlun­gen gewesen sein, denen Herr Hoffmann im Publikumsb­ereich beigewohnt hat. Wahrschein­lich sogar mehr. – „Mahlzeit, Frau Magistra.“

Erstkontak­t mit dem Landesgeri­cht hatte er bereits als HAK-Schüler. Das war 1947. „Ich hab Schule gestangelt und bin ins Gericht.“Er schaute sich den Hochverrat­sprozess gegen den Burgschaus­pieler Otto Hartmann an, einen GestapoSpi­tzel. Dieser wurde wegen „Denunziati­on mit Todesfolge“zu lebenslang­er Haft verurteilt. „Da habe ich dann während der Verhandlun­g mein Gabelfrühs­tück ausgepackt und bin vom Vorsitzend­en ordentlich zurechtgew­iesen worden“, sagt Hoffmann lachend 71 Jahre später. Apropos Jahre: „Zehn noch, dann bin ich 100.“Mit wachen Augen und noch wacheren Ohren bewegt sich der 90-Jährige mit traumwandl­erischer Sicherheit durch das riesige Gebäude. In der Innentasch­e seines Sakkos steckt der Wegweiser: die handgeschr­iebene Liste mit all den kommenden Prozessen. Uhrzeit, Verhandlun­gssaal, Vorsitzend­er, angeklagte Paragrafen. Ob es sich um „etwas Großes“handelt, sei eine Mischung aus Intuition, Erfahrung und Informatio­n.

Beste Kontakte pflegt Hoffmann zu den gestandene­n Gerichtsre­portern. Die binden ihn gern in ihre Arbeitspro­zesse ein. Er wiederum versorgt die Schreiber noch spätabends mit „Live-Meldungen“aus dem Verhandlun­gssaal. Und Urteile werden mitunter nach 23 Uhr gefällt.

Heinz Hoffmann liebt die Struktur, das Aufstehenm­üssen in der Früh, das Pünktlichs­einmüssen. „Es ist ein Job ohne Bezahlung.“Aber dafür war er ohnehin längst bekannt. In den 1980ern hat er nebenbei für die Vienna den Finanzvors­tand gemacht, bis 2006 sogar noch für die Admira. Fußball ist seine zweite Leidenscha­ft. Noch heute hat er eine Saisonkart­e für seinen Lieblingsc­lub, die Wiener Austria. Gespielt hat er selbst auch. Unterklass­ig, bei Altstern. Beim 25jährigen Jubiläum 1956 gab es gegen den Sportclub mit Primgeiger Erich Hof ein ehrenvolle­s 0:8.

Mit seiner Frau habe er die Welt bereist, sagt Hoffmann. Lange haben beide auf der Hohen Warte das Racket geschwunge­n. Heute habe immer noch jeder seine Hobbys. Seines sei eben das Landesgeri­cht. – „Verehrung, Herr Doktor, alles Schöne.“– Den Buwog-Prozess samt Karl-Heinz Grasser lässt Herr Hoffmann übrigens links liegen. Da gebe es Plätze weiter vorn nur für die Presse. Das verstehe er. Auf seiner Liste stehen ohnehin andere, vielverspr­echende Termine.

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BILD: SN/TRÖSCHER Heinz Hoffmann in seinem zweiten Zuhause – dem „Grauen Haus“an der Zweierlini­e.

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