Erntehelferinnen leben wie Sklavinnen
Zehn Marokkanerinnen haben ihren Mut zusammengenommen und Anzeige erstattet: Als Erdbeerpflückerinnen werden sie in Südspanien wirtschaftlich ausgebeutet und sexuell missbraucht.
„Erdbeeren, ohne Sklaverei“, riefen die Frauen, „aber mit Rechten für die Pflückerinnen.“Hunderte Feldarbeiterinnen marschierten dieser Tage durch die südspanische Stadt Huelva, in deren Umfeld die größten Erdbeerplantagen Europas liegen. Ein Heer von Marokkanerinnen erntet dort die Früchte, die nach ganz Europa exportiert werden. Doch das Geschäft mit dem süßen Obst, das in Spanien fast das ganz Jahr in Gewächshäusern und unter Plastikplanen reift, hat seine Schattenseiten.
Saisonarbeiterinnen sprechen von Lohnbetrug, miserablen Arbeitsbedingungen und sexuellen Übergriffen bis hin zu Vergewaltigungen durch Vorarbeiter und Plantagenbesitzer. „Oft wird dieser Missbrauch nicht angezeigt“, sagt Pastora Filigrana, Rechtsanwältin der Landarbeitergewerkschaft SAT.
Die Betroffenen haben Angst vor der Schande. Denn wenn in ihrer marokkanischen Heimat der sexuelle Missbrauch bekannt wird, müssen die Frauen nach ihrer Rückkehr damit rechnen, verstoßen zu werden. Und sie haben Angst, bei einer Beschwerde den Job zu verlieren. Ein Job, mit dessen Erträgen die meist verheirateten Arbeiterinnen ihre Familien auf der anderen Seite des Mittelmeers durchbringen.
„Sie drohen, dass wir im nächsten Jahr nicht mehr wiederkehren dürfen“, empört sich die marokkanische Arbeiterin Nahed auf der Kundgebung in Huelva. Sie kommt seit 13 Jahren zum Pflücken nach Spanien – jetzt reicht es ihr.
Rund 40 Euro brutto beträgt der offizielle Lohn pro Arbeitstag, theoretisch. „In den meisten Fällen wird der Tarifvertrag nicht erfüllt“, berichtet eine von Naheds Kolleginnen auf der Protestveranstaltung. Inspektoren der Arbeitsbehörden oder Polizisten ließen sich nur selten auf den Plantagen blicken.
Wenigstens 15.000 marokkanische Frauen arbeiten auf den Erdbeerfeldern, die sich über eine Fläche von 70 Quadratkilometern rund um die andalusische Provinzhauptstadt erstrecken. Auch wenn der Lohn niedrig ist: Die Frauen verdienen immer noch ein Vielfaches dessen, was sie in der marokkanischen Heimat für Feldarbeit erhalten würden.
Die meisten Arbeiterinnen wohnen auf den Plantagen, manchmal in elenden Unterkünften ohne fließendes Wasser. Oft liegen die Unterkünfte isoliert, weitab von den Dörfern, ohne Transportanbindung. Gewerkschaftschef Óscar Reina spricht von „unmenschlichen Zuständen“, die zuweilen an eine Art Gefangenschaft erinnerten und Ausbeutung und Missbrauch begünstigten. Nun haben zehn Marokkanerinnen ihre Angst überwunden und Anzeige wegen sexueller Aggressionen und fehlender Lohnzahlungen erstattet; wenig später schlossen sich vier spanische Pflückerinnen an. In früheren Jahren gab es bereits ähnliche Anzeigen. Doch die Beschuldigten hatten bisher wenig zu befürchten. Meist wurden die Ermittlungen wieder eingestellt. „Es herrscht große Straflosigkeit“, kritisiert Rechtsanwältin Filigrana. Eines der wenigen Gerichtsverfahren, das mit der Verurteilung eines Plantagenbesitzers und seiner beiden Söhne wegen Misshandlung und Missbrauchs von Arbeiterinnen endete, gab einen Einblick in die Abgründe, die sich auf den Feldern auftun können: „Wenn du arbeiten willst, musst du mit mir ins Bett gehen“, lautete die aktenkundige Drohung gegenüber den Erntehelferinnen.
Das war vor fünf Jahren. Aber solche Fälle gebe es auch heute noch, versichert die Gewerkschaft SAT. Sie bietet nun jenen Frauen, die vor Kurzem mit ihren Klagen an die Öffentlichkeit gingen und wenig später Drohungen erhielten, Schutz.
Der örtliche Bauernverband Interfresa versprach, die Anzeigen der Frauen ernst zu nehmen. Er will als Nebenkläger gegen die beschuldigten Plantagenbesitzer vorgehen und kündigte „null Toleranz“an. Ein Sprecher verwahrte sich aber dagegen, die Vorfälle zu verallgemeinern und die ganze Branche zu verurteilen. „Wenn es so schlimm wäre“, heißt es, „würden doch nicht so viele Saisonarbeiterinnen jedes Jahr wiederkommen.“
„Wenn du arbeiten willst, musst du mit mir ins Bett gehen.“Verurteilter Plantagenbesitzer