Angela Merkel kämpft um ihre Regierung
Gipfel in Brüssel leitete eine scharfe Korrektur ein. Im Mittelmeer gerettete Migranten sollen nicht mehr nach Europa dürfen. Italiens Giuseppe Conte hielt die anderen Regierungschefs in Atem.
Frankreichs Präsident Emmanuel Macron spendet der deutschen Kanzlerin Angela Merkel mit einer Geste Zuspruch im EU-Ratsgebäude in Brüssel. Merkel kann jede Hilfe brauchen. Ihr Koalitionspartner CSU hat in Berlin in der Frage der nationalen Grenzsicherung eine Regierungskrise ausgelöst, die sie die Kanzlerschaft kosten könnte. Sollte das Ergebnis des Gipfels der EU-Staats- und Regierungschefs in Brüssel die führenden CSU-Männer allerdings befriedigen, wäre auch der Fortbestand der Berliner Koalition vorerst gesichert.
Es war schon vorher klar, dass dieser EU-Gipfel am Donnerstag in Brüssel bis in die späten Nachtstunden dauern würde. Angela Merkel war dennoch auffallend früh da, unter anderem um mit ihrem italienischen Amtskollegen Giuseppe Conte unter vier Augen zu reden. Dieser hat dann gleich zu Beginn des Treffens mit einem Veto zu den geplanten Gipfelbeschlüssen zur Migration gedroht, sollten seine Forderungen nach einer Entlastung seines Landes durch andere EUStaaten nicht erfüllt werden.
Merkel muss von dem Treffen der Staats- und Regierungschefs ein Ergebnis mitbringen, um ihren Heimatund Innenminister Horst Seehofer von der bayerischen Schwesterpartei CSU zu befrieden. Der droht mit der Rückweisung von Asylbewerbern an der Grenze, wenn das Weiterziehen in Europa nicht unterbunden wird.
Merkel konnte in Brüssel auf die Unterstützung von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zählen. Europa sei am Scheideweg, sagte er: Entweder es komme zu nationalen Alleingängen oder einer europäischen Lösung im Rahmen bestehender Abmachungen, die modernisiert werden müssten.
Was Macron mit „Modernisierung“umschreibt, ist nicht weniger als ein Kurswechsel in der europäischen Asylpolitik. Mit der Verstärkung des Außengrenzschutzes und den Überlegungen zu „Anlandungsplattformen“ Monika Graf berichtet für die SN aus Brüssel außerhalb Europas, zu denen im Mittelmeer gerettete Flüchtlinge gebracht werden sollen, geht der Fokus weg von der strittigen Frage, wie die Flüchtlinge in der EU verteilt werden sollen. Der Schwerpunkt liegt nun auf wirksamerer Abschottung und Verringerung der Migrationszahlen.
Dazu will die EU ähnlich wie beim Abkommen mit der Türkei wieder viel Geld in die Hand nehmen. Von konkreten Summen ist zwar noch keine Rede. In der Gipfelerklärung findet sich aber der Passus von der „Notwendigkeit flexibler Instrumente, die eine rasche Auszahlung der zur Bekämpfung der illegalen Migration erforderlichen Mittel ermöglichen“. Für die Versorgung der Flüchtlinge in der Türkei wurden bisher drei Milliarden Euro bereitgestellt. Die zweite Tranche in dieser Höhe wurde nun freigegeben. Überhaupt erinnert die geplante Vorgangsweise stark an den Türkei-Deal, der auch die direkte Umsiedlung von Schutzbedürftigen nach Europa vorsieht.
EU-Ratspräsident Donald Tusk verteidigte die neue Linie. „Manche denken, ich sei in meinen Migrationsvorschlägen zu hart. Aber vertraut mir: Falls wir uns darauf nicht einigen, werdet ihr einige wirklich harte Vorschläge von wirklich harten Jungs sehen“, warnte er. Die Alternative wären „chaotisch voranschreitende Grenzschließungen“innerhalb der EU. Sechs Länder im Schengenraum, darunter Deutschland, kontrollieren bereits an bestimmten Grenzübergängen. Sollte Deutschland mit Rückweisungen von schon registrierten Flüchtlingen an der Grenze beginnen, werde das einen Dominoeffekt auslösen.
Das sieht Österreichs Bundeskanzler Sebastian Kurz so. Sollte Deutschland an seiner Grenze Flüchtlinge abweisen, werde Österreich auch seine Grenzen dicht machen. „Wir werden selbstverständlich gleiche Maßnahmen an unseren Grenzen setzen müssen, weil wir Schaden von der Republik abwenden müssen“, sagte Kurz in Brüssel. Es würden dann die Dublin-Regeln gelten. Menschen, die einen Fingerabdruck abgegeben hätten, seien dann in das Land zurückzustellen, wo sie registriert wurden, „das ist im Regelfall Griechenland und Italien“, sagte Kurz. Er sei in dieser Frage mit Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) „gut abgestimmt“.
Die von ihm schon länger geforrderten Auffangzentren hält Kurz für realistisch. Libyen und Ägypten seien mögliche Länder. Es werde dann weniger attraktiv, sich illegal auf den Weg zu machen, das Ertrinken im Meer werde ebenso beendet wie die Überforderung in Europa.