„Ich habe Wagner als Frau gemalt“
Georg Baselitz hat seine Not mit Richard Wagner. Wie hat er trotzdem einen Weg zu dem Komponisten gefunden?
Auf den taubenblauen Vorhängen sieht man schon erste weiße Figuren – zumindest deren Beine. Diese fragilen schwebenden Gestalten, die Georg Baselitz mittlerweile malt, werden in Ausstellungen zu seinem 80. Geburtstag gezeigt. Da hängt der Meister kopfüber – oft mit seiner Gattin Elke. Sie wirken leicht, zerbrechlich, vielleicht in Auflösung. Diese Bilder fließen in den neuen Münchner „Parsifal“ein. Für Richard Wagners letztes Bühnenwerk hat Baselitz Bühnenbilder und Kostüme entworfen. Mit der Premiere morgen, Donnerstag, werden die Münchner Opernfestspiele eröffnet.
Er sei bei Wagners Musik gespalten, sagte Baselitz im Vorfeld. „Es gibt von ihm zum Teil wunderbare Musik, aber dann auch dieses unerträgliche Pathos.“Viele Künstler hätten Wagner markig porträtiert, nur Auguste Renoir habe ihn weich gezeichnet. „Ich bin einen Schritt weiter gegangen und habe Wagner als Frau gemalt, mit Damenschuhen. Seit dieser Verschiebung komme ich mit ihm zurecht.“
Dem Künstler ist die Oper nicht fremd. Fürs Theater Chemnitz hat er 2013 die Szenen zu „Le Grand Macabre“von György Ligeti geschaffen, einem seiner Lieblingskomponisten, wie er sagt. Zwanzig Jahre zuvor hatte er in Amsterdam sein Debüt bei „Punch and Judy“von Harrison Birtwistle gegeben. Damals führte Pierre Audi Regie, der jetzt auch den „Parsifal“an der Bayerischen Staatsoper inszeniert. SN: Früher fanden Sie Wagner unerträglich. Haben Sie Ihre Meinung geändert? Georg Baselitz: Solange man mir Wagner nicht mit Maschinengewehrsalven und Helikoptergedröhne im Kino präsentiert, finde ich ihn genießbar. SN: Sie spielen auf „Apocalypse Now“an, da hört man zum Hubschrauber-Angriff Wagners Walkürenritt. Immerhin wird in Francis Ford Coppolas Kinoklassiker der Krieg infrage gestellt. Das ist nicht weit entfernt von Ihrem Heldenzyklus, der in den letzten 50 Jahren an Wirkkraft gewonnen hat. Weil wieder viel auf die falschen Helden gesetzt wird? Ich fand ja, sie haben immer gewirkt. Als die Helden zum ersten Mal ausgestellt wurden, das war in Hamburg, sagte Markus Lüpertz zu mir: „Schorsch, jetzt kannst du aus dem Fenster springen.“Er war der Meinung, das sei nicht mehr zu toppen. Das mit der Wirkungskraft liegt also eher bei den Betrachtern. SN: Gibt es eine Verbindung zwischen Parsifal und Ihren havarierten Helden aus den 60er-Jahren? Geschichte und Ursprung des Parsifals liegen weit, weit vor meinen Helden. Aber ich habe damals schon Grimmelshausen gelesen. SN: Dessen Simplicissimus stolpert als Antiheld durch die Welt, ist schockiert von den Folgen des Dreißigjährigen Kriegs und gilt als „thumber Thor“. Da gäb’s eine Brücke. Wie sieht Ihr Bühnenbild für die Münchner Oper aus? Für Bühnenbild und Kostüme entstanden über hundert neue Zeichnungen. Es ist also sehr aktuell.
Darin finden sich aber Bezüge zu allen meinen Schaffensphasen – von ganz früh, den Heldenzeichnungen, bis in die letzten Jahre. Die neuesten Bilder, die in das Bühnenbild mit eingeflossen sind, werden gerade in einer Ausstellung in Colmar gezeigt. SN: Spielt auch Ihre Arbeit als Bildhauer eine Rolle? Das Fantastische an so einem Bühnenbild ist ja, dass die zweidimensionale Zeichnung auf einmal dreidimensional werden kann. Oder was zunächst so rumsteht, kann auf einmal auf dem Kopf stehen. SN: Ist der Gral bei Ihnen ein Gegenstand, ein Gefäß oder bleibt er im Diffusen, Abstrakten? Wenn Sie sich die Geschichte des Grals ansehen, dann kann das eigentlich alles sein – meistens ziemlich kitschiges Zeug. Kitsch haben wir versucht zu vermeiden.
„Leider halten mich Journalisten mit ihren Fragen vom Malen ab.“Georg Baselitz, Künstler
SN: Welche Rolle spielt die Musik in Ihrem Leben? Musik ist etwas Wunderbares. Meine Frau spielt wunderbar am Klavier. Ich liebe die Musik. Am liebsten schlafe ich dabei ein oder döse, was in der Oper leider nicht immer passend ist. SN: Langweilen Sie sich immer noch, wenn Sie nicht arbeiten? Ich kann zumindest sagen: Wenn ich arbeite, dann langweile ich mich nicht. SN: Malen Sie jeden Tag? Ich versuche es. Leider halten mich Journalisten mit ihren Fragen immer wieder davon ab. SN: Was würden Sie gern noch umsetzen? Mein Kopf ist voller Dinge. Um die hier alle zu erzählen, reicht die Zeit nicht. Oper: „Parsifal“von Richard Wagner, Bühne: Georg Baselitz, Regie: Pierre Audi, Dirigent: Kirill Petrenko. Bayerische Staatsoper, München, Premiere: 28. Juni, 16 Uhr (live auf BR-Klassik). Livestream: Sonntag, 8. Juli, 17 Uhr. Video-on-Demand von Montag, 9. Juli, 10 Uhr, bis Dienstag, 10. Juli, 10 Uhr Ausstellung: „Corpus Baselitz“, Unterlinden Museum, Colmar, bis 29. Oktober.